"Triumph der rot-weiß-roten Fahne"

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Ein Ausblick auf Österreich im Jahr 2025 beschließt die drei furche-Dossiers zum Auftakt des Gedenkjahres (S. 24). Zuvor kommen aber noch Auslandskorrespondenten zu Wort (S. 22) und wird der "Wiederaufbau" der österreichischen Literatur gewürdigt (S. 23). Dieses Dossier entstand mit finanzieller Unterstützung des Bundeskanzleramtes. Redaktion: Cornelius Hell und Wolfgang Machreich. Die Republik beginnt mit den Feiern für die Republik ein bisschen zu früh: Ein guter Anlass dafür, das Jahr 1945 nicht nur auf den Jubeltag der Wiedererstehung Österreichs zu reduzieren.

"Wir wissen ja alle nicht, was auf uns noch zukommt. Wie viele Klänge gibt es doch, die wir noch nie gehört haben, die aber längst existieren. Es liegt nur an unseren ungeübten Ohren, dass wir sie nicht wahrnehmen. In fünfzig Jahren vielleicht wird man das alles ganz anders verstehen. Es bricht Neues an, es ist wie eine

Morgenluft ..."

Anton von Webern, Juni 1945

Er kennt den Reichsrats-Sitzungssaal schon länger als alle anderen, die am letzten Freitagnachmittag anlässlich der Festversammlung zum offiziellen Auftakt des Jubiläumsjahres ins Österreichische Parlament kommen. Ganz vorne, ganz oben hat er früher gesessen, als Nationalratsabgeordneter, als Gewerkschafts-Präsident, als Zweiter Präsident des Nationalrates, als Innenminister - an diesem Tag steuert er bedächtig einen Platz in den mittleren Reihen links außen an.

Da stürmt Hugo Portisch auf Olah zu - der Chronist der Zweiten Republik und der Zeitzeuge der Zweiten Republik treffen zusammen: Portisch zeigt mit den Händen, dass ihm etwas über den Kopf wächst - das Jubiläumsjahr? Olah jedenfalls nickt verständnisvoll, ein herzlicher Abschied, dann eilt Portisch in die Mitte der ersten Reihe, Olah bleibt links außen. Später, während des Festakts, wird der Bundespräsident bei Olah vorbeigehen, stehen bleiben und ihm die Hand schütteln, und der Bundeskanzler wird Olah dafür danken, dass "er mit den Gewerkschaftern und Bauern" den Streik der Kommunisten im Oktober 1950 niedergeschlagen hat. Und ganz am Ende der Feier sagt Franz Olah zur Furche "Es war wieder sehr interessant, aber für mich nichts Neues - ich habe ja alles selbst miterlebt." Nichts Neues, aber trotzdem sehr interessant, wie sich die Spitzen der Republik zu Beginn des Jubiläumsjahres präsentieren:

Zunächst einmal in Schwarz: Unbekümmertes, ungetrübtes Feiern ist den Politikern nicht mehr gegönnt. Nach der Angelobung von Bundespräsident Heinz Fischer, die von der Trauerfeier für Thomas Klestil eingeleitet wurde, ist dieser Festakt die zweite Feierstunde der Republik in Folge, die einen Trauerflor trägt. Auf zwei riesigen Leinwänden werden Filmaufnahmen der Tsunami-Katastrophe eingespielt. Noch betroffener machen als man vorher schon war, können diese Bilder aber nicht. Es gilt, was Nationalratspräsident Andreas Khol sagt: "Das Ausmaß der Katastrophe ist - so wie das Ausmaß des Leidens - auch drei Wochen nachher unfassbar." Und: "Wir werden nie einen Sinn in diesem Leid finden, vielleicht gewinnen wir aber eine neue Solidarität in der Welt."

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel erinnern die Tsunami-Bilder an die Ruinenlandschaft im Nachkriegs-Österreich, und er folgert daraus: "Österreich wurde geholfen, Österreich hilft" - nicht nur jetzt den Flutopfern, sondern seit jeher und bei der Bewältigung so mancher Flüchtlingskrise. "Das soll man nicht vergessen, in Stunden, in denen oft kleinlich über die Aufnahme von Flüchtlingen gestritten wird", sagt der Bundeskanzler - Franz Olah hat Recht, Festversammlungen können sehr interessant sein, und Wolfgang Schüssel ist damit schon ein erster wichtiger und richtiger Impuls für das "Gedankenjahr" gelungen.

Auch Grünen-Chef Alexander Van der Bellen sagt Richtiges und Wichtiges: "Es ist eigentlich noch zu früh, heute schon mit dem Feiern anzufangen. Heute vor 60 Jahren war die Zweite Republik noch nicht geboren. Heute vor 60 Jahren war das kz-Mauthausen noch in vollem Betrieb. Heute vor 60 Jahren wurden Deserteure und diejenigen, die sie versteckten, noch erschossen."

Von der Journalistenbühne aus ist nur Olahs Kopf von hinten, sind nur seine schlohweißen Haare zu sehen. Was denkt er jetzt? 1945 gelang ihm noch die Flucht aus dem Konzentrationslager. "1945 lässt sich nicht auf einen Tag, einen Jubeltag reduzieren", fährt Van der Bellen fort und fordert einen scharfen Blick auf die Vergangenheit: "Ohne Häme und ohne Verklärung, auf die großartigen Leistungen ebenso wie auf die schäbigen Aspekte."

Klubobmann Herbert Scheibner und Vizekanzler Hubert Gorbach sprechen bei diesem Festakt für das Freiheitlichen Lager. fpö und 1945 - bei dieser Kombination hört nicht nur Olah genau hin. In den ersten Reihe sitzen auch ein Norbert Steger und ein Ewald Stadler. Und? Diese fpö-Spitze ist in dieser Republik angekommen: Eindeutig ist in beiden Ansprachen vom "Verbrechensregime der Nazis" die Rede, und keiner buhlt mit zweideutigen Anspielungen um die Gunst der Unbelehrbaren.

Alfred Gusenbauer wiederum lässt den Stichwortzettel auf seinem Platz liegen, was er zu sagen hat, scheint's, hat er im Kopf und im Herz: Mehr als die anderen Redner setzt "Gusi" auf viel Pathos mit ein bissl Schmalz - das zieht rein, wie der starke und lange Applaus bestätigt. Das größte Glück nennt Gusenbauer, "zur richtigen Zeit am richtigen Ort geboren zu werden" und: "Unser Österreich ist seit 1945 der gute und richtige Ort zum Leben."

Die Junge Philharmonie spielt eine Collage mit Werken von Mozart und Anton von Webern. Ein wenig Zauberflöte, ein wenig Zwölfton - Österreich seit 1945. Danach tritt der Bundespräsident ans Rednerpult: "Vor 60 Jahren gab es den Triumph der rot-weiß-roten Fahne über das Hakenkreuz, den Triumph der Demokratie über die Diktatur." Franz Olah hat es miterlebt - und beim Hinausgehen sagt er: "Die Heutigen haben die Aufgabe und das Recht aus der Vergangenheit zu lernen."

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