Trugschluss Work-Life-Balance

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Im Juli 2014, das weiß Familie K. schon jetzt, wird sie schick zum Essen ausgeführt. Dann nämlich wird die Tante ihren letzten Arbeitstag haben - endlich! - und eine Pensionierungs-Party spendieren, in einem Restaurant, das schon lange ausgewählt ist. Jetzt gilt es nur noch, 730 Tage minus 104 Sonntage minus 104 Samstage minus 50 Tage Urlaub minus 22 Feiertage zu überstehen, bis - endlich ! - der angenehme Teil des Lebens beginnt. Dann soll gegärtnert werden, gereist, dann werden - endlich! - die Stresskilos weggeradelt. Dass die Tante ihre Pläne verwirklicht, ist statistisch gesehen wahrscheinlich - in den ersten ein bis zwei Jahren nach der Pensionierung. Danach allerdings, haben Psychologen der Universtiät Florida herausgefunden, sinkt der Aktivitätslevel rapide. Und damit Gesundheit und Zufriedenheit.

Frühe Pension, früher Tod

Einen noch deutlicheren Befund hat der Ökonom Josef Zweimüller vorgelegt. Er untersuchte zwei altersgleiche Gruppen von österreichischen Arbeitern, wovon eine um bis zu dreieinhalb Jahre früher in Pension ging, als die andere - mit signifikanten Auswirkungen auf die Lebenserwartung. Jedes extra Ruhestandsjahr kostete die Frühpensionisten zwei Lebensmonate. Glaubt man der Studie, gibt es einen deutlichen Zusammenhang zwischen früher Pensionierung und frühem Tod.

Die Gründe dafür liegen teils im Lebensstil: Zweimüllers Frühpensionisten haben weniger Geld zur Verfügung als die arbeitenden Alterskollegen, sie leben ungesünder, trinken und rauchen mehr. Die Ursachen für den früheren Tod gehen aber über das Körperliche hinaus. Arbeit fördert die mentale Gesundheit. Sie sichert nicht nur die materielle, sondern auch die soziale Existenz. Und sie gibt dem Leben Struktur.

Beim Tagezählen bis zur Pension wird das gerne vergessen. Die Konsequenzen des kultivierten Herbeisehnens der Pensionserlösung lassen sich in der Statistik ablesen: Nirgends gehen die Menschen so früh in Ruhestand wie bei uns, in keinem Land Europas sind die Pensionslasten so hoch.

Dass das nicht mehr lange so weitergehen kann, hat die Regierung erkannt. Auch wenn sie sich nicht dazu durchringen kann, das gesetzliche Pensionsantrittsalter auf 67 zu erhöhen (wie es in anderen europäischen Ländern geschieht) und obwohl Frauen voraussichtlich bis zum fernen Jahr 2033 deutlich früher pensioniert werden als Männer (was im Rest Europas schon jetzt anachronistisch ist), wurde diese Woche - endlich! - ein bedeutender Schritt gesetzt, um das tatsächliche Pensionsantrittsalter anzuheben: Statt Menschen, die zu krank sind, um zu arbeiten, in Pension zu schicken, sollen sie künftig durch Rehabilitation wieder fit fürs Arbeiten gemacht werden. Wenn eine Rückkehr in den alten Job trotzdem nicht möglich ist, wird umgeschult. Die Abschaffung der befristeten Invaliditätsrente soll bis 2018 mehr als 700 Millionen Euro einsparen. Ein volkswirtschaftliche Gewinn - und eine Verbesserung der Lebensqualität für jeden Betroffenen.

Schwerwiegende Denkfehler

Dass sich der Gedanke an Umschulungskurse und Vorstellungsgespräche im ersten Moment vielleicht nicht nach "mehr Lebensqualität“ anfühlt, liegt auch am Image des Arbeitens, das wir kultivieren. Langfristig werden politische Reformen nicht ausreichen, wir müssen an unseren Bildern arbeiten. Das beginnt bei der Sprache: Solange wir von "Work-Life-Balance“ reden, und das Leben damit als Antipode zu Arbeit definieren, sind wir auf dem falschen Weg. Das Sprichwort "Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ schürt schon in der Volksschule die Vorfreude auf die Pension. Auch Frau K.s antrainierte Sehnsucht nach dem Ruhestand, beinhaltet einen schweren Denkfehler, für dessen Korrektur eigentlich schon der Hausverstand ausreichen müsste: Egal, wie früh die Pension beginnt - das Leben lässt sich nicht nachholen.

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