Tunnel - © Foto: Pixabay

Tunnelkatastrophe vom Kitzsteinhorn: "Die Bahn nicht überall eingraben"

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Die Bergung des Wracks der Seilbahn brachte die Tunnelkatastrophe vom Kitzsteinhorn in Erinnerung. Seit diesem Ereignis stellen sich viele die Frage: Wie sicher sind denn Bahntunnels im Allgemeinen?

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Die Bergung des Wracks der Seilbahn brachte die Tunnelkatastrophe vom Kitzsteinhorn in Erinnerung. Seit diesem Ereignis stellen sich viele die Frage: Wie sicher sind denn Bahntunnels im Allgemeinen?

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Mit dem verheerenden Unglück vom 11. November 2000 am Kitzsteinhorn sind alle latent vorhandenen Tunnelängste in der Bevölkerung eskaliert. Auch die Eisenbahn musste ihre Anlagen überprüfen, wenngleich sie bisher Glück hatte: Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) verzeichneten bisher keine Unfälle in ihren Tunnels. Knapp zwei Prozent des gesamten Netzes verlaufen unterirdisch oder "eingehaust".

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Dennoch wurden nach dem Unglück in Kaprun alle Tunnel mit einer Länge von mehr als 500 Metern untersucht. Bei Röhren, die länger sind als ein Kilometer, steht inzwischen ein Rettungswagen an einem Portal, bei längeren sogar an jedem Portal einer. Binnen 30 Minuten muss der Rettungszug einsatzbereit sein, lautet die Forderung.

Als nächste Maßnahme haben die ÖBB die Autoschleuse durch den Tauerntunnel neu organisiert. Ab sofort dürfen Pkw-Lenker während der Fahrt durch den Tunnel nicht mehr im Auto sitzen bleiben, sondern müssen in einen Reisezugwaggon im Zug einsteigen. Dadurch dauern die Abfertigungen länger, es können nur mehr wenige Züge zwischen Salzburg und Kärnten pendeln. Wie soll das im Sommerreiseverkehr werden?

"Peinlich", sagt der für die Infrastruktur zuständige ÖBB-Generaldirektor-Stellvertreter Helmut Hainitz: "Wir schicken die Leute auf die Tauernautobahn. Die Frage ist: Wer zahlt das? Ein Geschäft ist das für uns nicht mehr." Die immer engmaschiger funktionierende Technik lässt kaum mehr Wünsche nach mehr Absicherung offen. Aber, so Hainitz: "Wenn der Teufel will, schießt er Besenstil."

Allgemein wird ein Risiko als umso größer empfunden, je mehr Menschen einer möglichen Gefahr ausgesetzt sind. Zugunfälle wirken somit bedrohlicher als Autounfälle. Allerdings sind die Risikofaktoren bei einem staatlich geprüften Lokführer geringer, als bei vielen Autofahrern, von denen jeder zudem Gefahrguttransporteur ist, weil er einen Tank voll Benzin mitführt.

Bei der Bahn gelten Tunnels sogar für sicherer als die Strecken im Freien: Es gibt dort keine Straßenkreuzungen, keine Schneeverwehungen, keine Bäume, die aufs Gleis fallen können. Auch die Unfallgefahr ist im Eisenbahntunnel geringer. Das Problem ist allerdings die schwierige Bergungs- und Behebungsarbeit. Sollte es doch einmal zu einem Unfall kommen, gehen die Fachleute davon aus, dass Teile des Zuges noch fahrfähig sind. Diese aus dem dunklen Loch zu bringen, hat erste Priorität.

Feuerfeste Waggons dichten gut ab Laut ÖBB würde auch das Rote Kreuz Erste Hilfe nicht am Ort des Geschehens leisten, sondern am Tunnelportal, wo bei allen Bahnröhren über 1,5 Kilometer Länge alles dafür vorgesehen ist: Platz, Wasser, Licht und ein Hubschrauberlandeplatz. "Die Feuerwehren haben sehr großes Mitspracherecht erhalten", sagt ÖBB-Chef Hainitz. "Pro Betriebsbewilligung gibt es ein Abkommen mit den Portal-Feuerwehren."

Die Katastrophe vom Kaprun könne aus mehreren Gründen nicht mit einem Eisenbahnunfall in einem Tunnel verglichen werden, sagen die ÖBB: Die Wagen in Kaprun haben Aufbauten aus Aluminium gehabt, dieses Metall beginne bei über 1.000 Grad "wie eine Fackel" zu brennen. Europäische Waggons seien hingegen bis auf wenige Ausnahmen nicht aus Aluminium gefertigt, die Reisezugwagen feuerfest ausgerüstet. Anfang der neunziger Jahre hat die internationale Eisenbahnvereinigung (UIC) Versuche in einem aufgelassenen norwegischen Tunnel angestellt: Ein Brand im Tunnel wurde simuliert, doch die Messgeräte im gut abgedichteten Inneren des Waggons zeigten lediglich eine Temperaturerhöhung auf 48 Grad an. "Die für die Rettung zur Verfügung stehende Zeit ist lang", sagt ein ÖBB-Experte. Einziges Risiko: Kein in Panik geratener Passagier darf ein Fenster einschlagen.

Problematisch bleiben für die Österreichischen Bundesbahnen die bereits vorhandenen Tunnel, wie etwa der durch den Arlberg. Da besteht nur wenig Raum zwischen Tunnelwand und Zug, um flüchten zu können.

Die ÖBB verzeichneten Brände in Reisezugwaggons oder Lokomotiven. Doch stets konnten die Züge noch rechtzeitig mit eigener Kraft ins Freie fahren, oftmals draußen auf einem Seitengleis auch noch den in Brand geratenen Teil abkuppeln. Das liegt daran, dass sich Feuer am Zug, insbesondere auf Loks, nur sehr langsam entwickelt.

In Tunnels nicht die Notbremse ziehen Deshalb wird das Ziehen der Notbremse als besonderer Fehler beurteilt. Derzeit wird eine "Notbremse-Überbrückung" bei der Bahn eingeführt. Das bedeutet, dass der Lokführer eine von einem Fahrgast ausgelöste Bremsung aufheben kann, wenn sich der Zug gerade im Tunnel befindet. Zudem werden derzeit Ortungsgeräte auf Bremsweglänge vor einem Tunnel entlang der Strecke aufgestellt, die mit dem nächsten Stellwerk verbunden sind. Stellt das Gerät heißgelaufene Bremsen fest, wird das automatisch ans Stellwerk gemeldet und der Zug noch vor dem Tunnel angehalten.

Unterschiedliche Schulmeinungen gibt es zur Frage, wie der katastrophensichere Eisenbahntunnel der Zukunft aussehen soll: Einröhrig oder zweiröhrig? Die einen sagen zweigleisig, da gibt es genügend Platz zur Bergung über das zweite Gleis. Andere meinen, zwei Röhren mit Verbindungsstollen alle paar hundert Meter erhöhen die Sicherheit, weil es keine Zusammenstöße im Tunnel geben kann. Allerdings spricht dagegen, dass man sich bei einem Brand im Qualm nur schlecht bis zum nächsten Querstollen wird schleppen können. Bei Zugzusammenstößen bricht wiederum in der Regel kein Brand aus.

Bei den ÖBB hat man sich für Doppelspurtunnel mit Mischverkehr und Geschwindigkeiten bis zu 200 Stundenkilometern entschieden. Sie werden ausgerüstet mit Orientierungsbeleuchtung, Randwegen, Fluchtwegkennzeichnung und Handläufen.

Nun mag man sich den Reisezugwagen gerne anvertrauen, Güterzüge sind aber oft für Überraschungen gut, insbesondere Waggons aus ehemaligen Oststaaten bringen manchmal nicht die geforderten technischen Voraussetzungen zur Sicherheit mit. Immer wieder gibt es Zwischenfälle, auch wenn die Züge an den Grenzen genau überprüft werden, was den Güterverkehr auf der Schiene nach wie vor langsamer als auf der Straße sein lässt.

Doch die Bestimmungen sind international genormt und schärfer als auf der Straße, zudem auf der Schiene auch vergleichsweise mehr gefährlich Güter unterwegs sind. Alle 300 bis 500 Kilometer wird jeder Waggon auf Bremsen, Achsen und Räder überprüft. Auch ist er gekennzeichnet, der Lokführer weiß Bescheid, welche Ladung welcher Waggon mit sich führt. Beginnt ein Wagen zu brennen, muss er nur auf seine Zugliste blicken, kann über Funk dem Fahrdienstleiter das Nötige mitteilen, und die Feuerwehr weiß bereits vor ihrem Eintreffen am Einsatzort, welches Ladegut in Brand geraten ist. Ein Kennzeichnungssystem, das bereits von allen westeuropäischen Bahnen, außer Großbritannien, angewendet wird.

Andere Gefahren, wie sie Straße oder Schrägaufzug kennen, existieren für die Bahn gar nicht: Als spurgebundenes Verkehrsmittel kann es nicht passieren, dass ein Zug auf die andere Straßenseite geraten könnte, Baustellen sind immer abgesichert, da kann der Lokführer noch so sehr versagen, und Kamineffekte sind in den horizontalen Tunnels der Bahn unbekannt. Schließlich wird bei der Bahn im Blockabstand gefahren, Auffahrunfälle sind kaum vorstellbar.

Problematisch bleiben für die Österreichischen Bundesbahnen die bereits vorhandenen Tunnel, wie etwa der durch den Arlberg. Da besteht nur wenig Raum zwischen Tunnelwand und Zug, um flüchten zu können. Die schon bestehenden Tunnels sollen nun schrittweise an den Standard der neuen herangeführt werden.

Doch so wie BSE die Menschen zum Nachdenken über eingeschlagene Wege veranlasst, so könnten auch die letzten großen Unfälle in Tunnels Veränderungen bei Streckenplanungen bewirken. ÖBB-Vizechef Hainitz: "Wegen Kaprun hoffen wir, dass man nachdenkt, ob man die Bahn, überall, wo es einem nicht passt, eingraben oder zudecken soll. Wir schießen uns ins Knie, weil wir ein ungeheures Gefahrenpotential heraufbeschwören." Aber, fügt er hinzu, es gehe ja nicht nur um Tunnels, auch Brücken machen im Gefahrenfall Kopfzerbrechen.

Der Autor ist freier Journalist.

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