... über die Nachteile reden wir später

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Der EURO wird die Produktivität anheizen. Mehr Produktivität bedeutet, dass wir noch schneller wachsen müssen.

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Der EURO wird die Produktivität anheizen. Mehr Produktivität bedeutet, dass wir noch schneller wachsen müssen.

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Ich bekenne: Ich zähle zu jenen, die von der Umstellung auf den Euro individuelle Vorteile zu erwarten haben. Wer, so wie ich, mehrmals im Jahr innerhalb zweier Tage seinen Kaffee mit vier verschiedenen Geldsorten bezahlt, wird, nachdem er den Tankwart mit der Kreditkarte befriedigt hat, nicht mehr wütend ohne Kleingeld vor den Kaffeeautomaten französischer Tankstellen stehen. Über die Schnapsidee, keine Banknoten unter fünf Euro auszugeben, ärgert sich sowieso weniger, wer die spanische Währung gewöhnt ist, die ebenfalls Portemonnaies sprengt und Hosentaschen erdwärts zerrt.

Der Pessimist mag fragen: Und wegen der Erleichterung des Kaffeekonsums bei der Durchfahrt durch Frankreich braucht Europa eine neue Währung? Nein, nicht nur deshalb. Wer zum Beispiel einen Zweitwohnsitz in einem mediterranen EU-Land besitzt, und das sind hunderttausende Österreicher und Deutsche, spart sich eine Menge Transaktionskosten. Und wenn er Geld braucht, wird das Ausweichen auf den Kreditmarkt des Gastlandes nun kinderleicht sein und noch mehr Geld sparen. Ganz zu schweigen vom Wegfall des Geldwechsels für Millionen Urlauber.

Das wären so einige handfeste mikroökonomische Euro-Vorteile, deretwegen mancher die Euro-Einführung kaum mehr erwarten kann. Freilich steigen in einigen Urlaubsgebieten schon jetzt die Preise, die so lang niedrig waren. Transparenz ist nämlich nicht nur ein Vorteil für den Konsumenten. Sie macht auch dem Anbieter bewusst, um wieviel billiger das Markenyoghurt bei ihm ist. Oder bisher war.

Auto ohne Differential Doch vor allem auf der makroökonomischen Ebene wird der Euro nicht nur Vorteile haben. Sobald die Nachteile zuschlagen, werden wir von so manchem Experten, der darüber heute noch lauthals schweigt, zu hören bekommen: Das haben wir längst gewusst, das war doch jedem volkswirtschaftlichen Taferlklassler klar. Derzeit, wie gesagt, macht man die Leute aber lieber nicht kopfscheu.

Ob Tony Blair wirklich insgeheim nichts sehnlicher wünscht, als das britische Pfund über Bord zu kippen? Ob ihn wirklich nur der Konservativismus seiner Landsleute daran hindert? Als gestandener roter Thatcherist wird er schon auch daran denken, dass ein starkes Pfund nationales Prestige und billige Importe, ein schwaches Pfund dafür aber, bei höheren Importpreisen, bessere Exportchancen bedeutet, weil britische Waren dadurch billiger werden.

Bewegliche Wechselkurse bedeuten nämlich nicht nur Hürden. Man kann sie mit einem Differential vergleichen, das es Autorädern ermöglicht, sich unterschiedlich schnell zu drehen. Wenn die Produktivität in einem Land hinterherhinkt, dafür aber der Wert seiner Währung nachlässt, kann dies die Verschlechterung seiner Exportchancen wenigstens teilweise ausgleichen. Es ist ja noch ein Glück, dass die Einführung des Euro in eine Konjunkturphase fiel, was natürlich keiner der Väter des Euro planen konnte. Vor einer kurvenreichen Gefällestrecke wäre es besonders gefährlich, das Differential auszubauen.

So oder so ist es jetzt weg. Damit hat sich Euro-Land auf Gedeih und Verderb festgelegt, die Produktivität von der Ostsee bis zur Algarve zu synchronisieren. Und überall dort, wo die Entwicklung nicht Schritt hält, mit den Milliarden der Nettozahler nachzuhelfen, und zwar mit vielen Milliarden. Nur so kann verhindert werden, dass Regionen, wenn nicht ganze Länder, dem Mezzogiorno-Effekt zum Opfer fallen. Bereits Gunnar Myrdal widerlegte ja die traditionelle Annahme, dass der Freihandel zwischen entwickelten und unterentwickelten Regionen und Ländern zur Angleichung ihrer Produktivitäts- und Preisniveaus führe. Genau das Gegenteil, stellte Myrdal fest, sei der Fall.

Klassisches Beispiel: Italien. Vor der Einigung gab es um Neapel jene blühenden Landschaften, die dann, statt aufzuholen, zwischen 1861 und 1900 durch die vernichtende Konkurrenz des Nordens immer weiter zurückfielen. Ähnlich erging es nach dem Bürgerkrieg den Südstaaten der USA. Wer aus der Geschichte nicht lernt, muß sie bekanntlich unter Umständen wiederholen. Siehe die Landschaften der ehemaligen DDR, die den Versprechungen Helmut Kohls hartnäckig trotzen und nicht und nicht blühen wollen. Die Eindämmung des Mezzogiorno-Effektes in Südspanien, Portugal und etlichen anderen Regionen wird die EU also sehr viele Euro-Milliarden kosten. Die Frage, ob sie damit nicht überfordert ist, vor allem in Phasen nachlassender Konjunktur, bleibt offen.

Dies hängt ja auch davon ab, wie es in den am höchsten entwickelten Regionen Euro-Lands weitergeht. Hier könnte es statt des Mezzogiorno-Effektes einen Zauberlehrlings-Effekt geben. Bei Goethe schickt, "walle, walle manche Strecke", der Zauberlehrling den Besen um Wasser, aber da er den Besen nicht mehr stoppen kann, bringt dieser Wasser, bis das ganze Haus zu ersaufen droht. Europa ist auf dem Produktivitätstrip, die Industriestaaten rationalisieren auf Teufel-komm-raus, der Euro wird dieser Entwicklung einen gewaltigen neuen Schub verleihen.

Der Wegfall der Wechselkosten und der mit dem Geldwechsel verbundenen Arbeitsplätze ist wohl nur ein Klacks, verglichen mit dem, was uns in weiterer Folge ins Haus steht. Denn die gemeinsame Währung bedeutet transparentere und größere Märkte und erleichtert auf diesen Märkten vor allem den großen Playern das Agieren. Dies bedeutet selbstverständlich ein gewaltiges Produktivitätspotential. Höhere Produktivität ist bekanntlich gleichbedeutend mit höherer Leistung pro Arbeitskraft. Und dies wiederum heißt: Wachstum oder Arbeitslosigkeit.

Mit dem Euro schwingt also Europa die Wachstumspeitsche gegen sich selbst. Hält das Tempo des Wachstums mit dem Zuwachs an Produktivität Schritt, geht es uns ökonomisch prächtig. Dann wären wir freilich auch unaufhaltsam auf dem Amerikatrip, und wer wissen möchte, wie es dann mit der Umwelt weitergeht, der werfe einen Blick auf die USA. Von Wachtsumseinbrüchen, Börsenkatastrophen und sonstigen Schönheitsfehlern, die es noch nie geben durfte und in Zukunft schon gar nicht mehr geben darf, wollen wir als Euro-Optimisten gar nicht erst reden. Es wird uns schon etwas einfallen, wenn es so weit ist.

Patriotische US-Player?

Einen großen Vorteil verspricht der Euro freilich gerade in künftigen, immerhin möglichen Megakrisen. Euroland wird in absehbarer Zeit ein so geschlossener und mächtiger Wirtschaftsraum sein, dass die außenwirtschaftliche Abhängigkeit sinkt und es immer weniger Angst haben muss, die USA könnten die Welthandelsorganisation platzen lassen. Eher umgekehrt.

Eine Hoffnung können wir uns sowieso abschminken: die, der Euro könnte den Dollar als Leit- und internationale Reservewährung vom Thron stoßen. Es wirkt nachgerade schon komisch, mit welcher Konsequenz unsere Auguren und Augurln auf der Suche nach den Gründen für das Absacken des Euro gegenüber dem Dollar einer Erklärung aus dem Weg gehen: Ein massives amerikanisches Interesse an der Verteidigung des Dollar als verlässlichste und härteste Währung für die Geldreserven der Welt. Und, Spekulation hin und kurzfristiges Gewinnstreben her, ein patriotisches Grundmotiv und ein patriotischer Grundkonsens der amerikanischen Player auf den Geldmärkten. Angesichts der amerikanischen Mentalität bedürfte es dazu vielleicht gar keiner Absprachen oder gar Direktiven. Mindestens, so lang die US-Exporte florieren, dürfte das Interesse, den Dollar als Reservewährung zu stützen, eine breitere Basis haben, als das an einer noch günstigeren Konkurrenzsituation bei den Exporten.

Freilich wurde der Euro gar nicht dazu erfunden, Weltreservewährung zu werden. Auch wenn sich wohl mancher kühne Gedanke in so hohe Sphären erhob: Der Euro wurde für den europäischen Binnenmarkt erfunden.

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