Überhebliches Halbwissen

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Der Journalist und Autor Robert Misik stellt in seinem neuen Buch argumentativ unhaltbare, quellenarm untermauerte Thesen auf, verwechselt systematisch Polemik mit Analyse und liefert damit ein ideales Anschauungsbeispiel für die handwerklichen Defizite und theoretischen Mängel zeitgenössischer, sich selbst als kritisch verstehender Textproduktion.

Vorweg: Robert Misiks Buch „Politik der Paranoia“ ist weder ärgerlich noch gefährlich, in seiner pennälerhaften Rotzigkeit und mit seinem Dringlichkeitsgestus sogar bisweilen erheiternd. Auf jeden Fall taugt das Buch hervorragend als Easy Read zur Zerstreuung nach einem harten Arbeitstag. Hier werden die vorherrschenden Feindbilder, Überzeugungen und Topoi von Bobos und Falter-Universum kompakt abgehandelt. Allein durch seine Existenz und die bislang eigenartig affirmative mediale Rezeption ist das Buch vorzüglich geeignet, gängige Meinungen, Positionen und Vorurteile der zeitgenössischen politischen Debatte beispielhaft darzustellen.

Misik diagnostiziert in seinem Buch eine konservative Hegemonie in Medien und Gesellschaft. Das ist aus seiner subjektiven Empfindung und Biografie heraus vielleicht nachvollziehbar, empirisch aber leicht zu widerlegen. Laut aktuellem Journalismusreport II positionieren sich Österreichs Journalisten großteils links der Mitte. Die Medien sowie deren Leser und die Gesellschaft insgesamt werden von Journalisten hingegen eher als rechts eingeschätzt. Dieses seltsame Phänomen existiert auch in Deutschland, wurde schon vor vierzig Jahren von der Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann entdeckt und doppeltes Meinungsklima genannt: Im Verhältnis 3:1 votieren Journalisten für linke Parteien.

Naturrecht, zehn Gebote, Sitte, Tradition

Auch bei der ideengeschichtlichen Einordnung des Themas blendet der Autor entscheidende Fakten aus. Der Neokonservatismus stammt für Misik aus den USA, dieser habe sich mit der Moderne ausgesöhnt, mit Irving Kristol und Norman Podhoretz zwei ehemalige Linke als Vordenker und sei als politische Strömung utopisch und vorwärtsgewandt. Das stimmt für die USA, unterschlägt aber die deutschen und österreichischen Debatten und Erkenntnisse. Der Begriff „neokonservativ“ war in den 1970er Jahren als Bezeichnung für die Kritik an der politischen Theologie von Johann Bapist Metz durch den Philosophen Robert Spaemann und den Politiker Heinrich Drimmel gebräuchlich. Auch der ursprünglich linke Philosoph Hermann Lübbe wurde damals als neokonservativ bezeichnet, weil er sich polemisch mit der Studentenbewegung und der außerparlamentarischen Opposition auseinandergesetzt hatte. Neokonservativ entsprechend dieser Tradition heißt aber eben gerade nicht utopisch und vorwärtsgewandt zu argumentieren, sondern sich auf das Wesen der konservativen Tradition rückzubesinnen und von Naturrecht, Zehn Geboten, Sitte und Überlieferung her zu denken.

Womit bereits das dritte zentrale Problem des Buches offenkundig wird: Misik mischt in seiner Argumentation nach Belieben deutsche, österreichische und angloamerikanische Ereignisse und Denktraditionen. So wird zwar der Philosoph Leo Strauss als Ahnherr und Vater der Neokonservativen vorgestellt, dessen zentrale Gedanken und Werke werden aber nur mit einem Internetverweis auf einen kurzen, keineswegs repräsentativen Aufsatz bedacht. Nun verlangt bei einem politischen Sachbuch niemand eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk von Strauss, aber etwas mehr Zurückhaltung bei der abschließenden Beurteilung oder zumindest die Lektüre einer Einführung hätten Misik vor hanebüchenen Thesen bewahren können. Strauss war mitnichten ein Gegner des Liberalismus, vielmehr trat er für eine Ordnung der Werte und gegen Relativismus ein. Strauss’ Ansinnen war, die klassische liberale Gesellschaft und die bürgerlichen Freiheiten zu bewahren, indem er an die Notwendigkeit des Naturrechts und damit an die philosophische Frage nach dem Guten für die menschliche Gemeinschaft erinnerte. Gegen den Nihilismus und zum Schutz der liberalen Demokratie stellte Strauss die Orientierung an den bleibenden Wahrheiten über die menschliche Natur.

Misstrauen gegenüber Heilsversprechen

Auch Untergriffe, wonach Konservative Mehrkindfamilien mögen, solange sie nicht fremdländischen Ursprungs sind, sind entbehrlich. Niemand zählt schließlich, wie viele Kinder welche Volksgruppe bekommt. Die besorgte Frage, ob Mehrkindfamilien in depravierten Schichten Armut nicht perpetuieren und so die Entstehung von Sozialhilfedynastien begünstigen, sollte aber schon erlaubt sein und nicht unter Rassismusverdacht gestellt werden.

Vergleichende Bewertung politischer Systeme setzt Fingerspitzengefühl und Akribie voraus, kein Schwadronieren mit dem Hammer. Denn wenn amerikanische Neokonservative eschatologisch argumentieren, erklärt sich das aus den protestantisch-puritanischen Traditionen und der Sehnsucht nach innerweltlicher Heiligung. Wenn deutsche Neokonservative wie Spaemann philosophieren, meinen und wollen sie etwas anderes: das Insistieren auf einer überzeitlichen Wahrheit, oder die entschiedene Absage an die „Diktatur des Relativismus“ (Benedikt XVI.). (Neo-)Konservativ sein heißt, für ein normativ gehaltvolles Verständnis eines Wahrheitsbegriffes einzutreten, gleichzeitig aber auch entschieden gegen fundamentalistische Dogmen aufzutreten und allen Verkündern eines Paradieses auf Erden gründlich zu misstrauen und zu widersprechen. Dass (Neo-)Konservative an Werte und Transzendenz glauben, mag für Misik zwar eine Provokation darstellen, paranoid, wie im Buchtitel suggeriert, ist diese Haltung deswegen aber noch lange nicht.

Neoliberal ist nicht gleich neokonservativ

Schadenfreude ob der groben handwerklichen Mängel in der vorliegenden Kampfschrift sind freilich nicht angebracht. Schließlich leidet auch der Familienvater Misik sichtlich angesichts der dramatischen Weltwirtschaftskrise. Eindrücklich schildert er das Jahr 2008 als Zeitenwende und Zäsur für die deregulierten Finanzmärkte; in vielen seiner Problembeschreibungen benennt er exakt Missstände der westlichen Demokratien: das Abschmelzen der Mittelschichten, die skandalöse Entstehung und Verfestigung einer neuen Unterschicht, den Anstieg von materieller Armut inmitten der Wohlstandsoase Europa, sinkende Reallohnquoten, die Gerechtigkeitslücke zwischen der Besteuerung von Kapital und Arbeit. Auch fehlende Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit, mit ungedeckten Krediten und Hebeln hantierende Finanzmärkte, nur in Quartalszahlen und Boni denkende Unternehmer sind nicht nur für Misik, sondern auch für jeden verantwortungsbewussten Bürger und Demokraten ein Ärgernis.

Woher aber kommt Misiks Verdikt, dass Konservative für diese Missstände und Fehlentwicklungen der westlichen Gesellschaften verantwortlich seien? Schließlich sind der mit seinem persönlichen Vermögen haftende, seine Community unterstützende und sich ihr verpflichtende Unternehmer oder der ehrbare Kaufmann genuin konservative Typen – und nicht der angestellte Manager, der Investitionen auf Pump tätigt. Ein konservatives Budget heißt doch seit jeher, sorgsam und ohne Risiko zu haushalten und langfristig Gewinne zu erwirtschaften. Ganz einfach: Misik verwechselt und vermischt nach subjektivem Dafürhalten neokonservative und neoliberale Positionen. Misik kritisiert zu Recht, dass eine neue schicke Spießerei den Neiddiskurs mit dem Geist der Revolte, des Nonkonformismus und des Individualismus kurzgeschlossen habe. Nur sind kennerhafter Konsum und der Vorrang des Individuums vor dem Gemeinsinn eben keine konservativen, sondern neoliberale „Tugenden“. Radikalindividualistische Personen wie Ulf Poschardt – vor zehn Jahren noch Parteigänger der Poplinken, heute Neoliberaler und als solcher der Idealtypus der neuen Spießigkeit – hätten den flexiblen, ortlosen, ständig verfügbaren und Innovationen bejahenden Konsumrebellen zum Role Model gemacht. Das mag stimmen, nur hat diese Art ökonomischer Determinismus nichts mit neokonservativen Überzeugungen zu tun, sondern ist das Resultat des Selbstverwirklichungsprimats der neuen sozialen Bewegungen und der Kulturrevolution von 1968.

Wenn Kinder in der Straßenbahn heute nicht mehr für ältere Mitmenschen aufstehen, hat das indes weniger mit von antiautoritären Thesen sozialisierten Lehrkräften zu tun als damit, dass immer mehr Eltern eher Kumpel als Autorität für ihre Kinder sein wollen. Kinder brauchen aber Vorbilder; dieses früher von Generation zu Generation tradierte Wissen ist heute vielfach nicht mehr selbstverständlich.

Sicherung der freiheitlichen Demokratie

Nach vierzig Jahren Selbstverwirklichung, Konsumgesellschaft und des erbitterten Kampfes gegen Kernfamilie, Autoritäten, Kanon und Verbindlichkeiten kann Konservativ-Sein heute also nicht mehr bedeuten, das Alte zu bewahren. „Neokonservativ“ kann daher mit Spaemann nur bedeuten, sich trotz der Widerstände wieder auf die Suche nach verbindlichen Traditionen zu machen. Diese Entbergung der ewigen Wahrheiten der menschlichen Natur, diese Rückbesinnung auf das Überzeitliche zur Sicherung der freiheitlichen Demokratie ist der politische Auftrag, dem sich Konservative verpflichtet fühlen. Erst die Anerkennung des Naturrechts fördert Gemeinwohl und Vermenschlichung des Staates.

Gegen diese politische Denkrichtung zu sein, ist in einer Wettbewerbsdemokratie erwünscht und normal. Den (Neo-)Konservatismus aber gleich ins Museum der großen Irrlehren verbannen zu wollen, wie Misik dies tut, zeugt von befremdlichem, ja totalitärem Hochmut.

Christian Moser arbeitet an der Politischen Akademie der ÖVP und unterrichtet an der Universität Wien

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