Umstrittene Sterbehilfe

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Natürlich kann man die linksliberale niederländische Demokratie von heute nicht mit dem NS-Regime vergleichen. Und selbstverständlich ist legalisierte Euthanasie nicht dasselbe wie die Massentötung psychisch, physisch und geistig Behinderter im Dritten Reich. Aktive Sterbehilfe auf ausdrücklichen persönlichen Wunsch und unter kontrollierten Rahmenbedingungen und strengen Auflagen mag - zumindest einmal für Holland mit einem gewissen "Wildwuchs" dieser Problematik in den Jahren seit 1993 - sogar einen humanitären Fortschritt bedeuten. Bedenklich bleibt die Sache allemal.

Es muss ja wohl einen Grund dafür geben, dass man in den neun Jahren, in denen die strafrechtliche Verfolgung der Sterbehilfe sozusagen ausgesetzt wurde, zum ersten mit rückläufigen und zum anderen mit höchst widersprüchlichen Zahlen konfrontiert wurde - zwischen 2.000 offiziell registrierten und 5.000 geschätzten Fällen pro Jahr liegt eine beachtliche Grauzone.

Vielleicht hatten tatsächlich manche Ärzte nur Angst davor, doch noch vor Gericht zu landen, vielleicht waren aber auch die Begleitumstände nicht in jedem Einzelfall so klar, wie es die gesetzliche Regelung jetzt vorgibt: unheilbare Krankheit, unerträgliches Leiden, Zustimmung bei vollem Verstand und Beendigung des Lebens in medinzinisch angemessener Form ...

Aber darüber hinaus: sind diese Vorgaben so eindeutig? Was heißt unheilbar und unerträglich in Anbetracht des Fortschritts der Medizin, der hoch entwickelten Schmerztherapie? Was bedeutet Zustimmung zu oder Verlangen nach einer Maßnahme in einer depressiven Grundstimmung, in der man empfänglich sein kann für Außeneinflüsse?

Die Grenze zwischen "für andere keine Belastung sein wollen", "sollen" und "dürfen" ist denkbar schmal, zumal dann, wenn es einen mehr oder weniger breiten gesellschaftlichen Konsens im Hinblick auf (legale) Euthanasie gibt.

Das Argument, man orientiere sich mit der neuen Gesetzeslage am Leitbild eines autonomen Menschen und an der schon bisher geübten Praxis, ist nicht stichhältig. Obwohl Schnellfahren oder Alkohol am Steuer bisweilen durchaus als schick oder zumindest als lässliche Sünden gelten, und viele Menschen Promille- oder Geschwindigkeitsgrenzen nicht beachten, sind sie weitgehend unumstritten. Für den Schutz des Lebens sollte das wohl auch gelten - und "passive Sterbehilfe", also der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen und ein Ausbau der Sterbebegleitung im Sinne der Hospizbewegung als Lösungen liegen ja ohnedies nahe.

Die Autorin ist Professorin für Gesellschaftspolitik an der Universität Linz.

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