Und läuft und läuft und läuft ...

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Am 21. Mai starten knapp 10.000 Läuferinnen und Läufer beim Wiener Stadtmarathon. Unter ihnen - von Jahr zu Jahr mehr - etliche Spitzenpolitiker. Neben dem täglichen Politmarathon laufen sie die berühmt-berüchtigten 42,195 Kilometer.

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Am 21. Mai starten knapp 10.000 Läuferinnen und Läufer beim Wiener Stadtmarathon. Unter ihnen - von Jahr zu Jahr mehr - etliche Spitzenpolitiker. Neben dem täglichen Politmarathon laufen sie die berühmt-berüchtigten 42,195 Kilometer.

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Und läuft und läuft und läuft", hat seit 1962 der werbewirksame Slogan beim Volkswagenmodell "Käfer" geheißen. Weniger lange her war ein batteriebetriebener Spielzeughase in der Fernsehwerbung zu sehen, der auch gelaufen und gelaufen ist und dazu auch noch getrommelt hat, bis alle seine Spielzeughasenkonkurrenten ihren schwächeren Batteriegeist aufgeben mussten.

Wenn etwas läuft, dann ist es gut, wenn etwas lange läuft, ist es noch besser. Aber das war nicht immer so. Gerade der laufende Hase hat lange als Paradebeispiel für Dummheit und Selbstüberschätzung herhalten müssen. Der Igel und seine Frau hingegen, die den hin- und herhetzenden Hasen jeweils auf der anderen Seite des Feldes ausgeruht erwartet haben, die beiden galten - trotz ihrer kurzen Beine - als Verkörperung von Klug- und Schlauheit schlechthin. Wer es vergessen hat, soll es wieder nachlesen in der Fabel "Der Hase und der Igel".

Und ist der Hase nicht auch ein Angsthase, weil er immer davonläuft, statt sich der Gefahr zu stellen. Weg- und fortlaufen, nach- und hinterherlaufen - alles Begriffe, die nicht unbedingt positive Assoziationen wecken. Ganz im Gegenteil dazu, das beklatschte Stehaufmännchen und die noch mehr gelobten Steherqualitäten.

"Wer läuft, schwitzt und wird ergo nass", bringt Deutschlands Außenminister Joschka Fischer das uralte Misstrauen gegenüber dem Laufen auf den Punkt. Und er muss es ja wissen. Keine vier Jahre her war der Herzeigegrüne noch das personifizierte Savoir-vivre: Ein Weinkenner, der keinen Gang bei Tisch ausließ, Sportschuhe nur für schockierende Auftritte im Deutschen Bundestag benutzte und es "am Ende des Liedes auf 112 Kilogramm Lebendgewicht Fischer" brachte.

In seinem Buch "Mein langer Lauf zu mir selbst" (Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999) beschreibt der Außenminister wiederholt sein früheres Äußeres und schüttelt sich dabei vor Selbstekel. Aber Fischer ist weggelaufen, weg vom alten Ich. "Fleisch, Wurst und Wein verloren an Attraktivität. Nicht das Körperfett ist unser Problem, sondern vielmehr dessen Überfluss", schreibt er. Innerhalb eines Jahres hat er fast 40 Kilo abgenommen und ein weiteres halbes Jahr später, eine Woche vor seinem 50. Geburtstag, war er bereits in der Lage, beim Hamburger Marathon mitzulaufen. Am Start von Selbstzweifeln geplagt: ",Au weia', dachte ich mir, ,wenn das bloß gut geht. Auf was hast du dich da nur eingelassen, Fischer?'" Im Ziel nur Spott und Hohn gegenüber den Sicherheitsleuten, die er abgehängt hat: "Die haben das alle unterschätzt. Das war für einige sehr bitter."

Joschka Fischer hatte kehrt gemacht: "Das wirkliche Geheimnis meines Erfolges war das Auswechseln und völlige Neuschreiben meiner Programmdiskette", beschreibt er sein neues Credo. Und am Morgen des 7. November vergangenen Jahres der bisherige Höhepunkt in Fischers Marathonkarriere. Unter 30.000 Läufern steht der deutsche Außenminister am Fuß der Verrazano-Narrows-Bridge auf Staten Island. Es ist kalt und windig. New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani begrüßt die Läufer zum aufregendsten Marathon der Welt. 3 Stunden, 56 Minuten, 13 Sekunden später läuft Fischer durchs Ziel. Und kurz darauf telefoniert er mit dem UN-Botschafter Richard Holbrooke. Sie reden über den Balkan.

Für Fischer ist das Rennen zu Ende. Für den Außenminister fängt es gerade erst wieder an. Wenn das nicht imponiert: Er läuft und läuft und läuft ... Müßig zu erwähnen, dass Fischer erst Außenminister wurde, nachdem er mit dem Laufen angefangen hat. Und zweifelt noch wer daran, dass zwischen den zwei Lebenswenden ein Zusammenhang besteht?

"Wer einen Marathonlauf durchsteht, der wird mit den Beschwernissen der Politik auch fertig", fasst der Meinungsforscher Fritz Karmasin den Imagegewinn eines laufenden Politikers im furche-Gespräch zusammen. "Als zusätzliche Komponente bringt das Marathon laufen vom Image her sicher etwas", ist Katharina Ditz, Kommunikations- und Medientrainerin in Wien ebenfalls überzeugt: "Marathon laufen steht für Dynamik, Ausdauer, Selbstdisziplin. Wenn jemand eine so weite Distanz durchsteht, dann zieht man da einfach die Parallelen, und denkt er oder sie ist auch im Beruf - in diesem Fall eben in der Politik - so leistungsfähig." In ihrem Buch "Wer nicht auffällt, fällt durch" (Deuticke, Wien 1997) schreibt Ditz: "Die Menschen erwarten Dynamiker als Leitfiguren. Also muss ihnen Dynamik geboten werden - auf dem Umweg über die persönliche Sportlichkeit. Sport steht für Dynamik, suggeriert Elan." Gefragt, ob dafür das Marathon laufen ideal ist, schränkt die Medientrainerin jedoch ein: "Marathon machen halt mittlerweile schon recht viele. Wenn man ein neues Signal setzen will, wäre eine neue Sportart sicher eine gute Variante."

Es hat sich jetzt ein wenig abgespielt, diagnostiziert der Wiener Publizistikprofessor Peter Vitouch. "Eine Zeit lang war es eine Sensation, weil das Politikerbild früher ein anderes war. Das waren bedächtige ältere Herren, Damen hat es nur wenige gegeben. Und mit der Zeit ist das Politikerimage dem Managerimage sehr nahe gekommen. Und da musste man dann auch all die Bilder, die ein Top-Manager liefern sollte, in die Politik transferieren." Jetzt, meint Vitouch, durchschauen das doch viele Wähler und sind nicht mehr so beeindruckt, wenn ein Politiker fit ist. Hinzu kommt, dass Marathon laufen eine sehr extreme Sache ist. Vitouch ist skeptisch, einen Marathon und das ganze Training neben der beruflichen Belastung einfach so einstreuen zu können: "Hin und wieder schauen die Leute schon ziemlich alt aus, nachdem sie so etwas gemacht haben."

Alt ausgesehen hat dann irgendwann einmal auch der VW-Käfer. Sein reibungsloses Laufen und Laufen und Laufen hat nichts mehr genutzt. Zuerst haben sie ihn weit weg- und dann ganz abgeschafft. Ob dieses Schicksal Politikern ebenfalls droht? Dass sie weg- und abgewählt werden, obwohl sie laufen und laufen. Es soll schon vorgekommen sein.

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