Und wieder tötet der Staat

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Die Exekution des Oklahoma-Bombers findet in den USA breite Zustimmung. Doch auch Kritik an der Todesstrafe wird immer lauter.

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Die Exekution des Oklahoma-Bombers findet in den USA breite Zustimmung. Doch auch Kritik an der Todesstrafe wird immer lauter.

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Terre Haute im Bundesstaat Indiana ist bestens gerüstet. Nichts wird für die "Exekution des Jahres" in der 60.000 Einwohner zählenden Stadt dem Zufall überlassen. Tausende Schaulustige, 1.600 Medienvertreter samt Übertragungswagen und Medienzelten, zahlreiche Protestgruppen für oder gegen die Todesstrafe, vielleicht auch Sympathisanten des Delinquenten wollen schließlich betreut und verköstigt werden. Auch im Gefängnis der Stadt wird noch geprobt und einstudiert, aber Mittwoch kommender Woche ist es dann soweit. Timothy McVeigh, der 33-jährige Oklahoma-Bomber, "milchgesichtig, dünn, kahlgeschoren und reuelos", wie die Medien vermerken, wird mit breiten Ledergurten auf die fabriksneue Hinrichtungsbahre des kargen Exekutionsraumes geschnallt. Punkt sieben Uhr früh Ortszeit befördert ihn dann eine Giftinjektion ins Jenseits. Amerika tötet wieder, um zu zeigen, dass es falsch ist, Menschen zu töten. Eine mörderische Logik, die jedoch - und gerade in diesem Fall - von einer breiten Mehrheit unterstützt und befürwortet wird.

Als das Todesurteil gegen McVeigh verkündet wurde, sah sich diese Mehrheit in ihrem Rechtsbewusstsein einmal mehr bestätigt. Ein so scheußliches Verbrechen wie jenes dieses Mannes konnte nur durch eine staatlich verordnete Tötung vergolten werden. Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Todesstrafe wurden nur leise geäußert. Wer konnte sich auch besser für eine Exekution eignen als dieser kaltschnäuzige Massenmörder? McVeigh sei ein richtiger "poster boy", befand sogar das Time-Magazin. Einer, der die Todesstrafe "verdient" hatte wie kaum ein anderer. Das musste auch der Papst zur Kenntnis nehmen. Seine Bitte um Gnade blieb ungehört.

1995 hatte der zurückgezogen lebende Waffennarr, Ex-Soldat im Golfkrieg und Sympathisant von Rechtsradikalen und militanten Bürgerwehren, das Murrah-Regierungsgebäude in Oklahoma City in die Luft gejagt. Die Bilder des ausgebombten Betongerippes gingen um die Welt. Der schwerste Terrorakt in der Geschichte Amerikas, kaltblütig durchgeführt, forderte 168 Menschenleben, darunter die von 19 Kleinkindern. Hunderte wurden zum Teil schwerst verletzt. Der Grund für diese Wahnsinnstat: Hass auf den Staat. McVeigh wollte Rache nehmen für die blutige Erstürmung der Sektenranch des Kultführers David Koresh im texanischen Waco 1993 durch das FBI mit zahlreichen Toten und Verletzten.

Jahrelang wurde herumgerätselt, wie um alles in der Welt aus dem Milchgesicht ein solches "Monster" werden konnte. Die Medien verdienten mit Spekulationen darüber jede Menge Geld. Warum der Privatkrieg gegen die eigene Regierung letztlich wirklich in der verheerenden Bombe mündete, blieb dennoch ein Rätsel.

Viele Angehörige der Opfer werden McVeigh vielleicht mit dem Gefühl tiefer Befriedigung sterben sehen. Einige direkt, andere per Videoübertragung auf einer Großleinwand im entfernten Oklahoma City. Nicht wenige von ihnen werden dennoch nicht dabei sein, denn auch unter diesen vom Leid schwerst Getroffenen finden sich Gegner der Todesstrafe.

Wäre es nach dem Verurteilten gegangen, hätte aber nicht nur eine auserwählte Schar Angehöriger und Journalisten die Hinrichtung live miterleben dürfen, sondern am besten gleich die ganze Welt. Doch Entertainment Network - welch trefflicher Name! - kämpfte vergebens um die Übertragungsrechte ins Internet. Zuvor schon hatte der Justizminister den Wunsch McVeighs nach einer TV-Übertragung abgelehnt. Ausgerechnet Gegner der Todesstrafe befürworteten hingegen massiv eine öffentliche Hinrichtung: Wenn Millionen Menschen das staatlich angeordnete Töten einmal hautnah sehen könnten, würde das die letzte Exekution sein, argumentierten sie. Ein voyeuristisches Spektakel aus kathartischen Gründen? Die Diskussionen darüber wühlten die Emotionen der Amerikaner erneut auf.

Timothy McVeigh wird seinen letzten Auftritt mithilfe der Medien trotzdem ganz in seinem Sinne zelebrieren können. Inzwischen kämpft die Mehrheit der 3.400 Menschen, von deren Existenz kaum jemand etwas weiß, in den amerikanischen Todestrakten weiter um ihr Leben. Da-rüber wird aber außerhalb der Gefängnismauern wenig zu lesen sein.

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