Werbung
Werbung
Werbung

Haben Sie studiert? Dann sind Sie wohl auch immer wieder mit Fragen von Verwandten oder Bekannten konfrontiert worden: Wie weit bist du denn mit dem Studium? Wann wirst du denn fertig? Und dann haben Sie wahrscheinlich begonnen, stammelnd irgend etwas von bereits abgelegten oder noch abzulegenden Prüfungen zu erklären, denn in einem Satz ist eine so schwierige Frage nun wirklich nicht zu beantworten. Meistens. Hierzulande. Das könnte natürlich daran liegen, dass die Studierenden so faul sind, dass sie den inhaltlichen Aspekten der Fragestellung gerne ausweichen würden. Tatsächlich? (Waren Sie so faul?)

In Österreich jedenfalls stellt jede/r den zeitlich und teilweise sogar inhaltlichen Ablauf den jeweiligen Studiums selbst zusammen. Und so kann die Dauer von der Immatrikulation bis zur Sponsion ganz beträchtlich variieren. Die Qualität der Ausbildung allerdings auch. Rasantes "Scheine sammeln" bei bekannt "lockeren" Professoren und Assistenten kann vielleicht einen Onkel in Australien, sicher aber nicht die Mitstudierenden beeindrucken, die sich vielleicht etwas "intellektueller", das heißt aufwändiger und natürlich auch langwieriger durchs Studentenleben schlagen. Allgemeine Maßstäbe sind hier schwer anzusetzen. Hier, in Österreich. Die in letzter Zeit immer so gepriesene amerikanische Universitätsausbildung verläuft hingegen völlig anders. Und auch die russische. Ausgerechnet in der ehemaligen Sowjetunion wird nach einem ganz ähnlichen System studiert wie in der "Wiege des Kapitalismus". Um dies zu veranschaulichen, machen wir einen kleinen Ausflug nach Sibirien. Etwa an einen Lehrstuhl für Deutsche Philologie. Niemand hat hier jemals so etwas Exotisches zu Gesicht bekommen wie ein Vorlesungsverzeichnis in Buchform (oder gar im Internet!) - es sei denn bei einem Stipendienaufenthalt in Deutschland oder in der Schweiz. (Für Studienaufenthalte in Österreich gab es bisher keine Möglichkeiten.) Und ein Studium dauert exakt fünf Jahre inklusive Diplomarbeit.

Wie im Gymnasium Den Stundenplan erfährt man jeweils zu Beginn des Semesters in der Aula. Am"schwarzen Brett", auf einer verglasten Pin-Wand, verrät ein handschriftlicher Aushang den Studierenden aller Studienjahre und Untergruppen, wann sie sich wo einzufinden haben, um die angebotenen Lehrinhalte zu konsumieren. Die Anwesenheit wird täglich kontrolliert, Montag bis Freitag. In den ersten Studienjahren vormittags, dann nachmittags - so sind die Räume am Institut optimal ausgenützt. Und die Lehrkräfte auch. Wer einer Gruppe gegenübertritt, um zu unterrichten, hat es hier auch tatsächlich mit einer Gruppe zu tun. Die Kommilitonen sehen einander jeden Tag und sind deshalb meist schon recht gut miteinander bekannt. Kurz gesagt, es verläuft alles recht ähnlich wie im Gymnasium. Nur die Anforderungen weichen beträchtlich davon ab. Es wird viel verlangt von den Studierenden in Russ-land, nicht zuletzt auch kritisches Denken und der Umgang mit modernen Kommunikationsmedien wie dem Internet. 40 Stunden pro Woche reichen kaum aus, die Aufgaben zu bewältigen, die die Universität stellt. Nebenjobs hat kaum jemand. Und im Sommer ist es schwer, Arbeit zu finden, denn da suchen alle. Marktstände, Kellnerarbeit, was sich eben ergibt: Alles ist willkommen. Aber viele müssen Däumchen drehen - oder können bereits lernen für die nächsten Prüfungen. Der Traum von der eigenen Wohnung bleibt für die meisten (auch noch Jahre nach dem Studium) unerfüllbar. Auf der Strecke bleibt auch das Streben nach Selbständigkeit. Schwierigkeiten wie etwa: Wie stelle ich meinen Stundenplan zusammen? Wie bringe ich Arbeit und Studium unter einen Hut? sind in Sibirien kein Thema. Auf einem Arbeitsmarkt wie dem österreichischen, wo neben dem Studienabschluss auch praktische Erfahrung verlangt wird, hätte man es da wohl schwer.

Einen goldenen Mittelweg hingegen scheinen die Ungarn gefunden zu haben. In dem Land, das unter anderem für seinen "Gulaschkommunismus" berühmt wurde, hat man es offenbar auch mit dem von Sowjetseite vorgelebten Studiensystem nicht so genau genommen. Und im letzten Jahrzehnt hat sich sowieso (fast) alles verändert. Als Ausnahme könnten allerdings die nach wie vor staatlichen Betriebe gelten - zu denen auch die Universitäten zählen. Das wirkt sich zum Beispiel in der noch immer (nach kommunistischem Vorbild) miserablen Bezahlung der akademischen Angestellten aus, was aber heutzutage eher aus budgetären denn ideologischen Gründen geschieht. Einige Universitäten sind bereits offiziell in Konkurs, unter anderem auch die Wirtschaftsuniversität in Budapest. Praktische Auswirkungen hat das jedenfalls keine. Außer, dass in jüngster Zeit laut überlegt wird, ob man künftig nicht für die Bezahlung der Professoren Subventionen aus der Privatwirtschaft entgegennehmen möchte, um einer Abwanderung wichtiger Kapazitäten in ebendiese vorzubeugen. Eine Chance, sich auf den harten, freien Arbeitsmarkt vorzubereiten, haben aber auch die ungarischen Studierenden nur sehr begrenzt. Sie können zwar Stundenplan und Schwerpunkte der Studieninhalte in einem System mit Pflichtfächern und Wahlfächern zum Teil selbst bestimmen, aber ebenso wie in Russland gilt: Ein Studium dauert fünf Jahre und kein Semester länger. Innerhalb dieser Frist können sie sich aber wesentlich freier bewegen als ihre russischen Kollegen.

Wer in einem Semester überdurchschnittlich viele Prüfungen ablegt, hat eventuell im nächsten mehr Zeit, sich ein wenig auf die praktischen Anforderungen des Berufslebens vorzubereiten und dringend nötiges Taschengeld zu verdienen, um das Studentenleben etwas rosiger zu gestalten. Der Spielraum ist aber nicht groß, die Anzahl der Prüfungen, die wiederholt werden dürfen, begrenzt. Und Studierende, die die Gelegenheit beim Schopf packen, sich etwa bei der derzeit laufenden Volkszählung etwas dazuzuverdienen, haben es schwer, nicht am nächsten Tag in den Lehrveranstaltungen ihren Schlafmangel auszugleichen. Nehez az elet, wie man in Ungarn so schön sagt - auch das Studentenleben ist nicht immer leicht.

Die Autorin ist freie Journalistin, hat im Sommersemester 2000 an der Universität Ulan-Ude (Sibirien) Deutsch unterrichtet und arbeitet derzeit als Lektorin an der Wirtschaftsuniversität Budapest.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung