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Der Mythos von der guten Mutter setzt moderne Frauen heftig unter Druck.

Die ideale Mutter hat immer Zeit, sie gibt und gibt und wird dennoch niemals leer. So steht es in Gedichten, in Poesiealben und auf Deckchen gestickt. Dieses Ideal hat sich auch tief im Bewusstsein heutiger Mütter festgesetzt, die um die Balance zwischen dem Wohl ihres Kindes und ihrem eigenen Glück, ihrem Recht auf Selbstverwirklichung, ringen. Die Freiburger Sozialpsychologin Herrad Schenk hat sich mit dieser mütterlichen Psychodynamik seit Jahren auseinandergesetzt und sie in ihrem Bestseller-Buch "Wieviel Mutter braucht der Mensch?" (mittlerweile in der fünften Auflage erschienen) dargelegt. Ihr Fazit: Mütter müssten in ihrer vermeintlichen Alleinverantwortung für das Kindeswohl entlastet werden. Vor allem aber sollten sie sich davor hüten, ihre Mutterschaft zum zentralen Vehikel ihrer Selbstverwirklichung zu machen.

Kinder als Lebenssinn

Viele, wenn nicht die meisten Ängste schwangerer Frauen kreisen heutzutage um die Frage, welche Wende das Kind für ihr Leben bedeutet, wie sehr ihr Alltag, ihr Lebensplan, ihr Selbstbild sich durch die Mutterschaft verändern. Sind die Kinder auf der Welt, so Schenk, dann dominieren sie den Seelenhaushalt der Eltern und regieren im Land der mütterlichen Schuldgefühle. "Kinder werden immer mehr als Lebenssinn oder als Partnerersatz gesehen", erklärt die Sozialpsychologin und Autorin im Furche-Gespräch. Die familientherapeutische Literatur nähre diese psychische Überfrachtung des Kinderwunsches, die "genau in dem Maß zugenommen hat, wie die naturwüchsige Selbstverständlichkeit des Kinderhabens abhanden gekommen ist und aus den ökonomischen Nutzen von einst wirtschaftliche Kosten geworden sind."

Je weniger Kinder die Frauen insgesamt bekommen, desto wichtiger werden sie. Die Mehrzahl der Frauen trifft die Entscheidung für ein Kind heutzutage bewusst. Ist das Wunschkind erst einmal geboren, gilt ihm dann die ungebrochene Aufmerksamkeit der Erwachsenen, allen voran die der Mutter. Kinder sind eben kostbar geworden, so Schenk - das "Normalkind" von heute genießt ähnlich exklusive Betreuung wie sie in der Vergangenheit nur Kindern der gehobenen Schichten zu Teil wurde, damals allerdings in Gestalt von bezahlten Kinderfrauen oder Ammen. "Hier wachsen kleine Prinzen und Prinzessinnen heran", weiß Herrad Schenk. "Erwerbstätige und nicht erwerbstätige Mütter geben sich gleichermaßen Mühe, ihre Kinder ständig zu beobachten, ihnen die volle Aufmerksamkeit zu bieten. Viele dieser Kinder unterbrechen jedes Gespräch oder Telefonat, das die Mutter führt und fordern ihre ungeteilte Aufmerksamkeit."

Keiner anderen Person wie der Mutter wird vergleichbar große Bedeutung für das Kind zugebilligt: weder den Großeltern, noch der Tagesmutter oder der Kinderfrau. "Jede Form des Mutterersatzes, der Betreuung durch Dritte, gilt als minderwertige Alternative, vor allem, wenn es sich noch um Vorschulkinder handelt", so Schenk. Höchstens der Vater wird als Mutterersatz akzeptiert. In vielen Familien würden Väter jedoch häufiger den Part des Spielgefährten übernehmen: "Väter sind oft nur mehr für das Angenehme zuständig, fürs Schwimmbad, für Zirkus und Kino. Die Arbeit der Fürsorge - etwa Zahnarztbesuche, gesunde Ernährung - ist das Ressort der Mutter."

Psychologisierte Mutterrolle

Ein kurzer Blick in die Geschichte lehrt, dass die Mutter erst allmählich zur Alleinverantwortlichen für Seele, Geist und Körper des Kindes wurde: Nahm die Aufklärung Kinder als eigene Wesen war und verstand folglich die Erziehung als verantwortungsvolle Tätigkeit, führten schließlich die Erkenntnisse der Psychoanalyse zur "Psychologisierung" der Mutterrolle, die das Verhalten des Kindes ausschießlich auf die Mutter zurückführt. "Die innerhäusliche Mutter war als emotionale Wärmespenderin und Hüterin des guten Benehmens verantwortlich für Haushalt, Schulerfolg der Kinder, Talentemanagerin und Kulturvermittlerin nach innen", beschreibt die Salzburger Psychologin Dores Beckord die klare Rollenverteilung des bürgerlichen Familienideals des 18. Jahrhundert - ein Ideal, das sich ungebrochen bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts gehalten hat.

Beckord selbst arbeitet seit 20 Jahren in der Mutter- und Elternberatung des Landes Salzburg: "Es ist nicht egal, auf welchem Hintergrund und mit welchen Bildern von Mütterglück, Vaterfreuden und geglückter Kindheit wir Beratung machen", weiß sie aus Erfahrung. Dass Väter kommen, um sich bei den Psychologinnen und Psychologen Rat zu holen, sei nach wie vor eine Rarität: "Sie kommen auf Bitte der Mutter mit. Allein würden die Väter wohl lieber zu einem Berater gehen, den es aber nicht gibt."

Dores Beckord kennt die Ideale, die Mütter in ihrem prall gefüllten Werte-Rucksack durchs Leben schleppen: "Wenn Mütter dem Diktat der Selbstlosigkeit gehorchen wollen, gehen sie sich selbst verloren und sind für ihr Kind, das ein klar abgegrenztes Gegenüber zu seiner Entwicklung benötigt, unangreifbar." Umso wichtiger sei es, die Herkunft von Schuldgefühlen, vor allem bei berufstätigen Müttern, zu hinterfragen, betont Beckord: "Sie müssen für sich klären: Was gehört zum geistigen Müll? Und was möchte ich als lieb gewonnenes Museumsstück aus dem letzten Jahrhundert in meinem Wertekatalog behalten?"

Chronische Schuldgefühle

Tatsache ist jedoch, dass sich viele Mütter in der Erziehung allein verantwortlich fühlen und jede Form von Einmischung rigoros abwehren. Die Folgen dieses Anspruchs sind prekär, meint die Sozialpsychologin Schenk: "Solche Frauen erleben jede Reaktion auf ihr Kind, die nicht positiv oder gewährend ist, sofort als kinderfeindlich. Das hängt mit der Überidentifikation mit dem Kind zusammen, die wiederum das Ergebnis ihrer Alleinzuständigkeit ist."

Stattdessen sei es höchste Zeit, das schlechte Gewissen einzupacken - auch zum Wohl des Kindes. Wenn Frauen aufhören würden, in ihren Schuldgefühlen nach dem Motto "Ich arbeite und habe zu wenig Zeit für mein Kind", "Ich verliere schnell die Fassung, das ist schlecht für mein Kind" oder "Ich bin zu ängstlich" zu baden, dann würden ihnen viele Facetten von glückendem Muttersein offenstehen, so Schenk. "Das Bewusstsein, nicht für alles verantwortlich zu sein, macht mutig, gelassen und liebevoll - sich und den eigenen Kindern gegenüber."

WIEVIEL MUTTER BRAUCHT DER MENSCH? Der Mythos von der guten Mutter. Von Herrad Schenk, Verlag

Rowohlt, Reinbek 2002, 5. Aufl., TB,

e 7,90

Beiträge von Herrad Schenk und Dores Beckord finden sich im Band zur Tagung "Mutterglück - Anspruch und Wirklichkeit", die vom 26. bis 28. März im Salzburger Bildungshaus St. Virgil stattgefunden hat. Der Band ist ab Ende Juni im Frauenbüro der Stadt Salzburg unter (0662) 8072-2043 erhältlich.

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