Unruhe-Kandidatinnen

19451960198020002020

Die Kandidaturen von Gertraud Knoll und Heide Schmidt sind Ausdruck eines neuen politischen Bündnisses.

19451960198020002020

Die Kandidaturen von Gertraud Knoll und Heide Schmidt sind Ausdruck eines neuen politischen Bündnisses.

Werbung
Werbung
Werbung

Diese Bundespräsidentenwahl ist anders. Erstmals prägen ganz unterschiedliche Auffassungen über Politik, Gesellschaft und Amtsführung die Wahlauseinandersetzung. Das ist vor allem den beiden Kandidatinnen zu danken. Sie haben einen Diskurs über fundamentale Fragestellungen jenseits von Tagespolitik und in bewußter Abkehr vom Prinzip der Stimmenmaximierung durch Konturlosigkeit eröffnet. Mit Themen wie der Rolle der Frau, der Stellung der sozial Ausgegrenzten, der Übermacht der Parteien, der globalen Schicksalsgemeinschaft, der Kälte technokratischer Politik, dem Umbau des Sozialstaates lenken sie den Blick auf politische Zentralfragen. Ihre Wahlchancen liegen darin, daß sich auf der Grundlage ihrer Diagnosen und Positionen ein für Österreich neues politisches Bündnis bilden könnte, ein vorerst loses Konglomerat heterogener Wählergruppen, dessen Klammern nicht Interessen und traditionelle Lagerzugehörigkeiten sind, sondern der Konsens über einen hohen Reformbedarf, über eine Neuordnung der Gesellschaftsverträge und neue politische Spielregeln. Die Anhängerschaft von Frau Knoll etwa hat in diesem Sinne die traditionellen politischen Demarkationslinien weitestgehend überwunden.

Ist der Wahlausgang daher noch offen? Rein rechnerisch sind die Positionen von Knoll und Schmidt mehrheitsfähig: Kritiker des überbordenden Parteienstaates, Frauen, Anhänger einer Politik struktureller Reformen, Bürger mit Sinn für die bestechende analytische Schärfe von Schmidt: so sieht kein Minderheitenprogramm aus. Vermutlich geht aber diese Rechnung nicht auf. Die Positionen der Kandidatinnen sind damit konfrontiert, daß Kontinuität und Erfahrung ein Wert an sich sind. Österreichs Stabilität ruht derzeit nur mehr auf kleinsten gemeinsamen Nennern. Die Angst geht um, daß auch diese noch verloren gehen könnten. Die beiden kandidierenden Frauen bilden in dieser Situation ein Element der Unruhe. Klestil hingegen kann im Bereich der politischen Psychologie starke Karten ausspielen: Anlehnungsbedürfnisse an einen "Vater", Wunsch nach einem erfahrenen Repräsentanten auf dem "internationalen Parkett", die Risikoscheu der Österreicher.

Das Gewicht dieser Faktoren wird die zaghafte Pflanze des komplexen Diskurses, den Schmidt und Knoll anbieten, vermutlich erdrücken. Beide haben das Problem, daß sie die Bevölkerung mit neuartigen Grundfragen und alten Tabuthemen konfrontieren. Neue Denkweisen arbeiten sich in das Bewußtseins nur sehr langsam ein. Damit wird der Zeitfaktor zum Haupthindernis für eine Wahlüberraschung.

Nur mit einer deutlichen Mehrheit bei den Frauen bliebe die Chance auf einen zweiten Wahlgang gewahrt. Leider blieb das Frauenthema aber bis heute auf den Status eines bloßen Politiksegments beschränkt. Die Frauenfrage hat sich nicht zu einem allgemeinen politischen Thema - im Sinne einer radikalen Neubewertung zum Beispiel von Arbeit, Sozialpolitik und Technik - weiterentwickelt, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt und ein ganzheitliches Politikverständnis einbringt. Einen solchen erfolgversprechenden Ansatz überzeugend zu kommunizieren, dazu fehlt wohl die Zeit. Auch das scharfsinnige, aber gegenüber dem herrschenden Alltagszynismus besonders verletzliche Bekenntnis der Kandidatin Knoll zu einer radikal-humanistischen, wertbezogenen und anti-technizistischen Sicht der Politik (in ihren Worten "Wärme") ist zwar ein zentrales Thema der Zukunft, um das sich neue Mehrheiten gruppieren könnten. Es bedarf aber langer Überzeugungsarbeit, um die politische Bedeutung dieses Ansatzes freizulegen.

Vielleicht sorgt der Mut, mit dem die beiden kandidierenden Frauen ihre Überzeugungen und Positionen gänzlich unpopulistisch und mit einer in der Politik seltenen ungeschützten Geradlinigkeit artikulieren, doch noch für eine Überraschung. Bleibt sie aus, dann bleibt der vielversprechende Versuch, für eine neue Metapolitik einzustehen und mittelfristig eine damit verbundene Mehrheit zu schaffen. Klestil, der sich, taktisch gut beraten, diesen überfälligen Diskursen im Wahlkampf nicht gestellt hat, könnte mehr als eine Wahl gewinnen, wenn er sein Amt künftig als Anwalt der von Frau Knoll und Frau Schmidt artikulierten Hoffnungen versteht.

Der Autor ist Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Linz, SP-Landtagsabgeordneter in Salzburg und Mitglied des Personenkomitees für Gertraud Knoll.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung