"Unser Spital wird für andere ein Anreiz sein"

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Es ist "kein Lebenswerk", doch sein Herz hängt an der Casa Austria, jenem Unfallspital in Temesvár, das schon bald übergeben werden soll. Johannes Poigenfürst, Spitzenmediziner, "Rebell in weiß" und diesjähriger Kardinal König-Preisträger, im furche-Gespräch.

Die Furche: Seit 1989 sammeln Sie Spenden für die Casa Austria im rumänischen Temesvár und wollen dort nach der Eröffnung auch selbst mitarbeiten. Bis zur Übergabe des Spitals müssen Sie aber nach eigenen Worten die "Schnorrtour" noch fortsetzen. Warum tun Sie sich als pensionierter Chirurg das an?

Johannes Poigenfürst: Man sollte einfach alles zu Ende führen, was man einmal begonnen hat. Inzwischen hat unser Verein 25 Millionen Schilling gesammelt, von der Regierung haben wir bisher 12 Millionen bekommen. Jetzt brauchen wir noch 12 Millionen Schilling für die medizinisch-technische Ausstattung, um das Spital im Frühjahr schlüsselfertig übergeben zu können.

Die Furche: Sie werben mit Theateraufführungen des "Zerrissenen" von Nestroy und im Fernsehen für das Projekt - mit Erfolg. Nach der Sendung des TV-Werbespots von Demner, Merlicek & Bergmann wurden täglich 1.000 Schilling gespendet. Was fehlt ihnen noch - abgesehen von jenem Beatmungsgerät, dessen Geräusch in diesem Spot von Schauspielern in Arztkitteln simuliert werden muss?

Poigenfürst: Röntgenapparate oder Operationstische haben wir zum Teil schon bekommen. Doch automatische Türen für die Operationssäle kann man nicht geschenkt bekommen, die müssen wir in Österreich kaufen. Wir können ja nicht ein neues Spital bauen und nur altes Glumpert hineinstellen.

Die Furche: Warum gerade Temesvár?

Poigenfürst: Am 23. Dezember 1989 hat man in den Abendnachrichten gehört, dass die Securitate auch die Spitäler beschießt. Nach 22 Uhr Abend hat mich Bürgermeister Helmut Zilk angerufen und wollte, dass wir einen Sanitätszug einrichten. Der erste rumänische Ort, an dem wir ankamen, war Temesvár.

Die Furche: Was haben Sie vorgefunden?

Poigenfürst: Zuerst hat man uns gesagt, es ist alles in Ordnung. Wir haben aber dann über 60 Schussverletzte angetroffen, die noch nicht versorgt waren. Die hygienische Situation war grauenhaft: ein Mangel an Instrumenten und an Implantaten zur Stabilisierung von Knochenbrüchen. Der Mann der Operationsschwester hat in einer Eisenfabrik gearbeitet und von den Schweißelektroden die Isolierung heruntergeklopft. Und diese Nägel wurden als Marknägel verwendet. Das ist ein biologisches Experiment, das nur zu einer Eiterung führen kann.

Die Furche: Neben Knochenbrüchen sollen vor allem Verbrennungen behandelt werden ...

Poigenfürst: Ja. Im Kreiskrankenhaus, an dem wir die Casa Austria anbauen, gab es im Vorjahr 130 Patienten, bei denen mehr als ein Viertel der Körperoberfläche verbrannt war. Die Ursache dafür sind oft Unfälle mit offenem Feuer im Haus. Es besteht ein Mangel an Betten und Behandlungsmöglichkeiten für Verbrannte.

Die Furche: Die Casa Austria soll ein Spital nach europäischen Standards werden. Haben Sie keine Angst vor Überfüllung?

Poigenfürst: Nein, ich kann ja nicht ganz Rumänien umbauen. Aber unser Spital wird ein Anreiz sein für andere Krankenhäuser, weiter Verbesserungen vorzunehmen. Es mangelt in Rumänien aus Geldnöten oft an Hygiene, doch das Personal ist meist sehr ambitioniert.

Die Furche: Der Bau des Unfallspitals hat länger gedauert als gedacht. Warum?

Poigenfürst: Wir haben immer gebaut, so weit die Mittel jeweils gereicht haben. Dabei sind wir 1996 bis zum Rohbau des Gebäudes gekommen. Dann hat es aber noch zwei Jahre gedauert, bis wir von der österreichischen Regierung das versprochene Geld auch bekommen haben.

Die Furche: Kann der weitere alltägliche Betrieb garantiert werden?

Poigenfürst: Die Kreisgemeinde ist schriftlich verpflichtet, den Betrieb zu finanzieren, denn das Krankenhaus geht ja in ihren Besitz über.

Die Furche: Sie fahren monatlich nach Rumänien. Im Vergleich dazu müsste Ihnen das österreichische Gesundheitswesen paradiesisch vorkommen ...

Poigenfürst: Absolut. Doch es ist mir seit langem klar, dass wir diesbezüglich im Luxus leben. Wir Ärzte wollen ja, dass jedem Patienten jede notwendige und sinnvolle Behandlung möglichst gratis und sofort zuteil werden kann. Und es wird zusätzlich auf den Komfort Rücksicht genommen. Das ist wirklich paradiesisch.

Die Furche: Weniger paradiesisch erscheint vielen der Zustand der heimischen Gesundheitspolitik - etwa die Debatten um Hans Sallmutter oder die Ambulanzgebühren.

Poigenfürst: Es gibt Rückschritte auf allen Fronten. Wir Ärzte wollen, dass den Patienten die Möglichkeiten der Medizin gratis zur Verfügung stehen: Jetzt müssen sie Ambulanzgebühren zahlen. Dieses Experiment ist nicht neu. Auch im Lorenz-Böhler Krankenhaus haben wir eine Zeit lang eine Ambulanzgebühr einheben müssen, doch das wurde aufgegeben, weil es nichts eingebracht hat.

Die Furche: Tatsache ist, dass die Krankenkassen sanierungsbedürftig sind. Glauben Sie, dass bei der Verwaltung noch Einsparungspotenzial besteht?

Poigenfürst: Man müsste wahrscheinlich das ganze System umkrempeln. Wenn man tatsächlich - etwa in Form der Chipcard - eine elektronische Dokumentation einführt, könnte man viele Doppel- und Mehrfachuntersuchungen vermeiden. Man kann aber leider die Medizin nicht rein demokratisch betreiben. Es gehört ein bisschen Diktatur dazu. Doch man kann nicht nur anschaffen, sondern muss das Personal auch motivieren. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen müsste verbessert werden. Und dann müsste man den Menschen beibringen, dass jeder für sich selber verantwortlich ist.

Die Furche: Könnten Selbstbehalte dieses Verantwortungsgefühl steigern?

Poigenfürst: Ich weiß, dass der Sozialstaat - was wir hoffentlich bleiben werden - dem Asozialen gegenüber wehrlos ist. Es gibt viele Menschen, die die Segnungen des Sozialstaates hemmungslos ausnützen. Da müsste man viele Riegel vorschieben.

Die Furche: Welche?

Poigenfürst: Man könnte eine zusätzliche Versicherung für Sportverletzungen einführen, wobei Drachenflieger und Paragleiter in ihrer minimalen Zahl keine Rolle spielen. Die AUVA (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Anm. d. Red.) als gut organisierte Sozialversicherung ist etwa zuständig für Arbeitsunfälle. Nun wird ihr jährlich eine Million Schilling abgenommen für den Erhalt der Pensionsversicherung. Für Sportverletzte, die ja in Unfallkrankenhäusern behandelt werden, zahlt aber die Gebietskrankenkasse - doch nie die vollen Behandlungskosten. Es wäre viel effizienter, wenn die AUVA auch für Freizeitunfälle verantwortlich wäre.

Die Furche: Sie selbst wurden durch Ihre Auseinandersetzung mit der AUVA weithin bekannt, als Sie 1994 als Leiter des Lorenz Böhler-Unfallkrankenhauses gegen die Beschränkung der Ärztearbeitszeit aufgetreten sind. Spätere Angebote von politischen Parteien haben Sie abgelehnt, denn im Parlament würde nur "jeder seine Phrasen herunterdreschen". Wie sehen Sie das heute?

Poigenfürst: In Österreich reden viele Leute über Dinge, von denen Sie nichts verstehen. Dem Patienten, dem Schwächsten in der Kette, werden immer mehr Lasten aufgebürdet, doch das System selbst bleibt unverändert. Ob ich eine Ambulanzgebühr einhebe oder nicht ändert nichts am System.

Die Furche: Wie heute mit dem "Zerrissenen" hat das Theater auch nach Ihrem Sieg über die AUVA eine Rolle gespielt. Damals haben Sie ein Kabarett dargeboten, in dem die AUVA als wohlbestallte Burg dargestellt wird ...

Poigenfürst: Es sind halt viele Dinge überbürokratisiert und kosten deshalb zu viel, doch das betrifft in Österreich nicht nur die Sozialversicherung. Ich glaube etwa nicht, dass eine Versicherung wie die AUVA einen Generaldirektor und zwei Stellvertreter oder einzelne Landesstellen braucht. Das alles ist ein Luxus, den auch wir als sehr reiches Land uns nicht leisten sollten.

Die Furche: Die Albert Schweitzer-Gesellschaft hat ihnen 1996 eine Ehrenmedaille zuerkannt und Sie als "Rebell in Weiß" bezeichnet. Am 20. September erhalten sie nun den Kardinal König-Preis. Hat Sie das gewundert?

Poigenfürst: Das hat mich tatsächlich gewundert - und gefreut. Ich habe mich auch gewundert, dass ich damals die Rebellion gegen die AUVA durchgestanden habe, weil ich eigentlich der Meinung war, dass ich nicht gern im Streit lebe. Aber es hat sich dann herausgestellt, dass ich das ganz gut kann.

Das Gespräch führte Doris Helmberger

Spenden für die Casa Austria auf das Konto 049 45 969 der Erste Bank, BLZ 20111. Kennwort: "Unfallkrankenhaus Temesvár"

Zur Person

Fleischergeselle und Chirurg

Sein Blick reichte stets über den eigenen Tellerrand hinaus - im Konflikt mit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt um das Arbeitszeitgesetz für Ärzte ebenso wie beim Engagement für die Casa Austria in Temesvár. 1929 als einziger Sohn einer Wiener Fleischhauerfamilie geboren, begann Johannes Poigenfürst nach der Matura eine Fleischerlehre - zugleich mit der Inskription als Medizinstudent an der Universität Wien. Nach seiner Promotion 1955 wurde er am Unfallkrankenhaus Wien-Brigittenau von Lorenz Böhler ausgebildet. Von 1984 bis 1997 war er ärztlicher Leiter des Spitals. Seit seinem Einsatz in Temesvár während der letzten Tage der rumänischen Revolution betreibt er dort den Bau eines modernen Unfallspitals mit 60 Betten. Der Grundstein wurde 1993 gelegt.

Im Alleingang hat der 1997 pensionierte Spitzenchirurg und Vater von vier Töchtern 25 Millionen Schilling gesammelt - und das "ohne einen Groschen für Administration zu verrechnen", betont Poigenfürst. Allein 3 Millionen konnte er durch die Aufführung der Nestroy-Posse "Der Zerrissene" gemeinsam mit Schulfreunden erspielen. Für sein Engagement erhält er am 20. September den diesjährigen mit 100.000 Schilling dotierten "Kardinal König-Preis" der Wiener Stiftung "Communio et Progressio, der seit 1992 für herausragende Leistungen in den Ländern des Donauraums vergeben wird.

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