Unter der Herrschaft der Waffen

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Die von Separatisten besetzten Teile der Ost-Ukraine kommen auch nach der Wahl nicht zur Ruhe. Im "finalen Kampf" der ukrainischen Armee gegen die Separatisten starben erneut Menschen.

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Die von Separatisten besetzten Teile der Ost-Ukraine kommen auch nach der Wahl nicht zur Ruhe. Im "finalen Kampf" der ukrainischen Armee gegen die Separatisten starben erneut Menschen.

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Nina Simonenko hat ihre Wahl getroffen, auch wenn es nicht ungefährlich war. Die 64-Jährige mit dem aufgesteckten schwarzen Haar hat sich letztendlich pragmatisch entschieden. "Ich habe für Petro Poroschenko gestimmt", sagt die Pensionistin, die auf dem Markt des Bezirks Lasurnij in Krasnoarmijsk einkaufen geht. Er war nicht ihr Wunschkandidat. Doch sie wollte einen Präsidenten, und zwar schnell, damit es jemanden gibt, der die vielen Probleme des Landes lösen kann.

So wie sie dachten viele andere Ukrainer. Petro Poroschenko hat geschafft, was Umfragen vorher nicht für möglich gehalten hatten: Er hat die Präsidentenwahl im ersten Durchgang für sich entschieden. Am Sonntag stimmten nach vorläufigen Angaben der Zentralen Wahlkommission knapp 54 Prozent der Wahlberechtigten für den 48-jährigen Milliardär, der den Ukrainern versprochen hat, dass sie "auf neue Art leben" können.

Ein Präsident des Friedens?

Frieden wolle er im Osten des Landes schaffen, sagte er am Wahltag, als er in Kiew den langen Wahlzettel in die Urne warf und die beliebte Losung "Slawa Ukraini" ("Ruhm der Ukraine") aussprach - den Schlachtruf des Maidan, jener Demonstrationswelle, die zur Flucht des früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch Ende Februar und damit zu den vorgezogenen Präsidentenwahlen führte. Aber nicht nur Frieden schaffen soll Poroschenko, der als Präsident das Oberkommando über die Armee hat, sondern auch die Wirtschaft ankurbeln und die europäische Integration voranbringen: eine Mammutaufgabe für das 45 Millionen Einwohner zählende Land, das dem Bankrott nahe ist.

Nina Simonenko, die früher als Krankenschwester gearbeitet hat, weiß, was es bedeutet, sparsam zu leben. Ihre Pension sei mehrmals gekürzt worden, sie arbeite noch immer, obwohl sie schon lange in Rente sei, erzählt die Frau mit dem pink-orange gemusterten Sommerkleid. Bestürzt ist sie auch über die prorussischen Umtriebe im Osten, die vor ihren Augen stattfinden.

Dass die 64-Jährige am Sonntag überhaupt wählen gehen konnte, verdankt sie nur der geografischen Lage ihrer Heimatstadt Krasnoarmijsk: Diese liegt im Westen des Gebiets Donetsk, die Grenze zum Gebiet Dnjepropetrowsk ist nicht weit.

Von dort kamen proukrainische Milizen und sicherten die Bezirkswahlkommission mit ihren automatischen Waffen. Die ukrainische Armee errichtete eine Straßensperre vor der Stadtgrenze.

Obwohl der Wahltag in Krasnoarmijsk ruhig ablief, blieben viele Bürger aus Angst vor Zwischenfällen den Urnen fern. Zudem ist das Vertrauen in den demokratischen Prozess gering. Das Gefühl, von den Politikern an der Nase herumgeführt worden zu sein - gerade auch von jenen, für die der Donbass jahrelang gestimmt hat -, sitzt tief. Das Gebiet ist traditionell eine Hochburg der Partei der Regionen des ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch. Im aktuellen bewaffneten Konflikt bekommen die Bürger die Machtlosigkeit der Politik einmal mehr vor Augen geführt. Am Ende des Wahltages verzeichnete das Gebiet Donetsk eine Wahlbeteiligung von knapp 14 Prozent.

Das Leben im unerklärten Krieg

Die Sicherheitslage in der Ostukraine ist seit Wochen kritisch. Eltern schicken ihre Kinder nur noch ungern zur Schule, die Cafés sind abends leerer als sonst um diese Jahreszeit, die Bürger vermeiden unnötige Wege. Die separatistische Führung, die in Donetsk seit Anfang April öffentliche Gebäude besetzt hält, verbot im Vorfeld die Präsidentenwahl in ihrem Herrschaftsgebiet. All jene, die daran doch teilnehmen wollten, beschimpfte man als "Verräter". Seit Wochen lieferte sich die ukrainische Armee Scharmützel mit den Separatisten. Meist sind es Angriffe auf Straßensperren, nicht selten enden sie mit Todesopfern, so wie auch Montag beim Flughafen in Donetsk.

Oft stehen die Gegner nur ein paar Kilometer voneinander entfernt, beide Seiten in Camouflage, unterscheidbar nur durch die ukrainische Fahne beziehungsweise die angesteckten orange-schwarz gestreiften St. Georgs-Bänder der prorussischen Aktivisten. "Männer mit Waffen haben bei uns die Macht an sich gerissen", sagt der Donetsker Journalist Jewgenij Schibalow. "Einmal sind die einen im Aufwind, dann wieder die anderen."

Die Ohnmacht der Bürger, die sich den Bewaffneten -gleich welcher Zugehörigkeit - fügen müssen, wird nochmals verstärkt. Es wird an dem neuen Präsidenten und an der neuen Regierung, die nach der Sommerpause gewählt werden soll, liegen, das Chaos im Osten zu durchbrechen. Der frisch gewählte Präsident Poroschenko hat im Wahlkampf angekündigt, hart gegen die "Terroristen im Osten" vorzugehen. Doch für eine Beilegung des Konflikts wird nicht nur Waffengewalt nötig sein, sondern auch Verhandlungsgeschick. Mit Russland, und mit den Separatisten, die sich schon auf einen langen Kampf eingerichtet haben.

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