Supreme Court  - © Foto: APA / AFP / Samuel Corum

USA und Abtreibung: Wenn alles zur Machtfrage wird

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Der Spruch des US-Höchstgerichts zur Abtreibungscausa offenbart den erbitterten Kampf um das Rechtsverständnis in den Vereinigten Staaten. Über die Hintergründe – und das Schlüsseljahr 1868.

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Der Spruch des US-Höchstgerichts zur Abtreibungscausa offenbart den erbitterten Kampf um das Rechtsverständnis in den Vereinigten Staaten. Über die Hintergründe – und das Schlüsseljahr 1868.

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Worum geht es im Urteil des US ­Supreme Court zur Abtreibung, wurde im Leitartikel der letzten FURCHE gefragt: Recht? Moral? Politische Hegemonie? Erfahrungsge­mäß haben die meisten intuitiv starke Antworten darauf, umso mehr, wenn es um Schwangerschaft und Frauenkörper geht. Das geht so weit, dass Politiker in den USA bezweifeln, dass Frauen nach einer Ver­gewaltigung schwanger werden können.

Wie kommen wir zu einer informierten Meinung? Die Philosophin Judith Shklar nannte drei Quellen des Rechtsdenkens in den USA: eine revolutionäre Mythologie, die ein für alle Zwecke nützliches Rechtsvokabular schuf; eine Tradition systematischer Verfassungsinterpretation durch Gerichte; und die Last von Bevölkerungsgruppen, die aller Rechte beraubt waren.

Mit einem Liberalismus der Rechte in der Verfassung wurde die Hoffnung auf politische Erziehung verbunden. Sie sollte die moralische Ergänzung zu den politischen und rechtlichen Institutionen bilden. Diese hatten den Zweck, Machtmissbrauch zu verhindern. Daher wurde die Änderung der Verfassung fast unmöglich gemacht, und Amtszeiten waren möglichst kurz. Das galt auch für auf Lebenszeit ernannte Richter, da man an die Lebenserwartung im 18. Jahrhundert dachte.

Wie wird Recht geschöpft?

Die drei Quellen, die Shklar nannte, prägen von Beginn an gesellschaftliche und politische Konflikte. Vor Gericht sollen „Bürgerrechte ernstgenommen“ werden, wie der Titel eines der einflussreichsten juristischen Bücher des 20. Jahrhunderts von Ronald Dworkin lautet. Im Gefolge der Bürgerrechtsbewegung hat Robert Cover betont, wie eine Vielfalt gesellschaftlicher Perspektiven um den Sinn des Rechts ringt – wie Recht geschöpft wird und wie es wieder zerstört werden kann.

In den 50 Jahren seit der Entscheidung „Roe gegen Wade“, mit der ein Recht auf Abtreibung aus der Verfassung abgeleitet wurde, ist dieses Ringen fortgesetzt worden. Die Begründung aus dem Recht auf Privatleben war umstritten. In Wissenschaft und Praxis wurde über bessere Gründe diskutiert. 1992 wurde in „Planned Par­enthood gegen Casey“ die gleiche Freiheit und Teilhabe von Frauen am sozialen und politischen Leben betont. Sozial- und Bildungspolitik haben zu einem stetigen Sinken der Abtreibungsfälle beigetragen, das sich jedoch seit 2017 umkehrt. Die Sozialforschung zeigt, wie differenziert die Bevölkerung diese Themen sieht. Lange wurde eine Annäherung an europäische Regelungen angenommen.

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