Vater werden ist doch schwer

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Geburt ist ein Tummelplatz für (Heils-)Lehren. Mann - und Frau - müssen lernen, die eigene Urteilsfähigkeit zu bewahren. Ein Erfahrungsbericht von Otto Friedrich.

Wir sind schwanger. Dieser Satz aus einem vor mehr als 15 Jahren erschienenen Bestseller des deutschen Fernsehmoderators und Linkskatholiken Franz Alt ist mir im Gedächtnis geblieben. Alt hatte sich damals - im Wendejahr 1989 - als Vorreiter jener "Neuen-Mann-Bewegung" geriert, die vor allem die weiblichen Anteile im männlichen Geschlecht ans Tageslicht bringen wollte. Alt beschrieb dies anhand seines Vater-Werdens im besten Mannesalter: Dies sei für ihn eine besondere Erfahrung gewesen - und was für eine! Und da war eben nicht nur die Frau schwanger, sondern auch er, ihr Partner. Wir sind schwanger, hieß es dann also in der "Neuen-Mann-Correctness".

Ich habe es nie geschafft, ein Faible für den Neuen Mann zu entwickeln, und auch in eine Männergruppe, wie sie ab den neunziger Jahren bei fortschrittlicheren Vertretern meines Geschlechts en vogue wurden, bin ich nie hineingeraten. Wenig verwunderlich also: Als meine Frau unseren Sohn erwartete, waren nicht wir schwanger, sondern - wie es althergebracht ist - "bloß" sie, und ich war ein werdender Vater - wahrscheinlich in jenem Alter, in dem Franz Alt auch "seine" Schwangerschaft beschrieben hat (aber das ist wirklich die einzige Gemeinsamkeit, die ich zwischen ihm und mir entdecken kann).

Wirrwarr von Ideologien

Aber auch ohne "Neue-Mann-Weltanschauung" hat sich in den letzten Jahren das Vater-Werden ganz schön gemausert - und unversehens bin auch ich in ein Wirrwarr von Gebär-Ideologien und (Heils-) Lehren geraten. Denn jeder angehende Vater lernt im Nu: Gebären ist heutzutage nicht ein althergebrachtes, über Generationen tradiertes Geschehen, sondern verlangt Auseinandersetzung und vielfältige Entscheidungen - nicht nur von der Frau, sondern gerade und auch vom Mann.

Es ist nicht immer leicht, den kühlen Kopf zu bewahren in diesem Wirrwarr von Lehren und guten Tipps, man könnte Tag und Nacht Bücher wälzen (und muss feststellen, dass die oft genug diametral entgegengesetzte Ratschläge und Einschätzungen zum Besten geben). Dann die Freundinnen der Partnerin und die eigenen Bekannten, die mit guten Tipps nicht geizen. Am wenigsten tauchen elterliche Ratschläge auf, denn seit meiner Elterngeneration haben sich die Anschauungen übers Kinderkriegen stark verändert, und: der Mann hatte im System der Tradition ja nichts zu suchen.

Letzteres ist heute ganz und gar anders. Und das ist gut so. Bei Fragen der Pränataldiagnostik geht die Entscheidungsnotwendigkeit los, dann die Umgestaltung von Wohnraum, die Neuplanung der Lebensumstände und so weiter.

Was nun tun? Hausgeburt oder nicht? Auch das kann zur Heilslehre werden, die den Pragmatiker, der leise Zweifel äußert (ob es nicht besser ist, medizinische Infrastruktur in der Nähe zu haben, denn immerhin ist das Gebären doch ein hochkomplexes Geschehen, und warum muss man sich mutwillig weitab aller Hilfsmöglichkeiten begeben?) verwünscht; denn nur zu Hause könne das Gebären zum wirklichen Erlebnis werden, aber das versteht Mann ja nicht ... Ambulant im Spital oder stationär? Und welches Spital? Man informiert sich; aber über alle Krankenhäuser, die in die nähere Wahl kommen, gibt es im Bekanntenkreis gleichermaßen Schauergeschichten wie Erzählungen in den höchsten Tönen.

Das ausgesuchte Haus offeriert dann drei verschiedene Geburtszimmer - farbpsychologisch eingerichtet: eines in Blau (Motto: "Das Fest des Lebens feiern!"), eines in Gelb (Motto: "Offenen Herzens ein Kind empfangen!"), eines in Rot (Motto: "In stiller Liebe Leben schenken!"). Und soll man dann die "eigene" Hebamme mitbringen oder mit der diensthabenden vorlieb nehmen?

Mut zum Hausverstand

Klingt kompliziert. Ist es auch. Und macht doch Mut, mit der Partnerin zu eigenständigen Entscheidungen zu kommen. Wenn die Eltern in spe etwas in dieser Zeit lernen, dann - trotz aller Tipps und aller Literatur - den eigenen Einschätzungen zu trauen und den Hausverstand zu nutzen, den alle Geburts-Bücher-Lektüre keinesfalls übertünchen sollte. Solche Erkenntnis lässt einen nicht wieder los, denn die Geburt ist ja nur der Anfang; die einander widersprechenden Tipps gehen, wenn der Erdenbürger da ist, erst recht los.

Kommt die Frage: Wo soll Mann dann bei der Geburt sein? Ist das heutzutage nicht geklärt? Frauenbewegte wie Verfechter(innen) der "Sanften Geburt" neigten dazu, die Männer wieder aus den Kreißzimmern zu verbannen, liest man; Geschichten von herumnervenden Partnern, die der Gebärenden das Leben schwer machen, schwirren herum, und auch, dass das Gebären ganz und gar Frauensache sei.

Einspruch. Wenn Mann das Leben mit der Partnerin teilt, dann soll er sie in diesen zentralen Momenten ohne Not allein lassen? Aber auch hier das Plädoyer für Pragmatik: Wenn es der Partnerin gut tut, dann gehört Mann an den Geburtsstuhl. Und wieder: Keine Ideologie daraus werden lassen.

Der "Sterngucker" kommt

Endlich: Das monatelang erwartende Geschehen beginnt. Mann stoppt die Zeiten zwischen den Wehen und deren Länge. Auf ins Krankenhaus, die Geburt hat begonnen. Keine Zeit mehr, nur einen Moment darüber nachzudenken, ob rotes oder gelbes oder blaues Gebärzimmer. Die Wehen kommen und gehen, auch Mann kommt ins Schwitzen, versucht die Partnerin zu unterstützen. Die Hebamme gibt wehenstärkende Mittel (auch darüber gibt es Schulen und Lehren, ob das sein soll oder nicht ...), Erschöpfung, denn der Kopf des Kleinen sitzt fest - "Sterngucker" wird das die Hebamme später nennen und "Hochnäsiger" , weil er den Kopf nach oben gedreht hat und im Geburtskanal steckt. Also: Kaiserschnitt, auf in den Operationssaal - was, wenn das jetzt eine Hausgeburt wäre? - , banges Warten, dann bringt die Hebamme den winzigen Zwerg und legt ihn in meine Arme. Jetzt Vater. Immer Vater. Die Mutter wird noch versorgt, erst eine gute Stunde später, aber dann glücklich, sind wir alle drei vereint.

"Das Schlimmste, was mir passieren könnte, wäre, wenn mein Kind per Kaiserschnitt zur Welt käme", meint eine Freundin zu meiner Frau. Klarer Fall von Ideologin der Sanften Geburt. Noch ein Grund mehr, solcher Einflüsterung nicht stattzugeben.

Keine Frage: Wir waren nicht schwanger. Aber wir haben gelernt - ohne jeden Rat gleich ausschlagen zu wollen - uns zu entscheiden, und uns dabei auf unsere eigenen Einschätzungen zu verlassen. Als Mann habe ich da gehörig mitzutun.

meingültigkeitsanspruch der männlichen Perspektive auf die Wirklichkeit ausdrücklich zurücknimmt, eröffnet nämlich den Raum für eine im Dialog, besser Polylog gewonnene erneuerte Sicht des Ganzen. Zum Beispiel eben der vorerst verschwiegenen oder verzerrt wahrgenommenen menschlichen Anfänglichkeit. Einige Frauen haben sich bereits, unbeeindruckt von der anhaltenden Weigerung des wissenschaftlichen Mainstream, die geforderte Wendung zu vollziehen, auf den Weg gemacht. Ob sich allerdings Hanna Strack mit ihrem neuen Konzept der "Frau als Mitschöpferin" schon weit genug von der feministischen Tendenz zur Überhöhung der Gebärfähigkeit entfernt hat, wird zu diskutieren sein. (Hunderte von atemberaubenden Doktorarbeiten sind zu schreiben.)

Als förderlich für das theologische Weiterdenken wird sich sicherlich erweisen, dass der biblische Text und die christliche Tradition einen reichen Schatz an möglichen Anknüpfungspunkten bereithalten. Die Geschichte von der Geburtlichkeit Gottes, die gleichzeitig eine Geschichte vom Gebären des Göttlichen ist, müssen wir jedenfalls nicht selbst erfinden, denn sie steht im zweiten Kapitel des Lukasevangeliums und enthält diesen Kernsatz: "Und sie gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe" (Lk 2,7a). - Die postpatriarchale Theologie göttlicher Geburtlichkeit könnte mit diesem Satz beginnen: "Und Jesus schrie laut ..." (Mt 27, 5) und lebte.

Die Autorin ist protestantische Theologin und lebt in der Schweiz.

BUCHTIPPS:

Die symbolische Ordnung der Mutter.

Von Luisa Muraro. Neuausgabe mit einem Interview von Ida

Dominijanni und aktuellem Nachwort der Autorin. Christel Göttert Verlag, Rüsselsheim 2006. 186 Seiten, brosch., € 15,-

Mannsbilder. Kritische Männerforschung und theologische Frauen-

forschung im Gespräch.

Von Marie-Theres Wacker und Stefanie Rieger-Goertz (Hg.). Lit-Verlag, Berlin 2006. 392 Seiten, geb., € 25,60

Die Frau ist Mit-Schöpferin

Eine Theologie der Geburt.

Von Hanna Strack. Verlag Christel

Göttert, Rüsselsheim 2006., 357

Seiten, € 19,80

Die Fotos dieses Dossiers entstammen einem Bildband, für den der Fotograf Michael Appelt sieben Geburten mit der Kamera begleitet hat.

GEBURTEN. Fotografien von Michael Appelt. Mit Texten von Wolfgang Huber-

Lang. Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2003. 211 S., geb., € 28,80

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