Verbrechen am Puls der Zeit

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Die rasanten technologischen Veränderungen stellen die Kriminaltechnik vor neue Herausforderungen. DIE FURCHE erhielt Einblick in die Welt der Kriminalisten.

Neben Feldstecher, Lupe oder Maßband fanden sich in den ersten Tatortkoffern um 1900 allerlei Objekte: Strümpfe, falls die Füße des Kommissars nass werden sollten, Zigarren, um den Gestank bei der Leichenobduktion zu übertünchen, oder Bonbons zur Bestechung von Kindern. Ein Kreuz mit Kerze hatten die Kommissare von einst dabei, um Zeugen zu vereidigen: Leute, die unter dem Verdacht standen, zu lügen, mussten schwören, die Wahrheit zu sagen. Noch skurriler muten die "kriminaltechnischen Taschen“ der ehemaligen DDR an: Mit der Totenkralle wurden Finger der Leiche für einen Abdruck geradegebogen. Ein roter Lippenstift sollte die Leiche für ein Foto am Tatort verschönern. Inzwischen gibt es Spezialkoffer für jeden Einsatzzweck. Denn Globalisierung und Digitalisierung machen eine Spezialisierung der Kriminaltechnik erforderlich.

Globale und virtuelle Tatorte

Heute sind Kriminalisten mit globalen und virtuellen Tatorten konfrontiert: "Oft beginnen die Ermittlungen mit der Beschlagnahmung einer Festplatte oder der Durchsuchung eines Computers“, weiß Rolf Ackermann von der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik. Gerade bei Cyberkriminalität und Wirtschaftsverbrechen sei die internationale Zusammenarbeit der Behörden nötig: "Die genauesten Daten nützen bei der Ermittlung nichts, wenn man nicht darauf zugreifen kann“, sagt Kriminologe Christian Bachhiesl von der Universität Graz.

Die Kriminaltechnik hat in den vergangene Jahren einen enormen Schub erfahren: "Die moderne Computertechnik ist extrem hilfreich bei der Durchforstung großer Datenmengen oder auch, wenn wir durch die Handyortung das Bewegungsprofil einer Flucht nachzeichnen können“, erklärt Max Edelbacher, ehemaliger Leiter der Kriminaldienststelle in Wien. "Im Bereich der Sprach- und Schrift-analysen und der Erstellung von Täterprofilen hat sich viel getan.“

Die Rechtsmedizin ist ebenfalls mit neuen Aufgaben konfrontiert: Dazu zählen der Nachweis medizinischer Behandlungsfehler oder synthetischer Drogen als Todesursache. Suizidforen im Internet sind ein neues Thema: "Dort kann man Anweisungen zu Selbstmord-Methoden finden“, berichtet Rechtsmediziner Stefan Pollak von der Universitätsklinik Freiburg. "Auch die Misshandlung und Vernachlässigung pflegebedürftiger Menschen bereitet uns zunehmend Sorge“, so Pollak. International sei man vermehrt mit der Identifizierung der Opfer von Katastrophen oder terroristischen Angriffen und mit dem Nachweis von Folterspuren konfrontiert.

DNA-Spur ist Indiz, kein Beweis

Seit den späten Achtzigerjahren können biologische Spuren individualisiert ausgewertet werden und so auf den Täter verweisen. "Inzwischen reichen geringe Mengen an DNA zur Analyse aus“, berichtet Christian Grafl, Professor für Kriminologie an der Universität Wien. "Dennoch ist eine DNA-Spur nur ein Indiz und kein Beweis. Klassische Aufklärungsmethoden haben nach wie vor ihre Berechtigung“, sagt der Grazer Kriminologe Bachhiesl. Der Fingerabdruck, mit dem bereits seit 150 Jahren gearbeitet wird, bewähre sich nach wie vor. "Durch technische Neuerungen meint man bei der Kripo Personal einsparen zu können. Das ist genauso eine Fehleinschätzung wie der Glaube, die Polizei benötige keine wissenschaftlich fundierte kriminalistische Ausbildung“, kritisiert Harald Bröer, pensionierter Kriminalhauptkommissar des Landeskriminalamtes Brandenburg.

Modernste technische Methoden seien nicht automatisch die besten: "Wenn es etwa um den Vergleich von Fingerabdrücken geht, können automatisierte elektronische Verfahren nicht den Experten ersetzen, der sich mit der Lupe die Fingerabdrücke anschaut“, räumt Kriminologe Grafl ein. Auch bei der Identifizierung von Unterschriften bereitet die fortschreitende Digitalisierung Probleme: "Immer mehr Unterschriften entstehen auf Tablets anstatt auf Papier. Die meisten elektronischen Signaturen sind aber für einen Vergleich der Handschriften unbrauchbar“, so Grafl.

Kriminalist Edelbacher gibt zu bedenken, dass am Anfang und Ende jedes digitalen Arbeitsprozesses noch immer der Mensch stehe. Nach den Terrorangriffen des 11. Septembers hat man etwa versucht, sämtliche Telefonate zwischen den USA und dem arabischen Raum zu überprüfen. "Das war zwar technisch möglich, doch man ist an den menschlichen Ressourcen gescheitert, weil nicht genügend Dolmetscher zur Verfügung standen“, sagt Edelbacher.

Die kriminalistische Arbeit ist langwieriger als es in Fernsehserien wie "CSI“ dargestellt wird. "In der Realität können Vernehmungen tagelang dauern und sich die Ermittlungen über Monate oder gar Jahre ziehen“, weiß Kriminalist Harald Bröer. Verfolgungsjagden und Schusswechsel, wie sie im Hauptabendprogramm nicht fehlen dürfen, seien in der Praxis die Ausnahme. "Kommissare erledigen weniger aktionsreiche Aufgaben wie, Türklinken putzen, also Wohnung für Wohnung aufzusuchen, um etwa Zeugen zu ermitteln“, erzählt Bröer.

Dürre Lage an Ermittlungen

Auch falsche Fährten erschweren die kriminalistische Arbeit: "In der Realität ist die erste Spur nicht gleich die heißeste. Wir haben viele Zufallsfunde, die mit der Tat in keinem Zusammenhang stehen“, berichtet Polizeijurist Edelbacher. Weitere Probleme bereiten ein großer Verdächtigenkreis sowie die sogenannte "dünne Suppe“, eine mangelnde Beweislage. "Raffinierte Strafverteidiger und intelligente Täter erschweren die Ermittlungen zusätzlich“, erzählt Edelbacher. Sich von der Arbeit emotional abzugrenzen, sei eine weitere Herausforderung: "Besonders tragisch ist es, wenn Kinder Opfer von Verbrechen werden. Kriminalisten tragen ihre Arbeit oft lange Zeit im Kopf mit sich und müssen nervlich damit fertig werden“, berichtet Harald Bröer aus eigener Erfahrung.

Die Darstellung der Ver-brechensaufklärung in CSI-Serien sei vor allem der Produktion von Sicherheitsgefühlen dienlich: "Solche Serien vermitteln den Eindruck, dass Eingriffe in die Bürgerrechte, wie etwa Rasterfahndungen oder Lauschangriffe, notwendig wären, um bei der Ermittlung erfolgreich zu sein“, kritisiert Kriminologe Christian Bachhiesl.

Gefühl der ständigen Bedrohung

Auch sein Hamburger Kollege Christian Wickert schlägt in diese Kerbe: "Obwohl das objektive Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, sinkt, führen Phänomene wie Cyberkriminalität und Terrorismus zu einem Gefühl der permanenten, latenten Bedrohung.“ Diese Fehleinschätzung der Sicherheitslage habe weitreichende Folgen: "In vielen westlichen Gesellschaften - vor allem in den USA und Großbritannien - können wir eine zunehmende Kontroll- und Straflust der Bevölkerung beobachten“, konstatiert Wickert. Ein Zufall, dass sämtliche neue US-Krimi-Serien nach den Terrorangriffen des 11. Septembers aufgekommen sind?

Die Cyberkriminalität boomt

Die Straftaten im Internet sind zwischen 2010 und 2011 um 15 Prozent gestiegen, die Aufklärungsquote ist jedoch um 5 Prozent gesunken.

Die Betrugsdelikte im Internet sind um rund 36 Prozent gestiegen. Hacking, die Schaffung eines unberechtigten Zugangs zu Computersystemen, ist um 70 Prozent öfter angezeigt worden. Die Anzeigen wegen Kinderpornografie sind um 59 Prozent gestiegen.

Die häufigsten Straftaten 2012

Folgende Delikte wurden zwischen Jänner und September 2012 in Österreich am häufigsten angezeigt:

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