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Verdrängte Schattenseiten einer Festspielstadt

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Wieviele Menschen den kommenden Winter auf Straßen und Plätzen der Stadt Salzburg verbringen werden, ist nur schwer schätzen: „Zwischen 100 und 200 werden es wohl sein", vermutet Heinz Schoibl vom Salzburger Institut für Alltagskultur. Bund 50 Initiativgruppen bemühen sich zu verhindern, daß die Obdachlosigkeit im Winter Tote fordert. Zu diesen Institutionen in Salzburg gehören etwa die Lebenshilfe, die Sozialstation der Caritas am Bahnhof, das Frauenhaus, der Zivilinvalidenverband, aber auch die Alkoholikerhilfe, „Pro-Mente-In-firmis" oder der Verein „Laube", der Wohnplätze für die Nachbetreuung ehemaliger Psychiatrie-Patientinnen und Patienten anbietet. „Es gibt in Salzburg zwar viele engagierte Initiativgruppen, aber es fehlt die Vernetzung", meint Heinz Schoibl.

Vor allem aber mangelt es an der Bereitschaft der Verantwortlichen der Stadt Salzburg, das Problem überhaupt wahrzunehmen und die Obdachlosen auch nur zahlenmäßig zu erfassen: „Niemand mag hinschauen" , sagt Heinz Schoibl. „Es wäre eine freiwillige Sozialleistung der Stadt, genaue Zahlen zu erheben. Und bei den Sozialleistungen wird gespart."

Das Projekt der Stadt, eine Wohnservicestelle mit 100 Übergangs-Wohnungen zu errichten, sei mißlungen, sagt Schoibl. Entstanden sei eine Verwaltungseinheit, der Sitz des Sozialamtes, mit zwei Wohnungen: „Und die sind zu teuer." Das Land Salzburg, so Schoibl, wäre seit zehn Jahren verpflichtet, Sozialplanung zu leisten. Doch erst seit einem Jahr seien die Dienstposten, nach sechsjähriger Vakanz, wieder besetzt.

Das Bundesland Salzburg hat (laut Volkszählung von 1991) 482.265 Einwohner. Zehn Prozent, das sind rund 50.000 Personen, benötigen professionelle Unterstützung, Beratung und Hilfe etwa bei der Schuldenregelung. Ein Prozent der Bevölkerung, das sind rund 5.000 Personen, gehört zu den potentiell und akut Wohnungslosen. Die Menschen in dieser Gruppe benötigen Hilfe bei der Wohnraumsicherung und -erhaltung beziehungsweise Hilfe bei der längerfristigen Sicherstellung adäquater Wohnverhältnisse. 0,35 Prozent, das sind rund 1.750 Personen, benötigen Akuthilfe bei Wohnraumbeschaffung und Unterbringung. Die Obdachlosigkeit konzentriert sich auf die Stadt: „Wer in Salzburg obdachlos ist, steht in der Stadt Salzburg auf der Straße", erklärt Heinz Schoibl. Auch die einzelnen Hilfsangebote bezögen sich demnach auf die Stadt: „Wenn auf dem Land die Integration nicht gelingt, zieht es die Betroffenen in die Stadt. Nur 25 Prozent der Obdachlosen sind in der Stadt Salzburg geboren."

„Für das Jahr 1994 verzeichnen die Beratungsstellen einen Negativrekord: am Bahnhofssozialdienst müssen 62 Prozent der Nachfragen wegen Unterbringung und Wohnversorgung in Fällen akuter Obdachlosigkeit abgewiesen werden." Die Notschlafstelle, die heuer in der alten Feuerwache Maxglan am 15. Dezember wieder aufmachen soll, mußte allein im Februar und März dieses Jahres 93 Mal Personen abweisen.Akut ist der Mangel an einem Tageszentrum, in dem Sanitärräume zur Verfügung stehen, eine günstige Essensversorgung auch für sozial Schwache angeboten oder medizinische Hilfe geleistet werden kann.

Die Autorin

ist freie Journalistin in Salzburg.

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