"Vermeiden, sie noch weiter ins Eck zu treiben"

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Der Innsbrucker Politikwissenschafter Reinhold Gärtner erteilt rechtsextremen Jugendlichen Demokratieunterricht.

Die Furche: Herr Professor Gärtner, in Innsbruck gab es in den letzten zwei Jahren österreichweit die meisten Verurteilungen wegen Übertretungen gegen das Verbotsgesetz. Sie arbeiten seit zehn Jahren mit jugendlichen Neonazis in Tirol, was geht in der Szene vor?

Reinhold Gärtner: Zuerst eine Einschränkung: Ich würde die Betroffenen nicht als Neonazis bezeichnen, sondern als rechtsextreme Szene. Neonazi würde heißen, dass diese Jugendlichen den Nationalsozialismus wiederbeleben wollen - bei der überwiegenden Mehrheit ist das aber nicht der Fall. Fast immer stehen andere Motive im Vordergrund und weniger die Ideologie.

Die Furche: Was für andere Motive sind ausschlaggebend, um Hakenkreuze auf Wände zu schmieren?

Gärtner: Vor allem Provokation. Die Jugendlichen wissen, dass sie mit einem Hakenkreuz mehr als mit allem anderem provozieren können. Teilweise kommt auch Gruppendruck dazu, Alkohol spielt eine Rolle, genauso wie Gewaltbereitschaft. Eine gefestigte ns-Ideologie ist jedoch bei den aller-allerwenigsten dahinter. Sie machen sich ein sehr selektives Bild vom Nationalsozialismus, picken sich manche Punkte heraus, die ihnen passen: die Volksgemeinschaft oder das Zusammengehörigkeitsgefühl; der Holocaust spielt weniger eine Rolle.

Die Furche: Noch einmal zurück zur Ausgangsfrage: Woher kommt es, dass es in Innsbruck in den letzten zwei Jahren 16 Schuldsprüche wegen ns-Wiederbetätigung gegeben hat, in Klagenfurt nur zwei. Legen die Gerichte unterschiedliche Maßstäbe an?

Gärtner: In Tirol ist die Sache nicht dramatischer als anderswo. Wir haben es in der rechtsextremen Szene ja vor allem mit Gruppen zu tun, und wenn eine dieser Gruppen auffliegt und es zu Verurteilungen kommt, färbt das auf die Statistik ab; im nächsten Jahr kann das schon wieder ganz anders ausschauen. Speziell in Tirol kooperieren Polizei, Gerichte und der Verein Neustart sehr gut und haben die Szene gemeinsam in den Griff bekommen.

Die Furche: Sie bekommen von den Gerichten rechtsextreme Jugendliche zugewiesen, sitzen mit ihnen 15 Stunden und mehr in Vieraugengesprächen zusammen - was reden Sie da?

Gärtner: Mir geht es darum, zu zeigen, was Nationalsozialismus wirklich heißt, und als Antithese dazu die Demokratie zu stellen.

Die Furche: Ihr Auftrag ist, diese Menschen "umzupolen"...

Gärtner: Ich bin kein Missionar. Was ich versuche, ist, den Leuten eine andere Sichtweise mitzugeben, aufzuzeigen, was in einer Demokratie möglich ist und was nicht, und auch zu zeigen, dass nicht alles Schwarz-Weiß ist.

Die Furche: Und wie reagieren die Jugendlichen?

Gärtner: Sie berufen sich meistens auf die Meinungsfreiheit, oder versuchen, ihre Ausländerfeindlichkeit mit Rassenunterschieden zu begründen; sie sind aber durchaus auch für Gegenmeinungen offen und geben schlussendlich zu, dass sie vieles nicht bedacht haben. Der Vorteil ist, dass wir in einem geschütztem Raum reden, da dringt nichts nach außen; die Leute bekommen von mir nur eine Bestätigung, dass sie den Kurs gemacht haben.

Die Furche: Sind diese Jugendlichen von Älteren beeinflusst, oder haben sie ideologische Schulungen hinter sich?

Gärtner: Das ist mir nicht untergekommen. Die Jugendlichen holen sich das Material eher selber. Sehr viel läuft über das Internet. Oder man kommt über Personen in die Szene. Mit bestimmten Frustrationen fängt es an, man findet dann eine Gruppe, Gleichgesinnte. Gemeinsam kann man provozieren, anders sein durch Outfit und Gehabe. Viele kommen auch ganz zufällig in die Szene: Einem gefällt die Musik oder der Text dazu, die ausländerfeindlichen Parolen werden anfangs halt mitgenommen - und dann rutscht man mehr und mehr hinein.

Die Furche: Sehen Sie derzeit einen großen Grund zur Besorgnis?

Gärtner: In der Szene sehe ich in Österreich keinen Grund zur Besorgnis. Was mich besorgt, sind andere Personen, Stichwort: Gudenus. Leute, die in politischen Positionen so leichtfertig mit dem nationalsozialistischen Gedankengut umgehen und damit der Jugend völlig falsche Signale senden. In den 1990er Jahren war Haider für viele Jugendliche aus dieser Szene das Idol, das ist jetzt schwächer. Und ich bin ja gespannt, wie die Gerichte über die "Gudenuse" im Vergleich zu den Jugendlichen urteilen.

Die Furche: Wie soll die Gesellschaft auf Rechtsextreme reagieren?

Gärtner: Weder bagatellisieren noch dramatisieren. Den Leuten müssen wir deutlich sagen, dass es Grenzen gibt. Wir müssen ihnen aber gleichzeitig auch eine Chance geben, dass sie da rauskommen können, und vermeiden, sie noch weiter ins Eck zu treiben. Nur bei ganz wenigen ist das aussichtslos, beim Großteil ist es sehr wohl möglich, sie aus diesem Eck herauszuholen.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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