Verschwiegener Seelenschmerz

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In Österreich sterben noch immer mehr Menschen durch Selbstmord als im Straßenverkehr. Anlässlich der weltweit dramatischen Zunahme von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen fordert die WHO am Weltgesundheitstag (7. April) ein Ende der Diskriminierung Betroffener.

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In Österreich sterben noch immer mehr Menschen durch Selbstmord als im Straßenverkehr. Anlässlich der weltweit dramatischen Zunahme von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen fordert die WHO am Weltgesundheitstag (7. April) ein Ende der Diskriminierung Betroffener.

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Schlimmer als eine psychische Erkrankung selbst ist das Stigma, weiß Werner Schöny, ärztlicher Leiter des Landesnervenkrankenhauses Wagner Jauregg in Linz: "Viele haben Vorurteile, können nicht zu ihrer Krankheit stehen oder verschweigen sie." Dabei ist der Leidensdruck enorm: Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO zählen Depressionen gemeinsam mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Krankheitsbildern. Rund 340 Millionen Menschen leiden weltweit unter Depressionen. Allein in Österreich klagen 800.000 Menschen, mehrheitlich Frauen, über Traurigkeit, Freud- und Antriebslosigkeit. Ein mitunter tödlicher Gefühlscocktail: So sind 60 Prozent aller Selbstmorde - im Jahr 1999 immerhin 1.554 gegenüber 1.079 Toten im Straßenverkehr - auf Depressionen zurückzuführen. Nicht nur krankhafter Seelenschmerz, auch Suchtkrankheiten sind hierzulande weit verbreitet. Fünf Prozent der Bevölkerung gelten als alkoholabhängig - und haben in der Folge ein bis zu 20faches Selbstmordrisiko.

Auch bei der Schizophrenie unterscheidet sich Österreich nicht vom Rest der Welt: Einer von hundert leidet unter dieser Krankheit. Rund drei Prozent der Bevölkerung sind schließlich so schwer psychisch krank, dass eine stationäre Behandlung für sie in Frage kommt. Nicht immer führt diese Patienten jedoch der Weg auf die richtige Krankenhausstation: Nach einer österreichischen Studie wird rund ein Viertel der Depressionspatienten fälschlicherweise in einer Internen Abteilung behandelt. Grund dafür sind nicht Fehldiagnosen, sondern noch immer die verbreiteten Be-rührungsängste mit der Psychiatrie.

Schamhaftes Schweigen und Leiden ist jedoch der falsche Weg, betont Schöny: "Wir wollen erreichen, dass Depressive wie Rheumapatienten sagen: ,Ich habe Beschwerden, also gehe ich in Behandlung.'" Ihnen kann mittlerweile geholfen werden: In 80 Prozent der Fälle führt die kombinierte Behandlung mit der dritten, nebenwirkungsärmeren Generation von Psychopharmaka sowie einer Psycho- oder Soziotherapie zu sehr guten Ergebnissen. Nicht umsonst können sich die Pharmakonzerne bei Psychopharmaka über jährliche Absatzzuwächse von zehn Prozent freuen. Neue Therapien können also Abhilfe schaffen. Bei psychischen Erkrankungen von "Heilung" zu sprechen, ist jedoch nach Schöny problematisch: "Wie bei anderen Krankheiten können die Symptome immer wieder auftreten. Das größte Problem ist, dass die Leute bei einer Besserung sofort mit der Medikamenteneinnahme aufhören." Verabschieden müsse man sich von der Vorstellung, dass psychiatrische Stationen von Langzeitpatienten "bewohnt" würden: "Bei uns sind die Patienten durchschnittlich zwei Wochen. Wenn nötig werden sie dann ambulant in Wohneinrichtungen betreut."

Dutzende psychosoziale Einrichtungen und rund 5.000 eingetragene Psychotherapeuten bieten österreichweit Hilfe in psychischen Notsituationen. Die österreichweite Psychotherapie auf Krankenschein lässt jedoch noch immer auf sich warten, klagt Margret Aull, Präsidentin des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie: "Noch warten wir."

Informationen unter: www.nein-zur-depression.at (mit Selbsttest) und www.psychotherapie.at

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