#Viele würdigen zwar unsere Arbeit, wollen aber die Armut nicht sehen#

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Caritas-Präsident Franz Küberl macht in seinem Buch #Mein armes Österreich# jene sichtbar, die am Rande der Gesellschaft stehen. Kritik übt er am Ton von Politikern, wenn sie über Bezieher der Mindestsicherung reden.

Franz Küberl hat eine zentrale Botschaft: Niemand könne sein Leben ohne Hilfe anderer meistern. Darum gehe uns Armut auch alle an, sagt der 57-jährige gebürtige Grazer, der seit 1995 die katholische Hilfsorganisation Caritas Österreich leitet. Der Glaube mancher, alles allein im Leben schaffen zu können, nennt Küberl den #wahrscheinlich härtesten Irrglauben der Welt#.

Die Furche: Herr Küberl, warum haben Sie dieses Buch geschrieben? Wird die Armut in diesem Land immer größer?

Franz Küberl: Die Armut ist seit einiger Zeit leider im Wachsen, das spüren wir als Caritas auch, etwa in unseren Sozialberatungsstellen. Ich wollte mit diesem Buch aufzeigen: Wer sind die Menschen, die in Not sind, und wer sind jene, die diesen, die in Not sind, helfen, damit sie wieder rauskommen. Zudem wollte ich aufzeigen, dass wir alle etwas gegen diese Not tun können.

Die Furche: Sie nennen Ihr Buch #Mein armes Österreich#. Österreich gilt als wohlhabendes Land. Wird die Armut hierzulande verdrängt, soll Armut für viele auch nicht sichtbar sein?

Küberl: Ja. Darin liegt auch die Grundspannung der Caritas. Wir haben zwei Gesichter: Einerseits helfen wir Armen. Diese Arbeit wird von der Gesellschaft sehr anerkannt. Am liebsten hätte es aber der wohlhabendere Teil, dass man von diesen Armen nichts sieht. Reibung entsteht dort, wo die Caritas erzählt, wie es den Armen geht und diese Menschen und ihre Nöte sichtbar macht. Ich halte sehr viel davon, diese Armut sichtbar zu machen. Nur dann gelingt es, bewusst zu machen, dass wir als Mitmenschen eine Generalaufgabe haben, dass wir mitwirken müssen, um gemeinsam etwas gegen Armut zu tun.

Die Furche: Leben wir in einer egoistischen Gesellschaft? Wurde der Wert der Nächstenliebe unwichtiger?

Küberl: Mit der Entwicklung des Menschen gab es immer auch eine soziale Weiterentwicklung, die mithilft, dass wir aus Nächstenliebe und Solidarität handeln. Natürlich gibt es aber auch Egoismus, Geiz und Neid. Im Buch von Erwin Ringel über die Seele der Österreicher werden die Menschen hierzulande anhand zweier Herzkammern beschrieben: Die eine ist ein freundliches Wohnzimmer, wo man gerne zeigt, wer man ist. Die andere ist eine dunkle Rumpelkammer, wo man niemanden hineinlässt. Das ist ein gutes Bild, um das zu beschreiben. Auch Claudio Magris hat bei den heurigen Salzburger Festspielen vor dem Drama des Nicht-Wissenwollens gewarnt. Es gibt Leute, die wollen nicht wissen, dass andere in schwierigen Situationen sind.

Die Furche: Wie kann man diese erreichen?

Küberl: Das geht nur, indem auch diese Menschen begreifen, dass sie andere Menschen brauchen, um selbst leben zu können. Zu glauben, alleine besser zurecht zu kommen, ist wahrscheinlich der härteste Irrglauben der Welt. Am Anfang und am Ende des Lebens braucht der Mensch andere, damit die Würde des Menschen gesichert wird. Aber auch bei Krankheit und Unfall wird einem bewusst, wie sehr man andere braucht.

Die Furche: Inwiefern ist Kinderarmut für die Caritas ein Thema?

Küberl: Es ist ein reales Problem und logischerweise eine Folge von Elternarmut. Wir begegnen dieser Armut beispielsweise in unseren Mutter-Kind-Häusern, in Obdachlosenhäusern für Frauen, in der Sozialberatung, wenn es um finanzielle Unterstützungen und Schulfragen geht. Kinder, die in Armut aufwachsen, haben weniger Ressourcen für den künftigen Lebensweg. Sie erleben zum Beispiel soziale Ausgrenzung. Schon allein ungünstige Wohnverhältnisse führen dazu, dass diese Kinder Freunde nicht einladen können und in der Folge selbst nicht eingeladen werden. Sie haben später auch kein gutes soziales Netz, um etwa eine Arbeit zu finden.

Die Furche: Die EU hat 2010 zum Jahr gegen Armut erklärt. Ist in der Armutsbekämpfung in Österreich etwas weitergegangen?

Küberl: Nur holprig. Ein wichtiger Beitrag wäre die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Diese wurde in drei Bundesländern bereits eingeführt (Wien, Niederösterreich und Salzburg). Sie sollte eine Überbrückungshilfe für Menschen in schwierigen Situationen sein. Dass manche Politiker aber im Jahr der Bekämpfung von Armut derart rüpelhaft über mögliche Bezieher dieser Mindestsicherung reden, hat mich sehr irritiert. Ich weiß nicht, ob allzu viele Politiker daran gedacht haben, dass das ein wichtiger Beitrag zur Eindämmung der Armut sein soll. Zum anderen werden diese 744 Euro nur zwölf statt 14 Mal ausbezahlt. Das macht auch klar, dass viele politisch Verantwortlichen keine Ahnung haben, wie es armen Leuten geht.

Die Furche: Was muss sich im Kampf gegen Armut verändern?

Küberl: Wir brauchen eine zukunftsorientierte Debatte über Maßnahmen, um Armut zu reduzieren. Die beste Mindestsicherung ist Erwerbsarbeit. Wenn aber keine Erwerbsarbeit vorhanden ist, muss es eine Mindestsicherung geben, von der Menschen leben können. Weiters brauchen wir neue Initiativen für sozialen Wohnbau, dieser ist kaum mehr vorhanden. Wir reden immer davon, dass wir mehr Kinder brauchen. Dafür müssen wir aber Voraussetzungen schaffen. Sehr wichtig im Kampf gegen Armut ist das Bildungssystem. Wir wissen durch Studien, dass ein Fünftel der Kinder, die aus armen und armutsgefährdeten Familien stammen, ihre benachteiligte Situation durch Bildung nicht ausgleichen können. Dann gibt es den Bereich Armut und Krankheit, auch das ist ein riesiger Bereich, wo nachgebessert werden muss. Wir wissen aus Studien aus Deutschland, dass arme Menschen um zehn Jahre früher sterben als reiche. In diesen Bereichen kann der Staat und die Wirtschaft viel tun. Es ergeben sich viele Kooperationsmöglichkeiten zwischen NGOs und öffentlichen Einrichtungen.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Mein armes Österreich.

Und wie es reicher sein könnte. Von Franz Küberl. Ueberreuter 2010. 191 Seiten, geb., r 21,90

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