Vielfalt schätzen, Charismen bewahren

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Was ist die Aufgabe katholischer Privatschulen in einer religiös und kulturell immer bunteren Gesellschaft? Österreichs Ordensgemeinschaften stellen sich dieser und anderen brennenden Fragen in ihrem neuen Bildungsreferat. Eine Erkundung.

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Was ist die Aufgabe katholischer Privatschulen in einer religiös und kulturell immer bunteren Gesellschaft? Österreichs Ordensgemeinschaften stellen sich dieser und anderen brennenden Fragen in ihrem neuen Bildungsreferat. Eine Erkundung.

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Im Eingangsbereich des Bildungszentrums Kenyongasse nahe dem Wiener Westbahnhof plätschert ein Brunnen. "De Fontibus Salvatoris" ist auf dem Schriftzug zu lesen, "Aus den Quellen des Erlösers". Es ist jener Leitspruch, den Elisabeth Eppinger wählte, als sie 1849 im elsässischen Niederbronn die Kongregation der "Schwestern vom Göttlichen Erlöser" gegründet hat, um notleidenden Menschen aller Konfessionen zu helfen. Doch was bedeutet dieser Spruch anno 2016 in der multikulturellen Großstadt Wien? "Für uns bedeutet er, jeden Menschen als Ebenbild Gottes wertzuschätzen und offen für alle Menschen zu sein -gleich welcher Religion oder Herkunft", erklärt Schwester Judith Lehner, die den weltweit tätigen Orden im Leitungsteam des Schulzentrums vertritt. "Vielfalt ist unsere Stärke, das ist uns gleichsam in die Ordenswiege gelegt."

Bunte, religiöse Palette

Ein solches Charisma der Offenheit ist in Zeiten wie diesen ein großes Glück: Rund 50 Muttersprachen bringen die 1800 Schülerinnen und Schüler mit, die sich derzeit im Bildungszentrum "Mater Salvatoris" tummeln -sei es in der fünfjährigen Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik (BAKIP) oder im dreijährigen Kolleg, sei es im Kindergarten oder in der Volksschule, in der Neuen Mittelschule, der AHS oder dem Polytechnikum. Auch die Palette religiöser Identitäten ist bunt. Römisch-katholische Kinder erhalten hier ebenso Religionsunterricht wie evangelische, orthodoxe, Kopten, Buddhisten und Muslime.

Wie man im Schulalltag mit dieser Vielfalt offen und wertschätzend umgehen kann, wird nicht nur regelmäßig bei Mitarbeiterinnentagen diskutiert. Es offenbart sich auch im Stiegenhaus. Zum Beispiel an jener Wandtafel, die das Projekt "Aufeinander zugehen" dokumentiert: Es zeigt Fotos von Schülerinnen der BAKIP beim Treffen mit unbegleiteten Flüchtlingsmädchen aus dem Haus Liebhartstal in Wien-Ottakring; daneben ist ein Gedicht von Elfriede Gerstl zu lesen: "Mein Himmel ist nicht voller Geigen, sondern voll Solidarität." Einen Halbstock höher, vor der Direktion der BAKIP, wartet schon eine Traube Menschen. Es sind Eltern und ihre Töchter, die zum Anmeldegespräch für das nächste Schuljahr gekommen sind - darunter auch ein Mädchen mit Kopftuch.

Was bringt etwa muslimische Eltern dazu, ihr Kind an einer katholischen Privatschule anzumelden? "Viele haben bei den Anmeldegesprächen gesagt, dass ihnen gerade unsere Wertevermittlung wichtig ist", berichtet BAKIP-Direktorin Maria Habersack. Um den verschiedenen Herkünften der Schülerinnen Rechnung zu tragen -und sie für ihre Arbeit mit Kindern aller möglichen Kulturen vorzubereiten -, wird großer Wert auf eine interreligiöse Perspektive gelegt. Im Fach Zeichnen und Werken studieren muslimische und katholische Schülerinnen gemeinsam Gotteshäuser; im Fach Religion fragt man nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden bei Ritualen; und im gesamten Bildungszentrum werden Schulfeiern vermehrt interreligiös gestaltet. "Das ist aber an einer katholischen Schule immer auch

ein Balanceakt", erklärt AHS-Direktor Thomas Leszkovich. Als zuletzt nicht nur die Schulanfangs-und Schulschluss-,sondern auch die Weihnachtsfeier interreligiös zelebriert wurde und die Messe entfiel, hat das bei einzelnen Eltern auch Kritik ausgelöst. "Wir leben eben in einem Spannungsfeld zwischen Vielfalt und unserer eigenen Identität als katholische Privatschule", weiß Maria Habersack. "Aber das Ordenscharisma der Offenheit hilft uns hier sehr weiter."

Spirituelle Prägung erhalten

Fünf Ordensfrauen helfen in der Kenyongasse noch mit, dieses Charisma zu entfalten: drei sind es im Unterricht, zwei an der Pforte. An vielen anderen Ordensschulen sind freilich nur noch Laien tätig. Um zu verhindern, dass mit dem drastischen Rückgang der Ordensleute auch die spezifische, spirituelle und kulturelle Prägung dieser Schulen verschwindet, haben die Ordensgemeinschaften Österreichs nun ein eigenes Bildungsreferat gegründet. "Die Orden haben in der Bildungsgeschichte eine so reiche und wichtige Rolle gespielt, dass der Mangel an Ordensleuten dieses Geschenk nicht einfach beenden soll", erklärt Rudolf Luftensteiner, der Leiter des neuen Referats. Bisher war er Geschäftsführer der Vereinigung der Ordensschulen Österreich, die als Träger für 23 Schulen in sechs Bundesländern fungiert; nun ist er für die Vernetzung und Unterstützung aller 282 österreichischen Ordensschulen mit ihren etwa 50.000 Schülerinnen und Schülern zuständig.

Angesichts der zunehmenden religiösen Vielfalt versteht er katholische Ordensschulen heute als "Begegnungs-und Erfahrungsraum, in dem das Gute und Sanfte im Menschen wachsen kann" - bzw. auch als "offenes Angebot für Menschen, sich an einem bestimmten Lebenskonzept zu orientieren". Eine besondere Bedeutung kommt hier der Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu, die - wie ihre Schülerinnen und Schüler -heute immer öfter keine kirchliche Sozialisation durchlaufen haben oder ohne religiöses Bekenntnis sind.

Wie wichtig aber gerade heute interreligiöse Bildung und Auseinandersetzung ist, zeigt sich Tag für Tag in den Nachrichten. Umso mehr wünscht sich Rudolf Luftensteiner ein Umdenken in der momentanen Bildungsdebatte: "Gute Schule erfüllt für mich zwei Grundkategorien: Qualifizierung und Kultivierung", sagt er im FURCHE-Gespräch. "Die größte Gefahr sehe ich darin, dass man in Zeiten von Pisa-Tests und strukturellen Reformen die Kultivierung weglässt und sich gar nicht mehr die Frage stellt: Was wollen wir überhaupt mit Bildung? Die Menschen so auszubilden, dass sie später als bloße Humanressource für die Wirtschaft gut abholbar sind, kann doch nicht unser Ziel sein."

Wo liegen meine Wurzeln? Was sind meine Werte? Setze ich mein Wissen nur ein, um mein Gehalt zu optimieren -oder um für eine gerechte, offene Gesellschaft zu arbeiten? Fragen wie diese müssten sich Jugendliche heute mehr denn je stellen, meint Luftensteiner -und in Ordensschulen würden sie seit jeher thematisiert. Junge Menschen, die hier ein Lebenskonzept finden, in dem sie gut verankert sind, könnten später auch die Offenheit gegenüber anderen Konzepten besser leben, ist er überzeugt.

"Besonderer, wertschätzender Geist"

In der Kenyongasse bemüht man sich täglich um diese Verankerung und zugleich um Offenheit. Etwa beim Morgengebet, das auch einmal aus Atemübungen oder einem Text Mohammeds bestehen kann; oder im Projekt "Soulspace" der Erzdiözese Wien, bei dem sich Volksschulkinder zurückziehen können, um ihre eigene Spiritualität und auch die der anderen zu entdecken; oder in jenen Workshops, in denen sich Lehrkräfte und Direktoren intensiv mit dem Leitbild des Ordens befassen. "Wenn man hier hereinkommt, merkt man diesen besonderen, wertschätzenden Geist", ist Maria Habersack überzeugt. Vielleicht sind es in 20 Jahren nur noch Laien, die ihn weitertragen; vielleicht sind es aber auch junge Ordensschwestern aus der Slowakei oder Afrika. Wie heißt das Motto in der Kenyongasse so schön: "Vielfalt ist unsere Stärke."

Diese Seite entstand in Kooperation mit den Ordensgemeinschaften Österreich. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei der Furche.

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