Vom einsamen Reisen

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Bernhard Hütteneggers Phantasie-Ausflüge zu literarischen Orten und ans Ende der Welt.

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Bernhard Hütteneggers Phantasie-Ausflüge zu literarischen Orten und ans Ende der Welt.

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Man sollte alleine reisen, auch nicht zu Hause anrufen (die telephonische Leine lösen) - man ist sonst nicht richtig da! In einer Gruppe bewegt man sich quasi in einer heimatlichen Enklave, spricht untereinander in der Muttersprache (bleibt somit an der Nabelschnur). Briefbotschaften nach Hause genügen. Flaschenpost. Allein zu reisen heißt Erwachsensein. Das Wagnis sich auszusetzen, lohnt..."

Gedanken eines Inselsüchtigen. Der österreichische Autor Bernhard Hüttenegger, 1948 in Rottenmann in der Steiermark geboren, lässt den Leser in seinem neuesten Buch "Die Unschuld am Morgen - Reisen und Schreiben" teilhaben an dieser einsamen Art des Reisens. Seine Leidenschaft gilt Inseln, je weiter weg vom Touristenrummel, desto besser. Es gibt sie noch, die unverdorbenen stillen Gegenden, auf manchen griechischen Inseln, vor Irland, auf den Hebriden vor Schottland. Hüttenegger hat aber auch auf großen Inseln, etwa im Süden Kretas oder auf Sizilien, "irdische Reste vom Paradies" entdeckt. Man könnte ihn einen Egoisten der Einsamkeit nennen, schriebe er nicht so einfühlsam, so klug, so teilnehmend, und hätte er nicht ein Geheimnis preisgegeben: die "richtige Wahrnehmungsgeschwindigkeit".

Hüttenegger weiß, was viele von uns vergessen haben: Manche Landschaften erschließen sich nur dem Wanderer, nicht dem Autofahrer. So der Südwesten Irlands: "Eine innere Straffung bewirkt die Begegnung mit dieser elementaren Landschaft. Allein zwischen Himmel und Erde entdeckt man eine Art Alm- oder Heidelandschaft, in der sowohl Pflanzen aus dem Mittelmeerraum als auch aus der Arktis vorkommen, ständig überweht von einem scharfen Wind."

Hüttenegger hat nicht nur ein Auge für die Natur, er formt ebenso eindringliche Städtebilder: Siena, Amsterdam, Agrigent, Edinburgh. Im dortigen "Writers' Museum", der Kultstätte für das Dreigestirn der schottischen Literatur Robert Burns, Walter Scott, Robert Louis Stevenson, "zeigt sich wieder einmal, welch achtungsvollen Stellenwert schöpferische Autoren, auch die gegenwärtigen, im irisch-angelsächsischen Raum haben, während sich im deutschsprachigen karrieregierige Sekundärliteraten auf Kosten der existenziellen Dichter mästen."

Hart, aber wahr. Dieser reisende und schreibende Frühaufsteher erliegt nicht der Gefahr, alles zu verklären. So erfährt der Leser, "dass Sondermüll aus ganz Italien nach Sizilien deponiert wird, nicht weil die Bestimmungen hier weniger streng wären, sondern die Kontrollen laxer erfolgen." Angenehm gebildet, nicht bildungsschwer, schreibt er über das, was die Orte für die Einheimischen wichtig machen: Dorchester, die Hauptstadt der südenglischen Grafschaft Dorset, stellt er vor allem als Heimat des Verfassers tragischer Romane Thomas Hardy vor; Hamsund innerhalb des Polarkreises als Geburtsort des Norwegers Knud Petersen, der sich später Knut Hamsun nannte. Hamsun war wegen seiner Treue zu allem Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg bei seinen Landsleuten in Acht und Bann. Von Hüttenegger erfährt man, dass sich die Norweger jetzt zögernd wieder zu ihrem großen Dichter bekennen.

Wer kann und will so reisen wie dieser Autor? Wahrscheinlich mehr Leute als es zugeben. In St. Ives, der schönsten Stadt Cornwalls, wo der englische Romancier D. H. Lawrence während des Ersten Weltkrieges Zuflucht fand, schrieb Lawrence an die Schriftstellerkollegin Katherine Mansfield: Ich habe aufgehört, mich mit der Welt und den Leuten abzugeben, bin damit fertig ... Ich werde nicht mehr um irgend etwas kämpfen und ringen - fort wie ein Distelflaum, irgendwohin, nichts mehr mit der Welt zu schaffen habend, keine Bindungen mehr. Alles Liebe!" Auch der nicht so radikale Weltflüchtling wird beim Lesen dieses Buches etwas vom Einschicht-Syndrom ahnen. Phantasie-Ausflüge an den Rand der Welt.

Die Unschuld am Morgen. Reisen und Schreiben Von Bernhard Hüttenegger, Edition Va Bene, Klosterneuburg 2000 184 Seiten, geb., öS 298.- / e 21,66

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