Vom Ende der Tanten

19451960198020002020

Der Verein "Kinder in Wien" bietet mit dem Studiengang "BABE+" erstmals eine elementarpädagogische Ausbildung auf Hochschulniveau. Ein Kurzbesuch.

19451960198020002020

Der Verein "Kinder in Wien" bietet mit dem Studiengang "BABE+" erstmals eine elementarpädagogische Ausbildung auf Hochschulniveau. Ein Kurzbesuch.

Werbung
Werbung
Werbung

Hans Laimgruber hat schon so manches erlebt: Er hat in Wien ein technisches Studium begonnen; er hat es ganz am Schluss nach einem Pflichtpraktikum abgebrochen, weil es "überhaupt nicht" seines war; und er hat fünf Jahre lang in Italien bei einer Serviceagentur gearbeitet, die riesige Luxusyachten beliefert. Heute sitzt der schlaksige 31-Jährige gemeinsam mit sechs anderen Männern und 30 Frauen in den Akademieräumen des Vereins "Kinder in Wien"(KIWI) in der Wiener Wimbergergasse und wartet auf das "Praxisseminar". Er will Kindergartenpädagoge werden und damit endlich seiner eigentlichen Berufung folgen: mit den Kleinsten zu arbeiten.

"BABE+" nennt sich der österreichweit erste, akademische Studiengang für Elementarpädagogik, den KIWI in Kooperation mit der Hochschule Koblenz entwickelt hat - und der nach sieben Semestern mit einem "Bachelor of Arts, Bildung und Erziehung" endet. 350 Personen haben sich dafür interessiert, nur 37 wurden nach einem zweitägigen Auswahlverfahren genommen. Dass die Männerrate mit sieben Herren exorbitant höher liegt als im Kindergartenalltag mit seinen kargen zwei Prozent, sei zwar erfreulich, aber nicht gesteuert gewesen, erklärt KIWI-Geschäftsführerin Monika Riha: "Mannsein allein war kein Qualifikationskriterium", sagt sie süffisant.

Praxis und Theorie

Hans Laimgruber jedenfalls hat vor allem eines begeistert - nämlich die enge Verzahnung von Theorie und Praxis: Wie alle anderen Studierenden hat er bereits vier Wochen Praxisluft geschnuppert - in seinem Fall im KIWI-Kindergarten in der Blattgasse mit "vielen berührenden Szenen", einem "großartigen Team" und "wenig weinenden Eingewöhnungskindern", wie er strahlend erzählt. 916 Euro pro Monat bekommt er für diesen 20-Stunden-Job. Nun, beim "Praxisseminar" in der KI-WI-Akademie, hat er die Möglichkeit, seine Erfahrungen mit wissenschaftlicher Theorie zu unterfüttern und innerhalb der Gruppe zu reflektieren. "Diese Verzahnung ist perfekt für mich", sagt er.

Wie diese Dualität konkret gelingt, zeigt sich gleich bei der ersten Übung - einem Rollenspiel zum Thema "kollegiale Beratung". Stefanie Hock, eine quirlige 26-Jährige mit Berufserfahrung als Kindergruppenbetreuerin, berichtet im Sesselkreis von einem fiktiven Fall, der sich aber in den besten Kindergärten findet: Ein Vierergespann aus fünfjährigen Buben prügelt sich ständig gegenseitig, kann aber nicht voneinander lassen - und bringt damit Unruhe in die gesamte Gruppe. Doch was tun? Mittels Brainstorming sammeln die Studierenden Ideen, ohne sie zu werten: die Buben genau beobachten, um die dahinterliegende Dynamik zu ergründen, rät eine Studentin; mit anderen Gruppen des Kindergartens zusammenarbeiten, um das Vierergespann aufzubrechen, meint eine andere; eine Art "Wrestling" anbieten, um überschüssige Energien abzubauen, schlägt ein dritter vor. Und eine vierte Studentin führt Protokoll. "Dieses Rollenspiel ist eine gute Methode, wie wir die Theorie-Praxis-Verzahnung hinbekommen und es zugleich schaffen, dass sich später diese Art der kollegialen Beratung in den Kindergärten etabliert", erzählt der Sozialpädagoge Julian Vazquez von der Universität Koblenz, der den Studiengang in Wien gemeinsam mit Lisa Kneidinger von KIWI leitet. Auch ein Online-Peer Coaching, bei dem die Studierenden Fälle mit Kollegen besprechen können, steht zur Verfügung.

Seit 2011 wird in Koblenz der Studiengang "BABE" angeboten, im November dieses Jahres gibt es die ersten Absolventinnen und Absolventen. Bereits 75 solcher elementarpädagogischer Studiengänge existierten mittlerweile in Deutschland, berichtet Vazquez. Der Bedarf sei angesichts der sich verändernden Gesellschaft hoch, die Absolventen begehrt. "Eine BA-BE-Studentin hat mir erzählt, dass sie schon drei Jobangebote hat", sagt er. Dass sich die Kindergartenträger akademische Elementarpädagogen nicht leisten könnten oder wollten, sei also falsch.

In Österreich hingegen, das neben der Slowakei als einziges OECD-Land noch keine akademisch ausgebildeten Kindergärtnerinnen kennt, steht das Finanzierungsargument im Zentrum der Debatte. Dazu kommt die eigentliche Gretchenfrage: Brauchen wir überhaupt Akademikerinnen im Kindergarten?

Familienministerin Sophie Karmasin hat dies negativ beantwortet - und damit harsche Kritik geerntet, auch innerhalb der Volkspartei (siehe unten). Monika Riha, die früher für die ÖVP im Wiener Landtag saß, bejaht hingegen diese Frage seit mehr als 15 Jahren. "An der Akademisierung führt langfristig kein Weg vorbei", ist sie überzeugt. "Je jünger die Kinder sind, desto besser müssen die Menschen sein, die mit ihnen arbeiten, weil man ja den Grundstock für das weitere Lernen legt." Mangels politischer Unterstützung sei sie nun eben selbst initiativ geworden. Ideell unterstützt wurde "BABE+" von vielen, finanziell jedoch kaum. Nun sponsert immerhin das AMS den Studiengang, gilt doch Kindergartenpädagogin längst als Mangelberuf.

Zumindest KIWI hat ausgesorgt, schließlich haben sich die Studierenden verpflichtet, dem Verein mindestens vier Jahre nach Studienende treu zu bleiben. Ein höheres Gehalt als ihre nichtakademischen Kollegen bekommen sie dafür nicht: "Alles andere wäre nicht fair, sie erledigen ja die gleiche Arbeit", heißt es bei KIWI.

Kolleg für Quereinsteigerinnen

Dem Interesse an "BABE+" tut das keinen Abbruch. Julia Kremsner, 25-jährige Absolventin einer Lehranstalt für Tourismus, hat eigentlich zuvor damit geliebäugelt, eines jener Kollegs zu beginnen, die Quereinsteigerinnen in fünf Semestern die berufsrelevanten Inhalte der Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik vermitteln - ohne akademischen Abschluss (siehe unten). Doch im Frühjahr, als sie gerade für die Freiwilligenarbeit mit Kindern in Neuseeland war, hat sie von "BABE+" erfahren. Die Entscheidung fiel schnell.

Mit 14 Jahren hätte sie sich jedenfalls nie für diesen Beruf entschieden, erzählt die junge Frau. Auch für Hans Laimgruber war die BAKIP damals keine Option. "Ich finde es unmöglich, sich in einem so jungen Alter, in dem man sich selbst noch gar nicht kennt, für einen so wichtigen Beruf zu entscheiden", sagt er. Bei "BABE+" hingegen könne er seine ganze Lebenserfahrung einbringen.

Auch seine Männlichkeit ist hier ein Atout. Wie groß seine Anziehungskraft gerade für Buben ist, hat er gleich in den ersten Kindergartentagen erlebt: "Ein Knirps hat mich viermal hintereinander gefragt:,Wie heißt du? Wie alt bist du? Wie groß bist du?'", erzählt Laimgruber gerührt. "Und dann hat er mich jedesmal aufstehen lassen und ,oooooooh!' gemacht."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung