Vom Wert der Arbeitsruhe

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Wurden noch vor Jahresfrist die Debatten um den Sonntag zum "Glaubensbekenntnis" erhoben, ist es heute wieder ruhiger geworden. Einerseits haben Handel und Industrie erkannt, dass die Menschen ihr zur Verfügung stehendes Budget auch am Sonntag zwar ausgeben können, aber dafür nicht so viel an den Wochentagen. Andererseits hat die neue österreichische Regierung tiefgreifende Strukturveränderungen in fast allen Bereichen angekündigt.

Damit bleibt wenig Interesse für ein Thema wie die Freigabe der Arbeitszeit am Sonntag. Aber - da braucht man kein Prophet zu sein - zu gegebener Zeit wird es auch wieder um den Sonntag mehr Diskussion geben als gegenwärtig.

Viele Eigeninteressen An der öffentlichen Debatte um den "Tag des Herrn" wird das Spannungsverhältnis von Eigeninteressen (im Sinne des Privatlebens) und des Gemeinwohls (im Sinne von Wirtschaft und Gemeinschaftserlebnissen) deutlich. Und so steht wohl kein anderer Tag der Woche mehr im Blickfeld der Diskussion als der Sonntag. Einerseits fordert die Wirtschaft die Freigabe des Sonntags zur allgemeinen Arbeit von der Politik. Andererseits boomt die Freizeitindustrie besonders an diesem Tag. Ebenso stellen sich die Kirchen die Frage, welchen Sinn und Zweck erfüllt dieser Tag für die Gemeinschaft, die Familie, den Einzelnen.

Und die Gewerkschaften sehen sich in einer Zerreißprobe zwischen den Interessen von Wirtschaft und Arbeitnehmern. Auch ihr abnehmender Einfluss (sinkende Mitgliederzahlen) auf die Entscheidungen der Sozialpartner ist Ausdruck dieser Entwicklung und dieses Spannungsverhältnisses.

Wird der Blick auf den Menschen und seine Bedürfnisse selbst gerichtet, wird einsichtig: Jeder Mensch lebt in einem bestimmten Rhythmus.

Lebenszyklen wie Nacht und Tag, Arbeit und Ruhe, Konzentration und Entspannung wechseln einander ab. Sie bestimmen aber gleichzeitig den Biorhythmus. Und so zeigt der Sonntag die andere Seite des Lebens (gegenüber dem Wochen-Arbeitstag), die für Ruhe, Familie, Freunde und Gemeinschaft Raum benötigt.

Dieser Ausgleich zwischen den einzelnen Phasen braucht Zeit, Zeit, die der Mensch am freien Tag der Woche bekommt, ja sich erarbeitet und im Normalfall "verdient".

Im Christentum ist der Sonntag als Feier-Tag im Gedenken an die Auferstehung Jesu entstanden. Der Sonntag darf aber auch als Tag der Schöpfung nicht entheiligt werden, auch nicht durch wirtschaftliche Interessen. Denn wenn jeder an einem anderen Tag der Woche frei hat, dann bleibt trotzdem das Gemeinschaftserlebnis aus. Er ist als arbeitsfreier Tag, gesetzlich gesichert, in der Geschichte gewachsen. Viele Menschen sehen den Sonntag in der gegenwärtigen Gesellschaft aber nur noch als arbeitsfreien Tag, aber nicht mehr als ein Kulturgut, das es zu verteidigen gilt.

Wenn am Sonntag regulär gearbeitet wird, dann untergräbt dies auch das Vereinsleben. Die Chöre könnten nicht mehr proben, die Blaskapellen nicht mehr spielen, weil ein gemeinsamer Tag fehlt, wo alle frei haben. Der Amateursport ist ganz stark betroffen, weil die einzelnen Sportler an dieser Individualisierung und Ökonomisierung leiden. Mit dem Sonntag hängt aber schon zusammen, wie man den Samstag verbringt, weil es hier um das so genannte Wochenende geht. Wer am Sonntag arbeiten will, der tut es wegen des Geldes und nur in den seltensten Fällen aus Idealismus.

Aus dem Gespräch mit dem Judentum wissen Christen, dass man mit Juden über vieles reden kann, der Sinn des Schabbats darf aber nicht in Frage gestellt werden. Hier könnten die Christen neu entdecken, wie wichtig es ist, diesen einen gemeinsamen heiligen Tag in der Woche für Gebet, Meditation und Entspannung in der Familie, mit Freunden und im Verein zu nutzen.

Trotz der umstrittenen Novelle zum Arbeitsruhegesetz 1997 (§ 12a ARG) in Österreich gilt die Regel, dass der Sonntag arbeitsfrei bleibt. Die Novelle ermöglicht aber eine gezieltere Regelung der Kollektivverträge für einzelne Unternehmen. Der Wettbewerb wird immer härter, und die Gewinne der Unternehmen behalten die Priorität, denn wem ist gedient, wenn ein Betrieb zusperren muss? Weder den Unternehmern noch den Mitarbeitern. Eines ist dennoch klar und einsichtig: Dem eisigen Wind der Konkurrenz mit den Firmen und Ablegern aus Japan und den USA können sich auch die hiesigen Großbetriebe nicht (mehr) entziehen und sind darauf angewiesen, Lösungen zu finden, die sowohl die Interessen der Arbeitnehmer als auch der Shareholder und Aktionäre berücksichtigen.

Die vernetzten Wirtschaftssysteme globalisieren sich und nehmen immer weniger Rücksicht auf gewachsene Kultur in einer Region oder auf einem Kontinent. Auch dadurch wird der Sonntag in seiner Sinndimension ausgehöhlt: Marktwirtschaft ohne Attribute wie "sozial" führt nicht zu allgemeinem Wohlstand.

Vielmehr liegt die Antwort auf die globale Liberalisierung der Märkte in einer Re-Ethisierung, denn nur ein neues Ethos kann positiv auf das Verhalten der Menschen untereinander, zur Umwelt und zur Schöpfung selbst wirken. Für die Wirtschaft sind Familien mit Kindern als nachfragende Konsumenten interessant, bei der Organisation der Lohnerwerbsarbeit aber mehr hinderlich als dienlich, weil eine Familie Stabilität zur eigenen Existenz braucht und damit der von der Wirtschaft geforderten Flexibilität entgegensteht.

Im anthropologischen Sinne ist daher leider eine Aufweichung des Personbegriffs und der Würde des Menschen zu verzeichnen.

Für die Familie ist und bleibt der Sonntag aber etwas Besonderes, er ist der Familientag der Woche. Im Normalfall konzentriert sich das Familienleben auf den Sonntag, womit die Sonntagsarbeit nicht nur zum Störfaktor allgemein werden kann, sondern sogar die Existenz des Familienlebens ernsthaft bedroht. Denn mit der Sonntagsarbeit ist ein Dominoeffekt verbunden: Wenn am Sonntag gearbeitet wird, sind auch am Sonntag Einrichtungen zur Kinderbetreuung notwendig, denn die Kinder müssen ja irgendwo bleiben; um zum Arbeitsort zu kommen, sind mehr Bedienstete der Verkehrsbetriebe nötig.

Es geht also um eine Wertefrage, ob dieser Tag generell arbeitsfrei (im Sinne der Lohnerwerbsarbeit) bleibt oder nicht. Sonst wird der Tag des Herrn bald nicht mehr "Tag des Herrn" sein. Im Besonderen lastet großer finanzieller Druck auf den Familien.

Überlebensprogramm Im Bereich öffentlicher Dienstleistungen gehört die Sonntagsarbeit vielfach zum Regelfall. Das darf bei aller Diskussion um die Neuregelungen und Mentalitätswandlungen nicht vergessen werden. Mit zirka 15 Prozent liegt Österreich bereits über dem EU-Durchschnitt, was Lohnerwerbsarbeit am Sonntag angeht.

Für Christen ist das Evangelium der Maßstab. In der Bibel wird mit dem Sonntag ein Überlebensprogramm angeboten. Das Leben als Unternehmer wie als Arbeiter oder Angestellter ist auf Leistungsergebnisse aus.

Hingegen kann jeder in den Gottesdienst kommen, ohne etwas leisten zu müssen, denn ein Aufatmen ist immer wieder einmal notwendig. Ohne Rituale gehen die Menschen über zu Pseudoritualen ... - Aber ebenso wichtig ist die Entdeckung einer neuen Alltagskultur. Viele Menschen, Gläubige wie Atheisten können den Sonntag nicht mehr feiern, weil ihnen der Sinn dafür abhanden gekommen ist.

Es bedarf einer neuen Ethik und der Besinnung auf die Grundintention des Sonntags. Von den Politikern ist es keinesfalls verantwortlich, dass die staatliche Autorität die Unterwanderung des Sonntags legitimiert, indem vor allem an das Bewusstsein der Leute appelliert wird, materialen Werten einen höheren Rang einzuräumen als geistigen. Jedoch auch die Kirchen haben nicht einen alleinigen Machtanspruch auf die Intention des Sonntags, sondern damit ist ein Wertkonsens der gesamten Gesellschaft auf dem Prüfstand. Und wenn der Damm zur Freigabe des Sonntags als normalem Arbeitstag erst einmal gebrochen ist, dann ist diese Position ein für allemal verloren.

Menschen sind keine Maschinen, auch wenn zum Beispiel die Funktion des menschlichen Gehirns gern mit der Funktionalität eines Computers verglichen wird.

Wirtschaft und Ethik dürfen nie künstlich getrennt werden. Die Diskussion um den Sonntag zeigt nur, dass es sich hier um die Spitze eines Eisbergs handelt, weil unsere Gesellschaft tiefgreifende Werteverschiebungen erlebt, die wir jetzt noch gar nicht richtig evaluieren können, um aus ihnen die richtigen Schlüsse zu ziehen. So unterliegt auch der Arbeitsmarkt einem starken Wandel. Auf den unterschiedlichsten Ebenen finden diese Veränderungen statt, die alle betreffen, auch die Sozialpartner, die Verbände, die Gewerkschaften, die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Und die Diskussion um die Freigabe des Sonntags als Arbeitstag ist nur eines der Mosaiksteinchen dieser Veränderungen. Das Bewusstsein der Leute ist angefragt, da sich Institutionen und ihr Sinn im besonderen ändern.

Es ist eine Umkehr der Beweislast bezüglich der Sonntags festzustellen. Früher musste man begründen, warum man am Sonntag arbeiten möchte. Heute geht die Frage dahin, dass der Arbeitnehmer erklären muss, warum er am Sonntag nicht arbeiten wolle. Dabei wächst der Druck zum Beispiel auf die Verkäuferinnen bei großen Lebensmittelketten, ebenso am Samstag bis in die späten Nachmittag- oder Abendstunden zu arbeiten oder gar am Sonntag.

Der Sonntag muss im Gegensatz zu den anderen Tagen etwas besonderes bleiben. Denn wird er zum All-Tag, dann hat er seine Funktion, die sich über viele Jahrhunderte hindurch entwickelt hat, verloren. Sowohl die Französische Revolution (1789-1795), welche die Dekade einführen wollte, als auch andere Versuche, den Sonntag abzuschaffen (wie zum Beispiel unter Stalin im bolschewistischen Sowjetrussland 1929-1940) schlugen fehl, weil sich der Lebensrhythmus des Menschen nicht problemlos radikal verändern lässt, auch nicht im Zeitalter des Cyberspace.

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