Documenta - © Imago / Hartenfelser - Abhängen des Banners "People's Justice" auf der Documenta in Kassel.

Von der Documenta 15 bis zu Achille Mbembe: Paradoxe Antidiskriminierung

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Von den Auseinandersetzungen um die Documenta 15 in Kassel bis zum politisch-philosophischen ­Konstrukt eines Achille Mbembe: zum Verhältnis von postkolonialer Kritik und Anti-Antisemitismus.

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Von den Auseinandersetzungen um die Documenta 15 in Kassel bis zum politisch-philosophischen ­Konstrukt eines Achille Mbembe: zum Verhältnis von postkolonialer Kritik und Anti-Antisemitismus.

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An Jom Kippur dieses Jahres hat in Hannover ein unbekannter Täter einen Stein in die Synagoge geworfen. 150 Menschen hatten sich dort versammelt, niemand wurde verletzt. Vor drei Jahren hatte in Halle, gleichfalls am höchsten jüdischen Feiertag, ein rechtsradikaler Attentäter versucht, schwer bewaffnet in die Synagoge einzudringen. Die Eingangstür der Synagoge hielt damals vom Schlimmsten ab. Der Schock bleibt: Jüdisches Leben steht unter permanenter Gefahr. Umso mehr gilt es, sich gegen jede Form des Antisemitismus zu stellen. Dabei erweist sich die Bestimmung dessen, was als antisemitisch zu gelten hat, zunehmend umstritten. Debatten über antisemitische Anlässe und Positionen häufen sich in den vergangenen Jahren.

Die Auseinandersetzungen um die Documenta 15 in diesem Jahr führen dies vor Augen. Signifikant ist der Prozess der Einordnung antisemitischer Motive. Vor der Eröffnung wurde bereits auf antisemitische Bildprogramme in Mohammed Al Hawajris Bildserie „Guernica Gaza“ hingewiesen. Indem der Künstler die beiden Orte förmlich nebenei­nanderstellt, entsteht eine ikonische Parallele der Verantwortung für politische Gewalt. Das Moment des Vergleichs verschwindet in der Suggestion der symbolischen Bildführung. Hitlers Terror überschneidet sich mit der Palästina-Politik Israels. Entscheidend ist, wie sich das Täterbild entwickelt: im Zuge einer Entdifferenzierung von Motiven und Anlässen konkreter Politik.

Kunst schlägt in Propaganda um

Wo Kunst auf ästhetische Eindeutigkeit zielt, droht sie in Propaganda umzuschlagen. Entdifferenzierung greift auf die Wahrnehmung des Kunstwerks zurück. Wo der historische Bruch von Tätervergleichen nicht mehr markiert wird und sich Bildprogramme finden, die in anderen Kontexten antisemitisch verwendet und verstanden werden, treffen Antisemitismusvorwürfe ein Kunstwerk auch dann, wenn es sich selbst als antizionistische Kritik der Gewalt begreift.

Dieser Vorgang betrifft nicht zuletzt die kuratorische Regie der Documenta 15, denn „Guernica Gaza“ war kein Einzelfall. Besonderes Aufsehen erzeugte „Peopleʼs Justice“, ein Wandbild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, das anti­semitische Figurenzeichnungen aufwies – bis hin zu jenen Identifizierungen von Nazis und Juden, die wiederum Fragen an den „Guernica Gaza“-Zyklus von Mohammed Al Hawajri auslösen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass es einer eigenen Agenda bedurfte, um anti­semitische Motive in Kunstwerken der Documenta 15 zu bestimmen. Dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa waren sie als verantwortlichem Kuratorenteam nicht aufgefallen, oder es hatte sie zugelassen.

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