Von Neujahr zum Versöhnungstag

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Wie im islamischen Kalender beginnt auch im Judentum Anfang Oktober ein neues Jahr: 5777, denn 3761 Jahre vor unserer Zeitrechnung hat Gott der Tradition zufolge die Welt geschaffen. Zum Neujahrsfest "Rosch Haschana"(hebr. "Kopf des Jahres") werden Apfelstücke in Honig getaucht, die für die Hoffnung auf ein süßes Jahr stehen. Doch es beginnen auch die Tage des göttlichen Gerichts, die schon in der Grußformel dieser Tage angedeutet werden: "Mögest Du im Guten (Buch) eingeschrieben sein." Denn zu Rosch Haschana werden drei Bücher geöffnet, in die das Urteil über die Menschen eingetragen wird: eines für die vollkommen Guten, eines für die vollkommen Bösen und eines - vermutlich das dickste - für diejenigen, deren Tun und Denken sie irgendwo dazwischen landen lässt. Das Urteil über sie wird zehn Tage aufgeschoben, bis Jom Kippur, dem "Tag der Versöhnung".

Die Tage zwischen Neujahr und Versöhnungstag dienen der Buße und Selbsterforschung, vielleicht ähnlich dem, was Mouhanad Khorchide vor zwei Wochen für den Islam als "Auswanderung" beschrieb. Religiöse Juden begehen an diesem Samstag den "Schabbat der Umkehr". Er ist benannt nach der ersten Prophetenlesung des Tages aus dem Buch Hosea, wo es heißt (14,2):"Kehre um, Israel, zum Ewigen, Deinem Gott, denn Du bist gestürzt über Deine Sünde." In den Synagogenlesungen folgt die Zusage des göttlichen Erbarmens über sein Volk. In der Redewendung vom "alttestamentarischen" Gott steckt oft ein abschätziger Blick aufs Judentum. Der Gott der Hebräischen Bibel ist nicht nur ein ferner, strafender, sondern auch ein liebender Gott, der die Nähe seines Volkes sucht. Gerade die Zeit vom Neujahrsfest zum Versöhnungstag spricht von der Suche des Menschen nach Nähe zu Gott, Einverständnis mit den Mitmenschen und Frieden mit sich selbst.

Der Autor ist Wissenschafter am Institut für Jüdische Theologie der Universität Potsdam

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