Von Sinn und Krise der weichen Wissenschaften

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Karlheinz Töchterle registriert eine Abkehr der Gesellschaft von den Geisteswissenschaften. Diese seien zum Teil selber schuld, müssten sich besser einbringen und exzellenter werden.

Die westliche Textkultur habe sich verändert, sagt Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, von 1997 bis 2011 Professor für Philologie in Innsbruck. Die Krise der Geisteswissenschaften sieht er gelassen. Wenn die Demokratie bedroht sei, dann durch die Macht des Geldes, sagt er im Interview.

Die Furche: Sie waren Philologe und wurden dann Minister. Was hat Ihnen die lange Beschäftigung mit Schrift, Wort und dem Geist auf dem politischen Parkett gebracht?

Karlheinz Töchterle: Als Politiker geht es immer darum, dass man wirkliche Aussagen hat und Anliegen auch mit der nötigen Fundierung transportiert. Da freut es mich umso mehr, dass ich merke, wie sehr mir dabei meine philologische Kompetenz zugute kommt. Die philologische Arbeit ist aber noch lange keine Garantie dafür, dass man das Wort und die Sprache auch brauchbar, elegant und überzeugend verwendet. Ich kenne einen glänzenden Innsbrucker Sprachwissenschaftler, der schrecklich geredet hat. Ein guter Fußballer muss auch kein guter Trainer sein. Aber es hilft..

Die Furche: Im Lexikon der Geisteswissenschaften schreiben Sie, die abendländische Textkultur sei am Vergehen. Wie bedenklich ist das?

Töchterle: Ich habe das bewusst so geschrieben, um nicht in einen naiven Optimismus zu verfallen. Ich würde generell sagen, es gibt immer aszendente und deszendente Entwicklungen in der Welt. Wenn ich mir vorstelle, wie man heute im breiten Diskurs zu Gewalt und Krieg steht, dann ist es zum Beispiel besser geworden. Aber dass sich die Textkultur stark zu einer Bildkultur entwickelt, oder dass die Medien und die Kommunikation sich verändern, würde ich schon sagen. Solange es Literatur gibt und sie wichtig ist, wird es andererseits auch Philologie geben. Ich stelle nur eine gewisse Abkehr von diesen Wissenschaften fest.

Die Furche: Die US-Intellektuelle Martha Nussbaum stellt eine Krise der Geisteswissenschaften fest und meint, es stünde gar die Zukunft der Demokratie auf dem Spiel.

Töchterle: Wenn die Demokratie gefährdet ist, dann aus meiner Sicht durch andere Mächte. Durch die Macht des Geldes etwa. Ich sage das jetzt sehr flach, aber wir sehen das allenthalben. Wir sehen auch Rückschläge der Geldmacht. Alles was sie anrichtet, sehen wir derzeit; und viel an Erkenntnis, dass andere Institutionen öffentlicher Macht wieder an Boden gewinnen sollten. Martha Nussbaum hat etwas extrem zugespitzt, was latent immer vorhanden ist. Klarerweise besteht jede partizipative Politik auf Kommunikation und damit auf Rhetorik - und ist auf Argumente und Dialog angewiesen. Wenn das verloren geht, die Kraft der Dialektik, mag auch die Demokratie verloren gehen.

Die Furche: Inwieweit ist das Geld, das Effektivitätsdenken für die Krise der Geisteswissenschaften verantwortlich?

Töchterle: Wir reden diese Krise schon auch herbei. Natürlich haben wir teilweise ein geisteswissenschaftliches Design, das seinerseits auch auf Ideologien beruht. Die ganze Philologie ruht zum Beispiel auf dem Neuhumanismus. Der neuhumanistische Schwung ist längst vorbei, aber wir betreiben immer noch das Geschäft, als ob dahinter dieser Impuls stünde. Ähnlich ist es mit der Geschichtswissenschaft, die vor allem dem Historismus geschuldet ist. Wir müssen den neuen Gegebenheiten Rechnung tragen, aber da sind akademische Institutionen zum Teil schwerfällig.

Die Furche: Eine Forderung an die Geisteswissenschaften lautet, sich stärker in öffentliche Diskurse einzubringen, ihre Bedeutung deutlich machen. Eine Bringschuld?

Töchterle: Ganz eindeutig. Das haben wir deutschsprachigen Geisteswissenschaftler sicher auch vernachlässigt. In England, Frankreich oder den USA ist das besser. Wir haben sogar oft regelrechte Sperren, stärker in die Medien zu gehen. Wir meinen, wir dürften es nicht tun, wir bliesen uns nur auf und machten uns wichtig. Es gibt ganz wenige, die diese Hürden einfach überspringen. Das Bewusstsein fehlt, weil unsere Wissenschaftler ganz anders sozialisiert worden sind, wenn man so will im Elfenbeinturm. Man denkt gar nicht dran, dass da neben der Wissenschaft noch ein Feld zu bestellen wäre. Wobei es auch eine Holschuld der Medien gibt, das muss man auch sagen.

Die Furche: Im Budget des Europäischen Forschungsrates (ERC) ist nur ein Sechstel für Kultur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften reserviert. Ist hier ein Randdasein einzementiert?

Töchterle: Zunächst sind die Geisteswissenschaften grundsätzlich kostengünstiger, in der Naturwissenschaft braucht es oft sehr teure Apparaturen. Nehmen wir etwa das Europäische Kernforschungsinstitut CERN. Wenn man sich vorstellt, was da investiert wird, um Elementarteilchen zu finden - oder auch nicht. Ich sage das mit einer gewissen Begeisterung, der Gesellschaft ist Grundlagenforschung viel wert. Ihr ist es viel wert, mehr über die letzten Bestandteile der Materie zu erfahren - obwohl das gesellschaftlich kaum Relevanz hat. Gut, man kann dann mit Strahlen Krebs behandeln, das ist aber ein Zufallsprodukt. Im Grunde kann diese Forschung nur mit dem Erkenntnisdrang argumentieren. Hingegen werden geisteswissenschaftliche Forschungen oft sehr relevant, aber nicht so gesehen. Ich denke jetzt an die Homer-Debatte, die Raoul Schrott vor zwei, drei Jahren in Deutschland losgetreten hat. Da sieht man, wie eine solche Frage an die Wurzeln des deutschen Selbstverständnisses rührt.

Das hat seine Quellen im Neuhumanismus und der Tatsache, dass die Deutschen ihr Nationalbewusstsein über die Griechen geprägt haben. Sie haben ein Ideal gebraucht, das nicht römisch war und konnten damit den überlegenen Romanen ein gleichwertiges Ideal vorsetzen. Bei der Frage, wo das noch wichtig ist, spielt heute die ganze Türkei-Frage hinein. Ich führe gerne die Ethnogenese im Mund. Viele Völker der Welt und sogar das "auserwählte“ Volk der Juden haben eine ethnogenetische Theorie; mit gewaltigen Folgen auf Identität, Migration, das Ein- und Ausschließen. So könnte man viele Beispiele nennen, die mehr Relevanz als CERN haben - und man kann dort mit einem Bruchteil des Geldes forschen.

Die Furche: Muss man den Geisteswissenschaften daher unter die Arme greifen, etwa bei der Schärfung des Profils der österreichischen Akademie der Wissenschaften?

Töchterle: Die ÖAW hat von 2000 bis 2009 ihr Budget um etwa 100 Prozent gesteigert, nun flacht es ab, dadurch entstehen Einschnitte. Wichtig ist auch in der Geisteswissenschaft die Exzellenz: Wenn ich keine hohe Qualität habe, darf ich auch keinen Anspruch auf Förderung erheben. Natürlich braucht es auch hier eine Profilierung. Mein ehemaliges Institut in Innsbruck spezialisiert sich jetzt auf Neulatein. Das ist eine Nische und da werden wir in absehbarer Zeit zu den besten der Welt gehören. Die Bedeutung dieser Literatur ist gewaltig für Europa, was völlig unbekannt ist.

Sechstel

Im Budget des Europäischen Forschungsrates ERC von 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2013 ist nur mehr ein Sechstel der Mittel für Geisteswissenschaften reserviert.

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