Vorsorgen für ein gutes Ende

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Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sind nach wie vor ein Minderheitenprogramm. Im Parlament wird darüber diskutiert, woran das liegt und was sich ändern muss. Ein Überblick.

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Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten sind nach wie vor ein Minderheitenprogramm. Im Parlament wird darüber diskutiert, woran das liegt und was sich ändern muss. Ein Überblick.

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Ganze 15 Jahre lang hat Andreas Valentin als Leiter der Intensivstation in der Wiener Rudolfstifung um das Leben von Menschen gerungen. Patientenverfügungen sind ihm dabei jedoch nur selten untergekommen: Pro Jahr waren es "vielleicht drei bis vier", sagt Valentin, der seit Jänner am Krankenhaus Schwarzach im Pongau tätig ist und die Arbeitsgruppe "Sterben in Würde" der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt leitet. Bis Ende Februar will man unter anderem zur Frage der Autonomie am Lebensende Empfehlungen abgeben. Die parlamentarische Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" wird schon diesen Freitag darüber diskutieren. Vorab ein paar Klärungsversuche.

Wie autonom sind wir generell?

Jede medizinische Heilbehandlung kann abgelehnt werden, auch wenn sich dadurch das Leben verkürzt. Dieses "Recht auf Unvernunft" gilt uneingeschränkt. Wer sich darüber hinwegsetzt, macht sich wegen eigenmächtiger Heilbehandlung strafbar. Menschen mit Muskellähmung können demnach einfordern, nicht mehr weiter beatmet zu werden. Das Abdrehen der Beatmungsmaschine ist keine aktive Tötung, sondern nur eine Unterlassung. Eine Tatsache, die auch vielen Ärzten unbekannt ist.

Welche Vorsorgearten gibt es?

Für den Fall fehlender Urteils- oder Artikulationsfähigkeit wurden 2006 Formen der "antizipierten Selbstbestimmung" eingerichtet. In einer verbindlichen Patientenverfügung müssen die abgelehnten medizinischen Behandlungen konkret beschrieben werden, sie setzt eine ärztliche Aufklärung voraus und muss von einem Notar, Rechtsanwalt oder Patientenanwalt beurkundet werden. Letzterer macht dies in manchen Bundesländern kostenlos. Alle fünf Jahre muss sie erneuert werden - für viele ein Kritikpunkt. Tritt der beschriebene Ernstfall ein, ist sie rechtlich bindend.

Für eine beachtliche Patientenverfügung gibt es keine inhaltlichen oder formalen Mindesterfordernisse, sie dient allerdings nur als Orientierungshilfe. In der Praxis ist eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen allerdings nicht hilfreich, weiß Andreas Valentin. Er spricht sich deshalb für eine Aufhebung der beiden Kategorien aus - nach dem Vorbild von Deutschland, wo bereits 20 Prozent der Bevölkerung eine Patientenverfügung errichtet haben. Patientenanwalt Gerald Bachinger zeigt sich in dieser Frage kritisch: Die formlosere deutsche Regelung habe dazu geführt, dass es mehr als 200 verschiedene Formulare und dadurch große Verwirrung entstanden sei.

Als Alternative oder Ergänzung zu Patientenverfügungen sehen viele die Vorsorgevollmacht in Gesundheitsangelegenheiten, die es ebenfalls seit 2006 in Österreich gibt. Dabei wird eine Vertrauensperson ermächtigt, in Behandlungen einzuwilligen. Im Unterschied zu einem bloßen Sachwalter kann sie lebenserhaltende Maßnahmen auch ablehnen, sie hat also das "Recht auf Unvernunft". Auch die Vorsorgevollmacht ist an strenge Formvorschriften gebunden: Sie muss vor einem Notar, einer Rechtsanwältin oder vor Gericht errichtet werden.

Wie häufig wird vorgesorgt?

Darüber herrscht in Österreich Unklarheit. Laut einer repräsentativen Telefonumfrage, die das Institut für Ethik und Recht in der Medizin in seiner jüngsten Evaluierung vorgenommen hat, gaben 4,1 Prozent der Bevölkerung an, eine Patientenverfügung zu besitzen. Das entspräche 348.000 Personen. Zählt man jedoch die Angaben der Patientenanwaltschaften, Notariats- und Rechtsanwaltskammer zusammen, so sind nur 20.400 Patientenverfügungen registriert. Umso dringlicher ist ein zentrales Register für Patientenverfügungen. Vorsorgevollmachten sind bereits zentral im "Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis"(ÖZVV) erfasst, derzeit sind es knapp 20.000. Nach Patientenanwalt Bachinger sollte es eine eigene Applikation der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) geben, um im Notfall Zugriff zu haben. Die Information über das Vorliegen einer Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht müsse jedenfalls "von einer Bringschuld des Patienten zu einer Holschuld der Gesundheitseinrichtung werden".

Wie teuer ist diese Vorsorge?

Mehrere hundert Euro kann die Errichtung einer Vorsorgevollmacht oder einer verpflichtenden Patientenverfügung kosten. Gerald Bachinger fordert deshalb, beides bei Patientenanwälten kostenlos errichten zu können. Auch die Honorare für die ärztliche Beratung bei verbindlichen Patientenverfügungen müssten von den Krankenkassen übernommen werden.

Was bringt ein Vorsorgedialog?

Angesichts der Wissensdefizite in der Bevölkerung und bei den Angehörigen der Gesundheitsberufe sind mehr Öffentlichkeitsarbeit sowie Fortbildungen nötig. Zudem wäre ein rechtzeitiger "Vorsorgedialog" aller Involvierten wichtig; er könnte etwa schon bei Ankunft einer Person im Pflegeheim klären, ob im Notfall reanimiert werden soll. Ein solcher Dialog ist insbesondere bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen zentral, weil sie keine Patientenverfügung abschließen können, weiß Gabriele Nußbaumer, Präsidentin der Lebenshilfe Vorarlberg sowie Vizepräsidenten des Vorarlberger Landtags. Sie selbst hat vor zwei Jahren das Sterben ihres behinderten Sohnes als "Aktionismus" miterlebt, bei dem "alles Mögliche gemacht, nur nicht zugehört und geredet wurde". Wie Andreas Valentin plädiert sie für die Aufhebung zwischen beachtlichen und verbindlichen Patientenverfügungen - sowie für eine Klarstellung: dass "der mutmaßliche Wille jedes sterbenden Menschen berücksichtigt werden muss."

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