"Wäre es nur endlich zu Ende"

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Nun lehnen auch Mediziner und Politiker die Liberalisierung der Euthanasie klar ab. Die Betroffenen warten allerdings weiter auf bessere Sterbebegleitung (siehe FurcheNr. 4/1999).

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Nun lehnen auch Mediziner und Politiker die Liberalisierung der Euthanasie klar ab. Die Betroffenen warten allerdings weiter auf bessere Sterbebegleitung (siehe FurcheNr. 4/1999).

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Ich nehme dich unbedingt mit", stammelte eines Tages eine 68jährige Salzburgerin zu ihrem Mann. Vor Jahren an Diabetes erkrankt und von einem Vorderwandinfarkt niedergedrückt, konnte die Frau nach einem Schlaganfall nur mehr mit Mühe sprechen. Halbseitig gelähmt und auf Hilfe angewiesen, gab sie sich auf. Unter ihrer Anleitung stürzten sich beide in die Schlingen. Doch während sie schon tot am Fensterstock hing, warf er sich immer wieder ins Seil, ohne sich zu strangulieren. Schließlich stürzte sich der Verzweifelte in die Salzach, wurde aber gerettet.

Solche Fälle, weniger dramatisch zumal und mit Tatort Spital, beschäftigen die Gerichte wegen "Beihilfe zum Selbstmord" oder "Töten auf Verlangen". Seit einer Live-Euthanasie im Fernsehen reißt die Diskussion nicht ab, Hilfe zum Sterben straffrei zu stellen. Auch in Österreich fordert seit dem Vorjahr eine Initiative ergrauter Universitätsmediziner in einem "Manifest" für jeden Menschen "das Recht, über das Wann und Wie seines Endes zu entscheiden".

Nach einer mehrmonatigen Schrecksekunde formiert sich nun breiter Widerstand. Die Zivilgesellschaft, aber auch zunehmend die Politik, stellt sich schützend vor die bestehende Rechtslage. "Wir sehen keinen Bedarf für eine Veränderung", stellt etwa die "Plattform Ärzte und Wissenschafter gegen Euthanasie" ihrer Selbstdarstellung voran. "In der Praxis des medizinischen Alltags gibt es keine Notwendigkeit, aktive Sterbehilfe zu leisten", so die Initiative um Caritas-Arzt Franz Zdrahal (siehe nebenstehendes Interview), Unfallmediziner Werner Vogt und Neurologe Ernst Berger.

Prominente Vertreterinnen und Vertreter von Gesundheitsberufen formieren sich auch in der Plattform "Sterbebegleitung, nicht Sterbehilfe". Patientenanwalt Viktor Pickl meinte bei einer letzte Woche mit dem Wiener Krankenanstaltenverbund veranstalteten Enquete zum gleichen Thema unverblümt: "Die in einen ethischen Mantel gehüllte Propagierung der Sterbehilfe dient angesichts der teuren letzten Tage des Menschseins in Wirklichkeit wirtschaftlichen Erwägungen."

Auch Wiens Gesundheitsstadtrat Sepp Rieder, der sich klar gegen aktives Töten aussprach, gestand bedauernd ein, "daß der Medizin Kosten-Nutzen-Rechnungen nicht erspart bleiben". Es blieb einem Gastredner aus der Schweiz vorbehalten, die im Gesundheitswesen allgegenwärtige "Rationierung" (siehe Furche 15/1998) beim Namen zu nennen. "Eigentlich", analysiert Rieder, "geht es um die Rolle der Medizin", die mit Sensationsmeldungen aus der Grundlagenforschung zur überzogenen Erwartungshaltung beiträgt. Dem Machbarkeitsglauben können sich oft auch Ärzte nicht entziehen. "Viele Kollegen", bestätigt Michaela Werni, Leiterin des Hospizes am Wienerwald, "empfinden den Tod eines Patienten als persönliche Niederlage". Enttäuschte Erwartung kann notgedrungen zu Mutlosigkeit führen, wo Zuspruch gefragt ist.

Beim Euthanasie-Vorreiter Niederlande ist das Vertrauen schwer erschüttert. Dort bringen Ärzte jährlich rund 1.000 Patienten ohne deren ausdrückliche Aufforderung ins Jenseits. Kein Wunder, daß sie nicht einmal die Hälfte ihrer Euthanasie-Aktivitäten vorschriftsgemäß meldet. Laut der renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift JAMA (Hendin, Rutenfrans, Zylicz; 1997) wurde bei 89 Prozent der vertuschten Verstorbenen kein zweiter Arzt beigezogen - auch das ist illegal. "Bei so grundlegenden Fragen wie dem Schutz des Lebens", folgert Neurologe Berger vom Krankenhaus Rosenhügel in Wien, "ist das Dammbruch-Argument sehr wohl stichhaltig".

Die niederländische Realität liefert den Beleg: So beobachtete der Anthropologe Robert Pool an einer großen Klinik, wie die Praxis Grenzen verschiebt. Die Tochter einer Sterbenden bat beispielsweise den Arzt, den Tod der Mutter zu beschleunigen. Begründung: Das Begräbnis sollte vor einer gebuchten Ferienreise geregelt werden.

Legale Hilfe zum Sterben setzt vor allem die Kranken selbst unter Druck, wie eine Untersuchung für die Niederlande zeigte. Unter den drei wichtigsten Motiven für den Wunsch nach aktiver Sterbehilfe bezogen sich -neben der "Angst vor Schmerzen" - gleich zwei auf das soziale Umfeld: "den Verwandten nicht zur Last fallen" und "die Angst, allein zu sterben". Ein Hilferuf, der nur mit Beistand im Sterben beantwortet werden kann (siehe Interview).

Der steckt hierzulande aber weitgehend in den Kinderschuhen: kein Prüfungsfach lindernde oder Palliativmedizin auf der Uni, gerade ein Fünftel des britischen Pro-Kopf-Verbrauchs an schmerzdämpfenden Opioiden und zu wenige (leistbare) Hospizbetten.

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