freundschaft - © Foto: iStock/antolikjan

Warum wir weniger Freunde haben

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In Krisenzeiten brauchen wir Vertraute mehr denn je. Doch die Zeit, die wir in Freundschaften investieren, nimmt rasant ab. Was hat es damit auf sich?

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In Krisenzeiten brauchen wir Vertraute mehr denn je. Doch die Zeit, die wir in Freundschaften investieren, nimmt rasant ab. Was hat es damit auf sich?

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„Ohne Freundschaft möchte niemand leben, hätte er auch alle anderen Güter“, so schrieb der Philosoph Aristoteles einst, und diese Erkenntnis scheint zeitlos. Freunde können sich gegenseitig den Rücken stärken, sie können über Sorgen sprechen und sich danach leichter fühlen. Sie können als Wahlfamilie dienen, Geborgenheit schenken und das Selbstwertgefühl stärken.

Gerade in Krisenzeiten, in denen Menschen sich nach Sicherheit sehnen, klingt das erstrebenswert. Doch genau heute, zwischen all den Sorgen angesichts von Krieg, Wirtschaft und Klima, nehmen Freundschaften ab. So besagen es jedenfalls mehrere Studien, die das Phänomen des Freundschaftsrückganges mit dem englischen Begriff friendship recession benennen.

Eine Studie des American-Survey-Instituts zeigte im vergangenen Sommer auf, dass die Zeit, die die Befragten mit Personen außerhalb ihrer Familie verbringen, dramatisch zurückgeht. Wer nun die Ursache in der Pandemie und der sozialen Distanzierung ortet, liegt falsch. Bis ins Jahr 2013 verbrachten Menschen weitaus mehr Zeit mit Freundinnen und Freunden. Im Jahr 2014 nahm die Zahl plötzlich stark ab. Bereits im Jahr 2019 wurden nur noch vier Stunden pro Woche in Freundschaften investiert. Fünf Jahre zuvor lag die Zahl noch bei fünfeinhalb. Auch wenn das nicht nach viel klingt, so handelt es sich laut der Wissenschaft doch um extreme Entwicklungen für einen solch kurzen Zeitraum. Durchschnittlich, so erklärt der Soziologe Frank Welz, der an der Universität Innsbruck lehrt und forscht, habe ein Mensch heute drei Freunde.

Nicht nur ältere Menschen, von denen in diesem Zusammenhang gerne gesprochen wird, fühlen sich folglich einsam. 20 Prozent der Jungen geben in einer weiteren Studie an, sich allein zu fühlen. Doch was sind die Ursachen dieser Entwicklung?

„Es ist heute extrem schwierig, Zeit für Freundinnen zu finden und am selben Ort zu bleiben“, sagt Donata Romizi, Philosophin der Universität Wien, die an jenem Dienstag im Mai gemeinsam mit Frank Welz und der Germanistin Karin Wozonig im Rahmen des vom Wissenschaftsministerium und der FURCHE veranstalteten Science Talk spricht. „Schon Aristoteles hat gesagt: Echte Freundschaften brauchen Zeit und Zusammenleben, um wachsen zu können.“

Welz, der bis 2017 als Präsident der Europäischen Gesellschaft für Soziologie tätig war, bringt gegenteilige Befunde: „Wer studiert und wer mehr Geld hat, hat mehr Freunde – vor allem deshalb, weil diese Menschen öfter den Ort wechseln.“ Wer immer am selben Platz arbeitet und nach Dienstschluss völlig erschöpft zu Bett geht, hat schlichtweg weniger Zeit für freizeitliche Beziehungen.

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