Was lehren uns die Zelte?

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Möglicherweise war die Idee, Zelte für die Flüchtlinge aufzustellen, gar nicht so schlecht: In einer visualisierten Gesellschaft, in der nur noch Bilder wahrgenommen werden, wurde ein Problem sichtbar gemacht und damit seine Dringlichkeit dargestellt. (Vielleicht war die Idee, die Zeltlager kurz vor zwei Landtagswahlen aufzustellen, weniger gut.) Was aber lehrt uns diese Geschichte über unsere politische Ordnung?

Erstens haben die Bilder der Zelte das Problem in den Köpfen der Wähler ungerechtfertigt anwachsen lassen. Die Unterbringung von ein paar tausend Menschen ist in einem Land wie Österreich ein Mini-Problem, doch mit jeder Minute der Berichterstattung wurde das Problem in den Köpfen der Menschen größer und größer. Gleichzeitig kamen die Bilder vom Mittelmeer. Man "sieht": Wenn schon Zeltlager nötig sind, dann rollt wohl ein Flüchtlingstsunami über Europa.

Zweitens hat das Diskussionsvakuum der letzten Jahre die Ingangsetzung einer vernünftigen Problemdiskussion erschwert. Jeder, der Migration überhaupt als "Problem" betrachtet hat, wurde der Fremdenfeindlichkeit geziehen. Aber weder hilft "Verdrängung" noch gelingt "Aussitzen". Denn dann werden, wie geschehen, jahrelang nur die niedrigsten Instinkte der Menschen angesprochen, immer wieder. Drittens ist ein "vetokratisches" System zu keiner Problembewältigung geeignet. Wenn jeder Bürgermeister und jeder Landeshauptmann seinen Einspruch gegen eine Bundesmaßnahme wie die Unterbringung von Flüchtlingen einlegen kann, dann handelt es sich um falsch verstandenen Föderalismus. Es gibt kein "Bundesgebiet", das nicht auf dem Territorium eines Landes und einer Gemeinde liegt. Wenn die Unterinstanzen blockieren und gleichzeitig mangelnde Regierungsaktivität kritisieren, haben wir ein Problem mit der Realverfassung in diesem Land.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Graz

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