Was passiert, wenn (uns) Haider passiert?

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Die Journalistin Christa Zöchling legt in ihrem Buch "Haider - Licht und Schatten einer Karriere" eine penibel recherchierte, lesenswerte Biographie des umstrittensten Politikers der Zweiten Republik vor. Eine wesentliche Frage bleibt jedoch offen: was ist zu erwarten, wenn Jörg Haiders FPÖ am 3. Oktober den Einzug in die Bundesregierung schafft?

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Die Journalistin Christa Zöchling legt in ihrem Buch "Haider - Licht und Schatten einer Karriere" eine penibel recherchierte, lesenswerte Biographie des umstrittensten Politikers der Zweiten Republik vor. Eine wesentliche Frage bleibt jedoch offen: was ist zu erwarten, wenn Jörg Haiders FPÖ am 3. Oktober den Einzug in die Bundesregierung schafft?

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Haider - schreibt Zöchling - prangere zwar "Verbände und Institutionen, Proporz und Privilegien, die Nutznießer und deren Gehälter" an. Was aber geschähe, wenn er "könnte, wie er wollte", liege im Dunklen: "Man weiß nicht, ob die propagierte Erneuerung nicht einfach darauf hinausliefe, daß sich nun auch die Haider-Partei in das Proporz-System hineinzwängt." Der Umstand, daß in Haiders Politik - ähnlich wie im Lotto - alles möglich sei, führt die Autorin auf den Populismus des FP-Obmannes zurück, der sich letztlich nur am Erfolg orientiere. Erfolg, sozialer Aufstieg, Dazugehören - das seien für Haider - der aus einem nach dem Krieg depravierten, nationalsozialistischen Elternhaus stammt - von klein auf die wichtigsten Ziele gewesen.

"Kein Nazi" Nach Studium und erstem politischen Engagement in Wien sei der Neustart in Kärnten entscheidend für den Durchbruch gewesen: "In Kärnten hat alles angefangen. Hier durchlief er die Stationen vom blutjungen Maulhelden zum gefürchteten Oppositionspolitiker. Hier wurde aus einem kleinen Parteiangestellten ein Chef, der seine Vorgänger aus der Partei drängte oder ausschloß. Hier hatte die Macht der Sozialdemokratie jahrzehntelang so ungeniert ihr Gesicht gezeigt, daß der Stürmer als Befreier willkommen geheißen wurde. Und hier gingen nicht wenige, die zum politischen Establishment gehörten, stolz mit einer nationalsozialistischen Familiengeschichte hausieren."

Die Autorin verzichtet in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit dem FP-Chef dankenswerterweise darauf, primitiv die Antifaschismuskeule zu schwingen. Haider sei "sicher nicht das, was unter einem 'faschistischem Agitator' zu verstehen ist", "selbstverständlich" auch "kein Nationalsozialist". Gleichwohl stelle es "ein Grundmuster in Haiders Karriere" dar, "daß er mit unterstellten oder tatsächlichen nationalsozialistischen Anspielungen die größte Furore macht". Haiders "ideologische Versatzstücke des klassischen Nationalsozialisten" träten "in immer neuer Umgebung als etwas Neues und Modernes" auf: "Ihre Herkunft ist kaum noch kenntlich und ihre Spuren sind kaum noch zurückzuverfolgen."

Seinen politischen Erfolg - diagnostiziert Zöchling - verdankt Haider nicht unwesentlich dem "Wunsch nach Veränderung", "nach einem Ausbruch aus einer scheinbar ewig währenden großen Koalition". In dieser Situation sei Haider einerseits "ein Großmeister der Haltung von Recht und Ordnung", andererseits aber spreche er "doch zu allererst das Bedürfnis des Wählers an, daß sich etwas ändern müsse im Land": "Er ist ein Stockkonservativer in flippiger Aufmachung." Der Konservativismus des FP-Chefs habe jedoch "nichts Religiöses, Bäuerliches oder Bodenständiges an sich": "Er ist modern. Er ist national und er ist sozialistisch." In seinen öffentlichen Auftritten verhöhne Haider "die bürgerlich-konservative Politik der ÖVP, die ihm verweichlicht, kraftlos und feige erscheint". Die Sozialdemokratie sei dagegen "der große Gegner": "Ihre Erbschaft will er antreten."

Haider sei heute "ein erfolgreicher Politiker, der von Wahl zu Wahl immer mehr Anhänger hinter sich herzieht, aber seine Besessenheit, seine Obsessionen sind geblieben. Die Bürgerlichen verachtet er, die Sozialdemokratie will er bezwingen". Was andere rechtspopulistische Parteien in Europa schon lange praktiziert hätten, habe Haider "zur Meisterschaft" geführt: "Er begnügte sich nicht mit einer Single-issue-Politik, sondern setzte, wie in einer Kettenreaktion, immer neue Kampagnen in die Welt."

Ständige Mutproben Denn ruhige Reform, stetige Entwicklung seien - glaubt Zöchling - Jörg Haiders Sache nicht: "Haider verspricht die Show, und eine Show muß immer weiter gehen. Ein geregeltes, gleichmäßig dahinlaufendes Politikerleben läßt seine Mentalität nicht zu. Haider braucht die ständige Mut- und Nervenprobe."

Mag sein. Aber wenn dem so ist, stellt sich gerade am Vorabend einer Nationalratswahl die Frage: braucht solches auch das Land?

Haider. Licht und Schatten einer Karriere. Von Christa Zöchling. Molden Verlag, 221, Seiten öS 298,-/e 21,66

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