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In den Fragen von Liebe und Tod tritt uns das Dilemma der Rechtsetzung besonders drastisch vor Augen.

Gesellschaftspolitische Fragen emotionalisieren. Der tiefste Grund dafür liegt darin, dass es in ihnen um Liebe und Tod geht - um jene Themen, von denen der polnische Schrifsteller Andrzej Szczypiorski einmal meinte, sie seien letztlich die einzigen, die den Menschen umtreiben. Man müsste hier wohl noch "Identität" ins Spiel bringen, also Geschichte, Heimat etc. Doch gewinnt wohl die Frage der Identität ihre Schärfe erst in der Perspektive auf die Endlichkeit des Menschen. Alles andere - man verfolge nur die politischen Debatten - erscheint daneben irgendwie blutleer.

So überrascht es auch nicht, dass die neuesten Zahlen der Statistik Austria, denen zufolge im Schnitt jede zweite Ehe in Brüche geht, in Wien fast sechs von vier Ehen scheitern, etlichen Tageszeitungen gar die Schlagzeile wert waren. Ebenso bezeichnend war die Tatsache, dass diese Nachricht weitgehend unkommentiert blieb: Es herrscht Rat- und Sprachlosigkeit, so man diese Entwicklungen nicht ohnedies als im Trend allgemeiner Emanzipation und Individualisierung liegend begrüßt oder zumindest zur Kenntnis nimmt (siehe dazu die Kolumne von Martina Salomon, S. 4). Was hier alle - aus guten Gründen - eint, ist die Einsicht, dass es hinter die prinzipielle Akzeptanz der Scheidung kein Zurück geben kann, womit sich die Frage nach einer Änderung der Rechtslage erübrigt.

Anders verhält es sich beim Jugendschutz. Seit Jahren stritt man periodisch heftig um den Paragraphen 209, nun wurde er höchstgerichtlich gekippt, in einer Blitzaktion wurde gleichsam als Ersatz der Paragraph 207b geschaffen, der für nicht minder hitzige Kontroversen sorgte. Die Eile bei der Neuregelung und der problematische weil schwammige Begriff der "mangelnden Reife" musste selbst jene verstören, die das prinzipielle Ansinnen der Regierung für vernünftig halten; auf der anderen Seite stand das sich liberal gebende und doch so seltsam eindimensionale Gerede von einem Anschlag auf die sexuelle Freiheit und ähnlichem.

Hinter diesen Auseinandersetzungen lassen sich indes auch unterschiedliche Vorstellungen, was denn Recht sei, ausmachen: Recht kann als Ausdruck und Festschreibung des Minimalkonsenses einer Gesellschaft verstanden werden. Mittels Recht werden Signale im Sinne des für politisch wünschenswert Erachteten gesetzt. Jede Liberalisierung wird demnach nicht zu Unrecht als Aufweichung dieses Grundkonsenses gesehen. Die andere Sichtweise nähert sich dem Phänomen gewissermaßen von den Rändern, von den Extremfällen her; sie hat für sich, dass sich Recht gerade dort zu bewähren hat. In dieser Perspektive kann freilich eine Liberalisierung geradezu als Gebot der Humanität erscheinen.

So gibt es etwa gute Gründe, die Legalisierung der Sterbehilfe abzulehnen - im Sinne einer letzten Unverfügbarkeit über das Leben zugunsten der Würde des Menschen (alle konkreten und praktischen Einwände laufen hier zusammen). Die Sache sieht anders aus, wenn man fragt, ob denn nun ein Arzt, der einem schwer leidenden, hoffnungslos Todkranken zu einem "guten Tod" verhilft, tatsächlich bestraft werden soll. Nur Fundamentalisten werden sich hier mit einer Antwort leicht tun.

Ähnliches gilt für den Bereich des Zwischenmenschlichen. Es spricht vieles dafür, funktionierende Familien als für eine Gesellschaft essentiell anzusehen sowie Jugendliche vor Formen sexuellen Missbrauchs zu schützen. Dass die Realität eine andere Sprache spricht, ist kein Grund, dem nicht etwas entgegenzusetzen. Wer bestimmte Lebens- und Liebesformen fördert, sanktioniert indirekt automatisch andere. Was aber darf direkt sanktioniert werden?

Beim Scheitern von Ehen haben wir - siehe oben - einen Konsens erreicht; anderswo sind wir noch weit davon entfernt. Dabei werden vor dem Hintergrund des medizinischen und biotechnologischen Fortschritts die uralten Fragen von Liebe und Tod in den nächsten Jahren noch drängender werden. Dass wir dafür hinreichend vorbereitet wären, lässt sich kaum behaupten.

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