Was wir von der Hofburg erwarten

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GASTKOMMENTAR. Wie wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Regierungsbildung im Gefolge der Nationalratswahlen am 15. Oktober agieren? Aus gegebenem Anlass ein Blick auf andere Länder und ein Streifzug durch die österreichische Zeitgeschichte.

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GASTKOMMENTAR. Wie wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Regierungsbildung im Gefolge der Nationalratswahlen am 15. Oktober agieren? Aus gegebenem Anlass ein Blick auf andere Länder und ein Streifzug durch die österreichische Zeitgeschichte.

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Der lange Präsidentschaftswahlkampf, der das ganze Jahr 2016 überschattete, brachte unter anderem die Allmacht des Amts oder auch nur die Fantasien eines Kandidaten zur Sprache. In der Folge wurde über Änderungen beziehungsweise über Einschränkungen der Befugnisse des österreichischen Staatsoberhaupts diskutiert. Zu einer Einigung auf eine entsprechende Verfassungsänderung kam es im Nationalrat aber bisher nicht.

Eine besondere Aufmerksamkeit kommt naturgemäß der Rolle des Bundespräsidenten bei der Regierungsbildung zu. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang internationale und historische Vergleiche. Werfen wir zunächst einen Blick auf drei EU-Staaten, die wohl recht unterschiedliche, aber durchwegs klassische parlamentarische Demokratien mit einer bescheidenen Rolle für das Staatsoberhaupt sind.

Dänemark, Griechenland, Deutschland

Dänemark verfügt als eine der sieben Monarchien der EU über ein gemeinsames Staatssymbol, das keinerlei politischen Einfluss nimmt. Hier erfolgen Regierungsbildungen erstaunlich rasch und unkompliziert, obwohl seit Jahrzehnten ein buntes Parteienspektrum insbesondere auf bürgerlicher Seite besteht. Dennoch fühlen sich die Parteien ziemlich eindeutig dem rechten oder linken Lager zugehörig. Seit einem halben Jahrhundert verfügt in diesem Land keine Regierung über eine eigene Mehrheit, aber trotzdem ist klar, von welchen Parteien eine Regierung parlamentarisch gestützt wird. Auch ohne Festschreibung im Grundgesetz entstand ein Grundkonsens über die politischen Spielregeln, wie er zuletzt nach der Wahl 2015 demonstriert wurde. Obwohl das rechte Lager (blauer Block genannt) nur ein Mandat mehr als die sozialdemokratisch geführte Regierung (roter Block) erreichte, ging der Wechsel reibungslos über die Bühne. Neuer Regierungschef wurde Lars Løkke Rasmussen, obwohl seine liberale Partei Venstre nur drittstärkste Kraft war. Er bildete eine Minderheitsregierung, die von zwei weiteren bürgerlichen Parteien sowie der populistischen Dänischen Volkspartei gestützt wurde. Letztere, immerhin zweitstärkste Partei, zieht es aber ohnehin vor, von außen eine Verschärfung der Migrationspolitik durchzusetzen. In ihrer Sozialpolitik finden sich indes durchaus auch sozialdemokratisch anmutende Forderungen. Kürzlich gab es sogar Gespräche mit den Sozialdemokraten, was verschiedentlich als eine mögliche Aufweichung der Parteienblöcke interpretiert wurde.

Andere Spielregeln, dafür aber sogar rechtlich festgelegt, findet man in Griechenland. Hier ist die Reihenfolge des Regierungsauftrags nach der Parteienstärke vorgeschrieben. Gelingt es dem Vertreter der stärksten Partei nicht, eine Regierungsmehrheit zustande zu bringen, geht der Auftrag an den Vertreter der zweit-,gegebenenfalls sogar an jenen der drittstärksten Partei. Praktisch hat aber die stärkste Partei einen großen Vorteil, da sie einen Bonus von fünfzig Parlamentsmandaten erhält. In Krisenzeiten, wie etwa 2011/12, kann der Staatspräsident eine Expertenregierung ernennen, die allerdings auch auf eine Mehrheit im Parlament angewiesen ist.

In Deutschland muss es seit 1949 eine Mehrheit der Abgeordneten, die sogenannte Kanzlermehrheit, geben. Konrad Adenauer wurde mit genau diesem Minimum zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik gewählt. Dem Bundespräsidenten, lediglich von der Bundesversammlung gewählt, kommt nur die Rolle zu, die Person als Kanzler vorzuschlagen, für die eine Mehrheit zu erwarten ist. Die Parteien entscheiden faktisch ohne Mitwirkung des Staatsoberhaupts, selbst in einer Ausnahmesituation wie 1982 beim fliegenden Koalitionswechsel der FDP von SPD zu CDU/CSU ist er letztlich nur Vollzugsorgan. Was im günstigsten Fall bleibt, sind Reden von hohem moralischem Anspruch wie jene Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 zum Weltkriegsende als Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur oder am 3. Oktober 1990 über die gemeinsame Verantwortung nach der wiedergewonnenen deutschen Einheit.

Kreiskys Minderheitsregierung 1970

Nach dem aktuellen internationalen Vergleich lohnt die Betrachtung der historischen Situation in Österreich. Sie beruht auf der Verfassungsnovelle von 1929, das heißt auf einem Kompromiss zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten. Wollten die ersteren eine deutliche Stärkung des Staatsoberhaupts, war das Ziel der letzteren, so viel wie möglich davon zu verhindern. Als Ergebnis erfolgte zwar optisch eine Aufwertung des Bundespräsidenten, in der Praxis wurde allerdings nicht viel davon umgesetzt.

Als Probe aufs Exempel löste Bundespräsident Miklas 1930 auf Antrag der Minderheitsregierung unter Bundeskanzler Vaugoin den Nationalrat auf, bei der nachfolgenden Wahl waren die Regierungsparteien allerdings noch weniger erfolgreich als heuer Theresa May. Bis heute ist diese Vorgangsweise nie wieder angewandt worden. Bei den Aufträgen zur Regierungsbildung nützte Miklas sehr wohl die neuen verfassungsrechtlichen Möglichkeiten. So ernannte er die folgenden Regierungen ohne entsprechende Vorschläge der Parteien.

Eine wesentliche Stärkung der Legitimation des Bundespräsidenten wurde zwar 1929 beschlossen, jedoch erst 1951 umgesetzt, nämlich die Volkswahl. Dies führt zur Frage der Realverfassung in der Zweiten Republik. Der erste Amtsträger, Karl Renner, nur von der Bundesversammlung gewählt, versuchte sich gelegentlich in die Regierungsgeschäfte einzumischen, wurde jedoch von seinem Parteivorsitzenden, Vizekanzler Schärf, zurechtgewiesen. Theodor Körner war zwar ungleich zurückhaltender, lehnte aber bei der Regierungsbildung 1953 die Beteiligung des VdU (Vorläufer der FPÖ) ab.

Ungleich folgenreicher war die Vorgangsweise von Franz Jonas 1970. Er akzeptierte den Bericht Bruno Kreiskys vom Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP und dessen Vorschlag zur Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung. Bundespräsident Schärf hatte 1959 noch anders reagiert. Nachdem ÖVP-Obmann Julius Raab seinen Auftrag zur Regierungsbildung zurückgelegt hatte, beauftragte er diesen erneut. Nach einer weiteren Woche wurde schließlich wieder eine große Koalition angelobt. 1999/2000 wurden letztlich die Grenzen der Möglichkeiten für den Bundespräsidenten sichtbar. Wenn er keine Staatskrise provozieren will, dann muss er die Mehrheit im Nationalrat (in diesem Fall gebildet von ÖVP und FPÖ) akzeptieren.

Van der Bellens Feuerprobe

Welche Schlüsse lassen sich aus den bisherigen Darstellungen ziehen? In Deutschland und Griechenland wäre eine Minderheitsregierung wie 1970 nicht möglich gewesen, in Dänemark schon. Die Auflösung des Nationalrats durch den Bundespräsidenten war keine Erfolgsgeschichte und könnte problemlos wieder abgeschafft werden. Anders ist der Spielraum bei der Regierungsbildung zu sehen. Aus den verfassungsmäßigen Befugnissen und der Legitimation durch die Volkswahl erwächst dem Bundespräsidenten eine moralische Autorität.

Nach einer erfolgreich bestandenen Feuerprobe im heurigen Mai wird vom derzeitigen Amtsträger erwartet, dass er auch nach dem 15. Oktober verantwortungsvoll agiert. So ist es ihm nach dem Obmannwechsel in der ÖVP gelungen, eine Regierungskrise zu verhindern. Einer Kurzschlussreaktion wie der Entlassung der ÖVP-Minister samt der Einsetzung einer SPÖ-Minderheitsregierung erteilte er offensichtlich genauso eine Absage, wie er anscheinend auch auf den Bundeskanzler einwirkte, das eigenartige Schauspiel um die Nominierung eines Vizekanzlers zu beenden. Diese Möglichkeiten zur Lösung einer Konfliktsituation sollte man dem Bundespräsidenten weiter lassen.

| Der Autor ist AHS-Lehrer und Lehrbeauftragter an der PH Wien |

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