Was zählt, sind echte Taten

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Um klare Worte ist er nie verlegen, doch es sind die konkreten Werke und Taten, die zählen. Franz Küberl ist nach bereits 15-jähriger Amtszeit Caritas-Präsident bis zum Jahr 2013.

Vor 15 Jahren wurde Franz Küberl Präsident der Caritas Österreich, er trat am 1. Dezember 1995 dieses Amt an. Im heurigen November wurde er für weitere drei Jahre bestellt. Ein FURCHE-Interview zur Sache und zur Person.

Die Furche: Das Jahr der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung geht seinem Ende zu. Ihre Zwischenbilanz?

Franz Küberl: Die fällt etwas ernüchtert und ernüchternd aus. In Österreich kommt die bedarfsorientierte Mindestsicherung nur stückweise zustande. Die Debatte war nicht besonders hochstehend. Dieses europäische Jahr zur Bekämpfung der Armut wurde zu einem europäischen Jahr der Bekämpfung jenes Dramas, das - ich sage das ganz altgriechisch - Idioten am Finanzmarkt verursacht haben. Griechenland und andere Staaten ziehen Aufmerksamkeit und Geld in ihren Bann, um zu überleben. Aber die Absicht des Jahres war es, zu zeigen, was Staaten tun können, um die Armut der Menschen auszuhebeln. Von dieser großen Initiative ist nicht viel übrig geblieben.

Die Furche: Wie konnte das, gemeint sind die Finanz- und Wirtschaftskrise, passieren?

Küberl: Es ist ganz simpel: weil Banken und andere Finanzinstitute über ihre Verhältnisse gelebt und das nicht bekannt gegeben haben. Die Konsequenzen waren eine Finanz- und eine Wirtschaftskrise. In der Caritas haben wir bemerkt, wie die Anzahl der Arbeitslosen und die Dauer der Arbeitslosigkeit gestiegen sind. Die Anzahl der manifest Armen in Österreich erhöhte sich innerhalb eines Jahres von 398.000 auf 492.000.

Die Furche: Der Staat kürzt Sozialetats, aber für jene, die für ihr Schicksal selbst verantwortlich gemacht werden, spenden auch Private nicht gerne. Eine Doppelmühle?

Küberl: Diese Doppelmühle existiert. Die Bereitstellung des österreichischen Euro-Rettungsschirmes verschlingt enorme Mittel. Mehr als die Mindestsicherung kostet. Für diese hat der Staat 150Millionen Euro bereitgestellt. Das ist, pardon, ein Lercherl, im Vergleich zu jenen Beträgen, die Banken nicht an den Staat zurückzahlen, weil sie dazu nicht in der Lage sind. Das ist für jemanden, der an so einer Stelle tätig ist wie ich, eine äußerst schmerzhafte Rückmeldung.

Die Furche: ... und die Spendenbereitschaft?

Küberl: In der Solidarität jener, denen es besser geht, mit den anderen, liegen Reibepunkte. Einer ist, dass sich Leute mit dem Argument, der andere sei selber schuld, aus der solidarischen Mitverantwortung entfernen. Andererseits weiß ich aus der Caritas, dass - Gott sei Dank - tausende Leute mithelfen und dass tausende Kirchgänger pro Jahr alleine bei den drei großen Sammlungen in Summe große Beträge zur Verfügung stellen. Natürlich reichen diese nicht aus. Die Solidarität mit den Armen muss jeden Tag neu argumentiert werden.

Die Furche: Gerade für die Inlandshilfe benötige die Caritas besondere Bemühungen.

Küberl: Die Trennlinie liegt zwischen der einmaligen und der ständigen Solidarität. Bei einer Katastrophe wie auf Haiti hat man das Gefühl, wir seien eine Menschheit. Aber bei ständiger Hilfe, auch im Ausland, tun wir uns schwer. Jetzt wird die Entwicklungshilfe in drei Jahren um 83 Millionen gekürzt. Zur Inlandshilfe gilt: Wenn man die Menschen konkret um Hilfe für notleidende Menschen bittet und sie sich, wie bei der Caritas, darauf verlassen können, dass ihre Spende ankommt, dann zeigen sie ein großes Herz. Wir erwarten, dass die Inlandsspenden heuer leicht über dem Vorjahr liegen werden. Manche geben sich aber so, als gäbe es eine Art von ungestörtem Fruchtgenuss. Den gibt es nicht. Wir Menschen sind untereinander und miteinander mehr verwoben als wir glauben möchten. Am Anfang und am Ende des Lebens ist es völlig klar, dass wir anderer bedürfen, um die Würde des Menschseins zu bewahren. Ich kenne Wohlhabende, die hätten sich ihre Herzoperation nicht selbst bezahlen können. Für so etwas müssen Tausende in den Sozialtopf einzahlen. Es ist so: Im menschlichen Leben bedarf es immer auch der anderen.

Die Furche: Hat Sie die Erfahrung einer schweren Verletzung und Ihrer Heilung dafür empfänglicher gemacht?

Küberl: Das war für mich schon noch einmal ein Lehrstück. Aber dass niemand für sich allein leben und überleben kann, habe ich auch schon vorher gewusst.

Die Furche: Ist der Mangel an Verständnis dafür mit eine Ursache für die Misere um die Mindestsicherung? Niemand fühlt sich für das Ganze verantwortlich.

Küberl: Von Goethe stammt das Wort, man könne eine Weste nur dann richtig zuknöpfen, wenn der erste Knopf passe. Bei der Mindestsicherung sind nicht so wenige dabei, das erste Knopfloch sogar zuzunähen. Die Einigung von Martin Bartenstein und Erwin Buchinger war gut. Die wollten diese für Personen im arbeitsfähigen Alter beim Arbeitsmarktservice ansiedeln. Dieses hätte mehr an sozialer Kompetenz erhalten müssen, denn manchmal sind Dinge des Lebens in Ordnung zu bringen, ehe jemand wieder in das Arbeitsleben einsteigen kann. Aber es ist anders gekommen. Zu viele Personen im Bund und in den Ländern haben beigetragen, das misslingen zu lassen. Es gab kein gemeinsames Gespräch. Jetzt haben wir einen Dschungel an Zuständigkeiten. Es wird wie beim Pflegegeld: Dutzende Zuständigkeiten quer durch Österreich.

Die Furche: Ein anderes der großen Themen ist die Zuwanderung. Zu lange wurde Asylwesen und Integration vermischt und moralisch aufgeladen.

Küberl: Im Integrationsbereich gibt es große Versäumnisse, die allesamt in der Vergangenheit liegen, auch wenn inzwischen einiges aufgeholt wurde. Bundesländer und Gemeinden haben Leitbilder für Integration erstellt. Quer durch Österreich wird entdeckt, dass wir durch Zuwanderer auch reicher wurden. Zuwanderer haben Rechte und Pflichten, sie finden Chancen und Möglichkeiten vor. Das wird heute normaler ausgesprochen als noch vor einigen Jahren mit der entsetzlichen Unbedingtheit. Es geht um einen normalen Umgang miteinander und mit den Themen.

Die Furche: Dennoch gibt es Probleme ...

Küberl: ... wir haben das Problem und dieses korrespondiert mit der Armutsfrage: Eine bestimmte Schichtung von Einheimischen, die in einer schwierigen Situation sind, haben manchmal Angst, durch Zuwanderung hinten zu bleiben. Und die Angst wird durch einige Politiker, die hier politisches Kleingeld machen wollen, auch geschürt. Daher war es immer meine und der Caritas' Meinung, wir müssten Brücken bauen, für die Zuwanderer, aber auch für jene Einheimischen, die Ängste haben. Für Menschen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind, ist die Mindestsicherung eine, jedoch nicht die einzige Brücke.

Die Furche: Die Caritas gilt als hochanständig, das wirkt auf die katholische Kirche zurück, zu der sie gehört; und die Caritas steht für korrekte Politik in Ausländerfragen. Überfordert es die Caritas, das Gütesiegel zu sein: Wo Caritas draufsteht, ist Anstand drinnen.

Küberl: Ja. Wo Caritas draufsteht, ist Caritas drinnen, würde ich sagen. Wir sind nicht eine moralischere Anstalt als andere in dieser Republik. Wir stehen unter den gleichen Ansprüchen, wir haben keine Sonderstellung. Wir sind am praktischen Tun zu messen, ob es gelingt, Solidarität in Projekte umzusetzen, die dann deutlich machen, wie man etwas in vernünftiger und guter Weise richtig machen kann.

Die Furche: Wo ist die Caritas gefordert?

Küberl: Wir haben das biblische, das jesuanische Konzept: Es geht immer um alle Menschen. Daher sind wir gefordert, an den Rändern des Lebens und jenen der Gesellschaft. Die Furche: Was trägt Sie, gibt Ihnen Halt? Erfahrung, Überstandenes?

Küberl: Von allem etwas. Der polnische Historiker und Politiker Geremek meinte, es seien Hilfe auf Gegenseitigkeit, aus religiöser Sorge, aus Dankbarkeit. Ein US-Psychologe entdeckte die Ausschüttung von Endorphinen bei Hilfstätigkeit, was Glücksgefühle auslöst. Bei mir ist es fundamental so, dass ich biblisch angespornt bin. Der barmherzige Samariter, die Bergpredigt, die Gerichtsrede, das sind drei fundamentale Punkte - der evangeliare Starkstromkasten - die mich antreiben, die mich wachhalten.

* Das Gespräch führte Claus Reitan

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