Wege ebnen statt Strafe zahlen

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Österreichweit sind nur 65 Prozent der Pflichtstellen mit begünstigten Behinderten besetzt. Liegt es am Kündigungsschutz?

Statt ein gutes Vorbild abzugeben und Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen, kauft sich der Bund einfach frei: Diese unrühmliche Tatsache kam nach einer Anfragenserie der Grünen Behindertensprecherin Theresia Haidlmayr ans Licht. Demnach sind von den 7.066 Stellen, die der Staat laut Behinderteneinstellungsgesetz für "begünstigte Behinderte" schaffen müsste, 1.650 unbesetzt. Statt also Personen mit einer mehr als 50-prozentigen Beeinträchtigung - und entsprechendem Bescheid des Bundessozialamts - anzustellen, zahlt der Bund lieber 198 Euro Ausgleichstaxe monatlich. Nicht besser agieren die meisten Länder. Negativer Spitzenreiter ist Wien mit 855 nicht besetzten Stellen. Musterhaft sind hingegen die Steiermark, Oberösterreich und Kärnten, die die Quote - ein begünstigter Behinderter je 25 Mitarbeiter - übererfüllen.

Höhere Strafen?

In der Privatwirtschaft hat die Freikaufpraxis längst Tradition: 83.000 Pflichtstellen gibt es in ganz Österreich. Tatsächlich sind nur 54.600 der Stellen besetzt. Kein Wunder, dass der Ausgleichstaxfonds mit 90 Millionen Euro prall gefüllt ist. Die Mittel kommen in Form von Förderungen all jenen Unternehmen zugute, die ihren Pflichten nachkommen (siehe Kasten). Zusätzlich profitieren sie von Steuererleichterungen. Laut Sozialministerium liegt die Ersparnis pro behindertem Beschäftigten - inklusive ersparter Ausgleichstaxe - im Durchschnitt bei 300 bis 400 Euro monatlich.

Eine Summe, auf die viele Unternehmer lieber verzichten, als Menschen mit Beeinträchtigungen einzustellen. Zwar beträgt die Zahl der als arbeitssuchend gemeldeten begünstigten Behinderten (insgesamt 89.000) laut AMS derzeit nur knapp 3.000 - die tatsächliche Zahl liegt aber weit darüber, ist Theresia Haidlmayr überzeugt: "Das sind völlig falsche Zahlen: 44 Prozent der begünstigt behinderten Menschen sind arbeitslos!" Umso vehementer fordert sie ein Verbot für den öffentlichen Dienst, sich freizukaufen - und eine empfindliche Anhebung der Ausgleichstaxe. Zwar wurde diese erst im Jahr 2001 von 149 Euro auf 196 Euro und zuletzt auf 198 Euro angehoben. Doch Haidlmayr will mehr: "Die Ausgleichstaxe muss so hoch sein wie die Lohnkosten plus Lohnnebenkosten. Ein Freikaufen zu Dumping-Preisen darf es nicht mehr geben."

So hoch diese Strafsteuer auch wäre: Kurt Ramskogler ließe sich davon wohl nicht beeindrucken. Drei Jahre lang hatte der niederösterreichische Unternehmer - Chef von 80 Beschäftigten in fünf Firmen - mit einem beeinträchtigten Arbeitnehmer prozessiert. Was war passiert? Ramskogler hatte, ohne es zu wissen, einen "begünstigten Behinderten" mit einer über 50-prozentigen Gehbehinderung angestellt. "Er hat schon ein bisschen gehinkt. Aber wenn man einen Stock hat, muss man noch lange kein Behinderter sein", so Ramskogler. Nachdem die Arbeitsleistung zu wünschen übrig ließ - "er war einfach faul" - sprach er gegenüber dem 35-Jährigen die Kündigung aus. Prompt wurde ihm der Bescheid des Bundessozialamtes samt Kündigungsschutz präsentiert. Um die Kündigung eines begünstigten Behinderten rechtswirksam zu machen, musste Ramskogler vor dem Behindertenausschuss des Bundessozialamtes eine Zustimmung erwirken. Fehlanzeige. Vor dem Gang zum Höchstgericht gab er schließlich auf. Während des Prozesses hatte er dem missliebigen Mitarbeiter Gehaltsfortzahlungen im Umfang eines "oberen, sechsstelligen Schillingbetrages" überwiesen. "So viel Ausgleichstaxe können sie von mir gar nicht verlangen", meint Ramskogler.

Seit diesem Fall hat sich die Gesetzeslage für die Arbeitgeber deutlich gebessert, betont Hansjörg Hofer, Leiter der zuständigen Abteilung im Sozialministerium: "Mittlerweile tritt der besondere Kündigungsschutz erst nach sechs Monaten ein. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben also Zeit, um zu beurteilen, ob sie sich eine dauerhafte Beschäftigung vorstellen können." Außerdem würde der Behindertenausschuss auch nach Ablauf dieser Frist Kündigungen genehmigen, wenn triftige Gründe - etwa eine beharrliche Pflichtenverletzung - vorliegen würden. In immerhin 80 Prozent der rund 500 Kündigungs-Anträge komme es zu einer gütlichen Einigung, so Hofer. Dennoch steht es dem Arbeitnehmer bis heute frei, seinen Behinderten-Status für sich zu behalten - auch wenn das Bundessozialamt ihn zu einer Mitteilung drängt.

Hinderlicher Schutz?

Eduard Riha, Generalsekretär der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, der Dachgesellschaft für 73 Behindertenverbände, verteidigt diese Regelung. Die Möglichkeit, den Behinderten-Status beim Einstellungsgespräch zu verschweigen, sei eine "Notwehrmaßnahme": "Wenn ich zum Chef sage: Ich habe diese Qualifikation - und diese Behinderung auch noch, dann war es das." Außerdem informiere das Bundessozialamt nach sechs Monaten von sich aus den Arbeitgeber - gesetzt den Fall, der Arbeitnehmer hat das bei seinem Bescheid-Antrag datenschutzrechtlich erlaubt. "Die meisten machen das", heißt es im Sozialministerium.

Das betont auch Eduard Riha, der auch am besonderen Kündigungsschutz für begünstigte Behinderte festhalten will. Nicht alle Betroffenen teilen diese Ansicht. "Der Kündigungsschutz stört", meint etwa Brigitte Hudecek, Radiologin am Hanusch-Krankenhaus in Wien. Die 45-Jährige sitzt selbst seit zwölf Jahren im Rollstuhl. Diagnose: Multiple Sklerose. "Kein Arbeitgeber wird es sich antun, jemanden zu nehmen, für den man eventuell etwas umbauen muss - und den man nur schwer wieder los wird." Zu viel Schutz sei hier ein Fehler, meint Hudecek: "Es gibt ja viele behinderte Leute, die leistungsbereit sind - und die dann in der Arbeitslosigkeit sitzen. Das ist schade."

Förderungen & Co

Zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen gibt es - zusätzlich zu den Richtlinien für begünstigte Behinderte - verschiedene Förderungen, die vom Sozialministerium an die Arbeitgeber ausbezahlt werden. Finanziert werden diese Förderungen aus dem Ausgleichstaxfonds.

Hatte etwa ein Jugendlicher mit 13 Jahren sonderpädagogischen Förderbedarf, so kann er während seiner Ausbildungszeit eine integrative Berufsbildungsassistenz in Anspruch nehmen. Lohnstützungen oder Lohnkostenzuschüsse sind ein weiterer Anreiz, Behinderte aufzunehmen (Informationen für Berufseinsteiger unter www.faktori.wuk.at).

Auch eine behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes, etwa die Errichtung einer Rampe, wird finanziell unterstützt. Eine Initiative der Industriellenvereinigung (IV) gemeinsam mit AMS, Wirtschaftskammer und anderen spornt Unternehmer zusätzlich an, ihrer Pflicht nachzukommen. Auf www.arbeitundbehinderung.at sind sechzig Praxisfälle nachzulesen, die zeigen, wie die Integration am Arbeitsplatz funktionieren kann. Da ist etwa der gehörlose Fliesenleger, der sich mittels Lippenlesen und SMS mit seinen Kollegen verständigt und eine Integrationsbeihilfe in Höhe von monatlich 1.000 Euro bezieht. Ein Beispiel, das Mut macht. MM

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