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Weihnachten im Hospiz: Der Tod und das Jetzt

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Lista Istel (64) verbringt Weihnachten im Hospiz. Sie ist unheilbar krank. Die Zeit, die ihr bleibt, versucht sie mit Wahrhaftigkeit zu füllen. Eine Begegnung.

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Lista Istel (64) verbringt Weihnachten im Hospiz. Sie ist unheilbar krank. Die Zeit, die ihr bleibt, versucht sie mit Wahrhaftigkeit zu füllen. Eine Begegnung.

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Zukunft. Gegenwart. Vergangenheit. Lisa Istel misst nur einem Zeitintervall Bedeutung zu: der Gegenwart. Dem Jetzt. Der Unmittelbarkeit. Sie sitzt in einem Polstersessel. Er ist elektronisch verstellbar. Nachts schläft sie darin. Dafür wird die Lehne etwas flacher gestellt.

Liegen kann sie nicht. Nicht mehr. Das medizinische Bett in ihrem Zimmer wurde zum nutzlosen Objekt. Fast wirkt es wie ein Störfaktor. Nur dieses eine sterile Möbelstück weckt Assoziationen an Krankheit, an Leid. Die Packung mit Einweghandschuhen, der Desinfektionsmittelspender, der Rollstuhl – nichts von alledem fällt zunächst ins Auge. Dafür aber die Lichterkette, die an der Wand hängt. Die Tannenzweige. Die Weihnachtssterne. Die gerahmten Fotos, auf denen Lisa Istels Familie zu sehen ist. Der Raum ist extrem beheizt, fast überhitzt. Sie möge es warm, sagt sie.

Dann bittet sie die Besucherin, die Vorhänge zuzuziehen. Die Dezembersonne scheint grell herein, blendet die Bewohnerin. Gelb sind die Vorhänge, der Raum füllt sich mit gedämpfter Helligkeit. Die Besucherin setzt sich auf einen Sessel. Fünf Handbreit liegen zwischen ihr und Lisa Istel.

Der Gedanke, loszulassen

Zwei einander fremde Frauen sitzen sich gegenüber. Sie haben sich getroffen, weil Lisa Istel erzählen wird. Über das, was ihr widerfährt – das Sterben. Ihre Grazer Wohnung hat sie aufgegeben. Die Zeit, die ihr noch bleibt, wird sie im Hospiz verbringen. In diesem Zimmer mit den gelben Vorhängen, der Lichterkette, dem höhenverstellbaren Sessel, den Bildern an den Wänden. Und dem Krankenbett, in dem sie nicht schläft. Weil sie im Liegen schlecht Luft bekommt. Es sind die Metastasen, die auf ihre Atemmuskulatur drücken. Sie haben auch die Lymphe befallen und verstopfen die Lymphbahnen. Massive Schwellungen, Ödeme sind die Folge. Ihre Beine lagert Lisa Istel deshalb hoch. Das verschafft Erleichterung. Eine Spur.

Den Rest übernimmt die Schmerzpumpe, ein handtellergroßes Gerät, das mit einem Schlauch verbunden ist. Lisa Istel kann sich das Morphium direkt in die Vene injizieren. Schmerzen muss sie kaum ertragen, sagt sie. Das Wort Lebensqualität fällt.

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