Weisheit statt Rankings

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Bildung ist in aller Munde -und einer der "Hot Spots" im Finale des laufenden Nationalratswahlkampfs (vgl. die Debatte in der kommenden FURCHE). Doch welches Menschenbild hinter unseren Bildungsidealen steckt und was Bildung braucht, um wirksam und fruchtbar zu werden, wird nur selten diskutiert. Die diesjährige 9. GLOBArt Academy hat sich im Kloster Pernegg im Waldviertel mit dem Thema "Bildung. Ein Menschenrecht" auseinandergesetzt. Die

prägendsten Aussagen und Erkenntnisse finden sich in diesem Dossier.

Redaktion: Doris Helmberger

Ausbildung verhindert Einbildung", heißt es in einem deutschen Sprichwort. Ein weiser Satz, den GLOBArt-Präsident Bijan Khadem-Missagh gleich zu Beginn der 9. Sommer-Academy der Initiative im Kloster Pernegg zitierte. Doch ist Bildung und Ausbildung dasselbe? Und was umfasst der weite Begriff "Bildung" überhaupt?

"Es ist jedenfalls eines der Grundrechte des Menschen, dass er sich bilden kann", betonte der Wiener Erziehungswissenschafter Marian Heitger in Pernegg. Sich zu bilden heiße freilich mehr, als bloß Informationen zu sammeln. Es bedeute, Einsichten zu gewinnen und zugleich zu lernen, wo die Grenzen des eigenen Wissens verlaufen. Hohe Anforderungen also. Doch werden sie vom gegenwärtigen Bildungssystem auch erreicht? Marian Heitger hat seine Zweifel - und begründet seinen Verdacht einer zunehmenden "Nutzbarmachung" und damit Reduktion der Bildung zur bloßen Ausbildung anhand von drei gängigen Schlagworten der aktuellen Bildungsdebatte.

*Leistungsstandards: Sie würden nach Heitger die "Tendenz zur Gleichschaltung" im Bildungsprozess befördern und das Maß des zu erwerbenden Wissens "möglichst niedrig halten, damit es auch von allen erreicht werden kann".

*Evaluation: Damit würde das Vorhaben bezeichnet, das Können und Wissen des Menschen zu kontrollieren. "Man kann aber nicht kontrollieren, ob jemand gebildet ist oder nicht", ist Heitger überzeugt. "Man kann nur nachprüfen, ob jemand mathematische Rechenprozesse beherrscht oder rechtschreiben kann."

*Output: Ein Wort, das nach Ansicht des Erziehungswissenschafters bezeichnenderweise auch in der Industrie verwendet wird - wobei in diesem Zusammenhang auch häufig von notwendiger "Effektivität" die Rede ist. "Beim Menschen geht es aber nicht nur um Kenntnisse, sondern auch um Erkenntnisse. Er ist nicht nur Funktionär, sondern Mensch."

Was ist also Bildung? Sie könnte in etwa so vonstatten gehen, wie Heitger den Heiligen Augustinus zitiert: "Wir wollen von unseren Kindern ja nicht, dass sie nur lernen, was der Lehrer denkt oder gedacht hat, sondern dass ihnen beim Hören seiner Worte ein Licht aufgeht."

Ein Bild von Bildung, das auch den Vorstellungen von Johanna Haberer entspricht. Für die Theologin, Journalistin und Leiterin der Abteilung für Christliche Publizistik der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg besteht das Ziel von Bildung und Erziehung vor allem darin, jungen Menschen "Offenheit, Humor, Vertrauen auf die Menschen und Hoffen auf Gottes Begleitung mitzugeben". Bildung, so Haberer, sei nicht denkbar ohne eine spirituelle und historische Dimension. Schließlich sei Bildung als "bewusste Weitergabe von Wissen und Weisheit" nur möglich durch Tradition. Als Mutter einer 17-jährigen Tochter sehe sie selbst ihre erzieherische Hauptaufgabe darin, "ihr zu helfen, die Freiheit unserer globalisierten Welt zu bestehen."

Umso kritischer betrachtet die Theologin die Tendenz in der aktuellen Bildungsdiskussion, dass statt des "alten Wortes Bildung" oft nur noch von "Kompetenzen", von "Wettbewerb" und von "Rankings" die Rede sei. "Das Problem ist, dass wir alles, was wir beziffern können, mit Bildung verwechseln." Bildung sei freilich viel mehr - nämlich im spirituellen Sinn auch "(Hin)einbildung Christi und wahre Menschwerdung". Laut Wilhelm von Humboldt sei Bildung die "Erzeugung eines Universums der Individualität", in dessen Zentrum der Mensch stehe.

Im Kontrast zu diesem hohen Bildungsanspruch stehe laut Johanna Haberer die Forderung nach immer mehr "Spezialwissen" und der Abbau kulturellen und musischen Wissens. "Doch in einer Welt, in der das Verfügungswissen explodiert, wird es immer mehr auf das Orientierungswissen ankommen", betonte die Theologin. Nötig sei demnach eine ganzheitliche Bildung, welche die fünf Dimensionen Leiblichkeit, Sozialität, Subjektivität, Kulturalität und Historizität miteinschließe. Nicht zuletzt gelte es auch, sich des Schatzes des religiösen Wissens bewusst zu bleiben: "Die Religionen vermitteln schließlich Herzensbildung, Hoffnung und auch Zuversicht bei kontingenten Ereignissen wie Krisen und Katastrophen", betonte Johanna Haberer in Pernegg. "Auf diese Weise sind Religionen die Steuerungssoftware unseres Zusammenlebens - auch in säkularen Gesellschaften wie der unseren."

Ob Christentum, Judentum, Islam, Hinduismus oder Buddhismus: Religionen sehen das Leben als höchsten Wert. Doch wird Lebendigkeit auch in unserem Bildungssystem geachtet? Arno Böhler, Filmemacher und Philosoph an der Universität Wien, stellte die Frage noch präziser: "Sind unsere Bildungsinstitutionen überhaupt noch Institutionen im Namen des Lebens - oder haben sie sich daran gewöhnt, Lebewesen so zu behandeln, als ob sie tote Dinge wären?", fragte Böhler die Teilnehmer der GLOBArt Academy.

Böhlers Antwort fällt ernüchternd aus: "In der Schule der Zielstrebigkeit, des Regulierens, des Verordnens, wie wir sie heute haben, wird nicht der Ereignischarakter von Lebendigkeit, das Kreative des Lebens, das musische Gespür für das rechte Maß oder für einen taktvollen Umgang untereinander methodisch gelehrt." Offenbar sei eine "technowissenschaftliche Bildungsmaschinerie" im Vormarsch, die sich paradigmatisch vom Leitbild toter Körper ableiten lasse, kritisierte der Philosoph. Die Schüler, Studierenden, Lehrer und Rektoren hätten längst "den Stellenwert austauschbarer Variablen X angenommen". In einer "Schule des Lebens" müsse demgegenüber vor allem die Fähigkeit vermittelt werden, "mit anderen in sensiblen Kon-Takt zu treten". "Jeder Bildungsakt ist schließlich als eine Re-Potenzialisierung unseres Lebens zu verstehen", betonte Arno Böhler, "als ein plastischer Akt der Regeneration."

Einen ganz ähnlichen Standpunkt vertrat auch Francis D'Sa, indischer Jesuit und Professor für Systematische Theologie und Indische Religion an der Universität Würzburg. "Bildung hat in erster Linie ganzheitliche Ziele", betonte er vor den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der GLOBArt Academy. "Es geht bei Bildung ja auch um Grenzüberschreitung, Pflege der Sinnsuche, Kreativität und Abkehr von Vorurteilen." Die Überwindung der Grenzen zwischen den Kulturen sei angesichts des Zusammenwachsens der Welt zu einem "global village" längst eine Selbstverständlichkeit. Es brauche folglich verstärkt interkulturelle Bildung - und Menschen, die bereit seien, als Brückenbauer zwischen den Kulturen zu fungieren. "Der Bürger der Zukunft wird ein Weltbürger sein - oder er wird nicht mehr sein", erklärte Francis D'Sa.

Dieser Wunsch nach Offenheit stand auch am Ende der 9. GLOBArt Academy in Pernegg. "Wir brauchen ein neues Denken, eine andere Bildung, die die geistige Dimension miteinschließt", forderte der Quantenphysiker und Alternativ-Nobelpreisträger Hans-Peter Dürr in seinem Abschlussreferat. "Nur diese neue Be,geist'erung eröffnet uns den Weg zur Freiheit."

Nähere Infos unter www.globart.at

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