"Wenn alle sparen wie die EU, dann..."

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Mittagessen mit EU-Kommissarin Michaele Schreyer: Vertreter österreichischer Medien, darunter die Furche, hatten letzte Woche Gelegenheit, mit der EU-Haushaltschefin über die Kosten der Erweiterung, den Stabilitätspakt und das EU-Budget zu diskutieren - und hervorragend zu speisen.

Michaele Schreyer: Die Europäische Kommission ist ein Kollegialorgan, das heißt jeder Kommissar ist für jeden Bereich zuständig, jedes Kommissionsmitglied kann bei den anderen mit hineinreden. Ich sage das deshalb, weil ich Sie einladen möchte, zu jedem Themenbereich, der Sie interessiert, Fragen zu stellen. Aber zuvor darf ich Sie einladen, mit dem Essen zu beginnen. Denn wir sind in der glücklichen Lage, zwar nicht die tollsten Räumlichkeiten von Brüssel zu haben, dafür aber die besten Köche. Guten Appetit!

Der erste Gang wird aufgetragen: Duo de filet d'anguille en matelote sur écrasée de pomme rate. Dazu schenkt der Ober ein Glas Pouilly sur Loire 1999 ein.

Die Furche: Die Europäische Kommission hat soeben ihren Vorschlag für eine künftige EU-Verfassung abgegeben. Ein wichtiges Anliegen darin ist die Abkehr vom bisherigen Einstimmigkeitsprinzip im Rat hin zur Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen.

Schreyer: Die Kommission geht hier sehr weit und sagt, dass es in Hinkunft im Rat bis auf wenige Ausnahmen keine Beschlüsse mehr geben soll, die Einstimmigkeit verlangen. Einfache doppelte Mehrheiten (Mehrheit der Staaten plus Mehrheit der Bevölkerung) sollten dann für eine Beschlussfassung ausreichen. Das heißt, dass es immer eine Koalition von großen und kleinen Staaten geben muss, nie die Großen allein die Richtung vorgeben können. Aber denken Sie nur, wenn das Vetorecht bleibt - wie soll man in einer EU von 25 und mehr Staaten zu Ergebnissen kommen?

Die Furche: Dieser Vorschlag ist ja nicht neu. Die Kommission hat schon öfters Vorstöße in diese Richtung unternommen. Was gibt Ihnen dieses Mal die Hoffnung, dass Sie Erfolg haben?

Schreyer: Der Konvent. Dort zeichnet sich ganz klar ab, dass wir mit der Erweiterung nicht in eine Blockadesituation kommen dürfen. Und das hat jetzt nichts mit den Staaten zu tun, die beitreten, sondern einfach mit der Zahl. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Staat Schwierigkeiten mit diesem oder jenem hat, ist einfach bei 25 EU-Mitgliedern um vieles größer als bei 15.

Die Furche: Die Staats- und Regierungschefs müssen aber den Ergebnissen des Konvents erst noch zustimmen.

Schreyer: Völlig richtig. Die Regierungschefs hatten vor zwei Jahren in Nizza die Aufgabe, einer Blockadesituation für die EU entgegenzuwirken. Sie haben sich aber nicht einigen können. Als Berlinerin sage ich: "Sie sind nicht zur Potte gekommen." Das Ergebnis von Nizza war so unbefriedigend, dass jeder Regierungschef hinterher gesagt hat, das reicht nicht. Und aus dieser Unzufriedenheit heraus ist ja der Konvent entstanden. Und die Eigendynamik des Konvents war absolut nicht voraussehbar. Eigentlich ist das sehr typisch für den europäischen Einigungsprozess. Und wenn der Konvent es schafft, sich weitgehend zu einigen, dann kann das von niemanden mehr beiseite gelassen werden.

Die Furche: Sie arbeiten heute in einem 20-köpfigen Gremium. Wie weit können Sie sich eine Vergrößerung der EU-Kommission vorstellen?

Schreyer: In Nizza wurde festgehalten, dass jeder Mitgliedstaat einen Kommissar nominieren kann, bis die EU eine Größe von 27 Staaten erreicht hat. Das heißt, ab Oktober 2004, dem Auslaufen der Periode dieser Kommission, wird es bis zu 25 Kommissare geben. Ich gehöre zu jenen, die sehr viel Sympathie der Regel: ein Mitgliedsstaat/ein Kommissar entgegenbringen. Damit nicht hinterher im Rat ein Staat sagen kann: Ach, da waren wir nun gar nicht daran beteiligt. Das birgt die Gefahr in sich, dass der Rat auf Kosten der Kommission gestärkt würde.

Die Furche: Leidet dann nicht die Funktionsfähigkeit der Kommission?

Schreyer: Ob nun 20 oder 27 an einem Tisch sitzen - da sehe ich keinen großen Unterschied. Es würde ja auch keine Fraktion in einem Parlament sagen: Huch, jetzt sind wir zu groß geworden, was machen wir denn jetzt? Wenn man größer wird muss man sich halt eine andere Struktur schaffen, die allen gleiche Rechte garantiert und trotzdem die Arbeitsfähigkeit erhält.

Als Hauptspeise gibt es: Poitrine de faisan en aiguillettes sur topinamour et lantins de cheÆne und einen ausgezeichneten ChaÆteau du Monthil 1996.

Die Furche: Österreich ist EUNettozahler, mit den Kosten für die Erweiterung fürchten nun viele, dass das Land noch mehr zur Kassa gebeten wird.

Schreyer: Das ist ja eine schiefe Optik, dass die Kosten der Erweiterung nur von den Nettozahlern getragen werden. Für die Erweiterungskosten zahlt Österreich den gleichen Prozentsatz seines Bruttosozialproduktes wie Portugal oder Griechenland oder Frankreich. Außerdem sind wir bisher weit unter jenem Kostenrahmen geblieben, der bei der Finanzplanung für die Erweiterung vorgesehen war.

Die Furche: Es war zu lesen, dass auch einige Beitrittsländer vom Anfang ihrer Mitgliedschaft an Nettozahler sein könnten?

Schreyer: Das wollten wir vermeiden. Denn während die Neuen vom Agrarfonds oder den Strukturfonds erst sukzessive profitieren werden, müssen sie ab Beitrittsdatum volle Beiträge zahlen. Dadurch war für einige Staaten in der Tat das Problem da, dass sie Nettozahler geworden wären, obwohl ihr Bruttosozialprodukt weit unter dem EU-Durchschnitt liegt. Hier musste eine Ausgleichsregel gefunden werden. Der österreichische Finanzminister hat sich anfangs gegen eine solche Regelung ausgesprochen. Dann habe ich ihm entgegengehalten, dass ich es bedauere, dass Österreich bei seinem EUBeitritt nicht gegen Ausgleichszahlungen für sich selber war.

Die Furche: Hat ihn das überzeugt?

Schreyer: Es hat zumindest die anderen im Ecofin-Rat so überzeugt, dass sie den Ausgleichszahlungen für die betroffenen Beitrittsländer zugestimmt haben.

Die Furche: Wie sehen Sie die Zukunft des EU-Stabilitätspaktes - auch angesichts der budgetären Situation in Ihrer Heimat Deutschland?

Schreyer: Ich bin nicht nur politisch, sondern auch persönlich ein Fan des Stabilitätspaktes. Das resultiert auch aus den Erfahrungen, die ich als Politikerin in Berlin gemacht habe. Das Bundesland hat sich innerhalb kürzester Zeit in eine Verschuldungsfalle hineinmanövriert, sodass absolute Handlungsunfähigkeit entstanden ist. Aus diesem Grunde halte ich es für sehr wichtig, dass die öffentlichen Haushalte nicht durch Zinsleistungen und Schuldendienste völlig überfordert werden.

Die Furche: Trotzdem hat es viel Kritik an der angeblich unflexiblen Haltung der Kommission gehagelt.

Schreyer: Die Kommission hat sich intensiv mit den Kritiken befasst. Der Stabilitätspakt bietet sehr viel Flexibilität, aber unterhalb der drei Prozent - und drei Prozent, huch, das ist viel! Man muss eben in guten Konjunkturzeiten versuchen, einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, um in schwierigen Zeiten einen Spielraum für zusätzliche Investitionen zu besitzen. Und in der Kommission ist es völlig unbestritten, dass man an dem Pakt nicht rühren soll.

Die Furche: Muss Deutschland damit rechnen, Strafe zu zahlen, wenn es über den drei Prozent Verschuldung bleibt?

Schreyer: Erst wenn die Kommission feststellt, der Staat ist nicht willens, Gegenstrategien zu ergreifen, setzt der Sanktionsmechanismus ein. Denn dieser Staat geht ja dann bewusst das Risiko ein, dass auch für die anderen Mitgliedsstaaten negative Auswirkungen entstehen. Mit der gemeinsamen Währung beeinflusst eine Volkswirtschaft jede andere, und ein bewusstes Ausscheren ist nicht akzeptabel. Diese Regel gilt für alle Mitgliedsstaaten, nur bei den großen Staaten ist deren genaue Einhaltung umso wichtiger.

Als Dessert wird soeben ein Confit de poire sur pain d'épices et sorbet au chocolat serviert und dazu eine Tasse Mokka angeboten.

Die Furche: Wenn Sie schon die Budgetdisziplin in einigen Mitgliedsstaaten geißeln - wie sieht es in Ihrem Finanzhaushalt aus?

Schreyer: Die Vorstellungen der Öffentlichkeit darüber, wie groß das europäische Budget ist, stimmen mit der Wirklichkeit großteils nicht überein. Die europäische Staatsquote, das was von der Wirtschaftsleistung in den europäischen Haushalt fließt, ist 1,03 Prozent. Vergleichen Sie das mit Mitgliedsstaaten, unter anderem auch Österreich, in denen die Staatsquote 45 und mehr Prozent beträgt. Für das Budget 2003 liegen wir fünf Milliarden unter dem, was nach der Finanzplanung möglich wäre. Wenn alle Mitgliedsstaaten in ihren Haushalten eine solche Disziplin hätten wie der europäische Haushalt, hätten wir uns manche Debatte sparen können.

Am Gespräch nahm Wolfgang Machreich teil.

EU-Finanzministerin:

grün, sparsam und temperamentvoll

Mit ihrem Amtsantritt als Kommissarin für den EU-Haushalt hat eine Wende in den harten Auseinandersetzungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission über eine ordnungsgemäße Haushaltsführung stattgefunden. Nachdem es vormals über Jahre hinweg schärfste Kritik wegen Schlamperei, Verschwendung und nicht aufgedeckter Betrugsfälle gegeben hatte -1999 führte das sogar zum Rücktritt der Kommission unter Jacques Santer -, gab es in letzter Zeit für Schreyers Amtsführung erstmals deutliches Lob. Um ihre Kandidatur für Brüssel hat es dafür einen heftigen Streit zwischen deutscher Regierung und Opposition gegeben, da letztere einen Kommissarsposten für sich beanspruchen wollte.

Schreyer wurde am 9. August 1951 in Köln als Tochter eines Lokomotivführers geboren. Sie ist promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin. Ihr politisches Engagement in der Frauenbewegung führte sie zu den Grünen. 1983 ging sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin zur Bundestagsfraktion nach Bonn, wo sie das steuerpolitische Konzept ihrer Partei mitentwickelte. Daran anschließend war sie Berliner Umweltsenatorin der rot-grünen Regierung in der deutschen Bundeshauptstadt. In der Sache ist die Frau mit der wallenden Lockenmähne engagiert und beim Auftritt temperamentvoll. Beobachter der Brüsseler Szene bescheinigen ihr, dass sie auf charmante Art an der Durchsetzung ihrer Ziele arbeitet, sich aber nicht beirren lässt, wenn sie etwas für wichtig befunden hat.

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