Wenn ein Staat sich selbst verspielt

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In Moldau ist ein mit Staatsgeldern besicherter Milliardenkredit der größten Banken in dunklen Kanälen versickert. Weil weder Regierung noch Behörden Interesse zeigen den Fall aufzuklären, herrscht nun auf den Straßen Aufruhr. Verschwörungstheorien machen die Runde.

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In Moldau ist ein mit Staatsgeldern besicherter Milliardenkredit der größten Banken in dunklen Kanälen versickert. Weil weder Regierung noch Behörden Interesse zeigen den Fall aufzuklären, herrscht nun auf den Straßen Aufruhr. Verschwörungstheorien machen die Runde.

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Gebt die Milliarde zurück!", rufen tausende Menschen immer wieder. "Nieder mit der Regierung, nieder mit dem Parlament!", fordern sie und: "Rücktritt! Rücktritt!" Ein Redner nennt die Politik der Regierung ein "Verbrechen gegen das Volk", die Demonstranten klatschen begeistert. Chis¸inau, die Hauptstadt der Republik Moldau am vergangenen Sonntag: Rund 50.000 Menschen sind dem Aufruf der "Bürgerplattform Würde und Wahrheit" gefolgt und demonstrieren gegen Korruption und Kriminalität. Die Wut ist deutlich zu spüren. Der Anlass des Zorns: Eine Milliarde Euro sind anscheinend spurlos verschwunden oder besser gesagt: gestohlen.

Eine Milliarde Euro ist sehr viel Geld - vor allem in der Republik Moldau, dem ärmsten Land Europas. Die Summe entspricht immerhin 16 Prozent des moldauischen BIP. Zum Vergleich: In Deutschland ginge es bei diesem Verhältnis um 470 Milliarden Euro.

Erste Informationen zum Verschwinden der Riesensumme wurden bereits zu Jahresanfang bekannt. Drei der wichtigsten Banken des Landes - Banca de Economii, Banca Sociala und Unibank -, die zusammen etwa ein Drittel aller Bankguthaben des Landes halten, hatten Kredite an Off-Shore-Firmen vergeben. Die Vergabe fand bis kurz vor den Wahlen von November 2014 statt.

Im Zuge von undurchsichtigen Transfers verschwanden die Kredite dann im Ausland. Als der Bankensektor des Landes zu wanken begann, unterstützte die moldauische Nationalbank die Banken mit staatlichen Währungsreserven. Doch obwohl der öffentliche Druck seither beständig wuchs und Moldau eine ernste Destabilisierung des Finanzsektor mit schweren Folgen für die Wirtschaft des Landes droht, zeigten die Regierung von Ministerpräsident Chiril Gaburici und die Behörden bisher kaum Bemühungen, den Diebstahl aufzuklären.

Keine Aufklärung

Andrei Nastase, einen der Gründer der "Bürgerplattform Würde und Wahrheit", wundert das nicht. "Die Regierung ist eine Marionette derjenigen, die diesen Jahrhundertraub organisiert haben", sagt Nastase. "In diesem Land herrscht ein kriminelles Regime, das seine Macht nicht freiwillig abgeben wird, denn seine Repräsentanten wissen, dass sie ihre Posten dann mit einer Gefängniszelle tauschen müssten."

Derjenige, der das "kriminelle Regime" mit seiner Person verkörpert, ist der 49-jährige Geschäftsmann Vlad Plahotniuc - Parlamentsabgeordneter und einflussreicher Oligarch: Er soll sein auf mehrere hundert Millionen Euro geschätztes Vermögen durch so genannte Raider-Angriffe auf moldauische Banken und Versicherungen gemacht haben -ein Diebstahl von Eigentumsanteilen an Unternehmen, legalisiert von korrupten Richtern und Beamten. Große Teile der moldauischen Öffentlichkeit halten ihn und Ex-Premier Vlad Filat für die Köpfe des Diebstahls.

Der ursprünglich geheime, aber auf Druck der Öffentlichkeit inzwischen publizierte Kroll-Bericht trägt wenig zur Aufklärung der Affäre bei: Der Verbleib des Geldes ist weiterhin völlig unklar. Angeblich soll der israelisch-moldauische Geschäftsmann Ilan Shor hinter dem Milliardendiebstahl stecken, doch der Bericht konstatiert ausdrücklich, dass es unklar sei, welche Personen außerdem noch involviert seien.

Die Regierung trat nach dem Protest am Sonntag zu einer Krisensitzung zusammen, um über Maßnahmen gegen die Destabilisierung des Landes zu beraten. Jenseits solcher Auswirkungen des "Jahrhundertraubes" sieht der Politologe Igor Botan eine weitere Konsequenz: "Die Regierungskoalition, die sich pro-europäisch nennt, aber in diesem riesigen Ausmaß stiehlt, diskreditiert eine Idee, die für unser Land alles bedeutet, nämlich die Integration, sowohl in den Augen der Menschen hier, als auch in denen der EU."

Der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk formulierte es bei einem Besuch in Chis¸inau letzte Woche an die Adresse der Regierung sehr direkt: "Lösen sie die Probleme im Bankensektor, dann werden sie wieder Vertrauen genießen."

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