Wenn Schulden das Wasser abgraben

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Auf den Philippinen lebt mehr als ein Drittel der Bevölkerung an der Armutsgrenze. Ein scharfes Austeritätsprogramm und Privatisierungen gefährden nun die Schwächsten der Gesellschaft - Frauen und Kinder. Eine Anti-Schulden-Initiative will dem abhelfen.

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Auf den Philippinen lebt mehr als ein Drittel der Bevölkerung an der Armutsgrenze. Ein scharfes Austeritätsprogramm und Privatisierungen gefährden nun die Schwächsten der Gesellschaft - Frauen und Kinder. Eine Anti-Schulden-Initiative will dem abhelfen.

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Eigentlich müsste es den philippinischen Frauen besonders gut gehen. Denn glaubt man den Statistikern des "World Economic Forum", dann ist der Unterschied zwischen Frau und Mann in der 100-Millionen-Einwohner-Nation besonders gering. Platz sieben nehmen die Philippinen in dem weltweiten Ranking der Chancengleichheit ein. Österreich fristet dagegen auf Platz 37 von 145 ein relativ bescheidenes Dasein (ausschlaggebend für das schlechte Ranking Österreichs sind übrigens mangelnde ökonomische und politische Beteiligung der Frauen).

Aber wenn man der philippinischen Aktivistin und Gewerkschafterin Yuen Abana zuhört, kommen schnell Zweifel an dieser Statistik auf - oder besser gesagt, an ihrer Schönheit. Denn die Chefin der "Freedom of Debt Coalition"(FDC), beschreibt das Leben in zum Teil bitterer Armut und grober Benachteiligung der Frauen in ihrem Land.

Von einem beständigen Kampf um die grundlegendsten Ressourcen ist da die Rede, von Knappheit an Grundgütern wie Wasser und Elektrizität, von der täglichen Mühle der Doppelbelastung für Frauen durch den wirtschaftlichen Konkurrenzdruck ganz zu schweigen. Daraus resultiert der sinkende Lebensstandard für die meisten Familien. Und dann spricht Yuen davon, wie das alles mit der Wirtschaftspolitik zu tun hat - und dem, was man in Europa "Austerität" nennt.

Es war einmal

Ehe man nun zur Gegenwart kommt, sollte an dieser Stelle noch kurz das Reich der Erinnerung erwähnt werden, das für viele Philippinos noch in Erzählungen präsent ist. Damals, es war um 1946, waren die Philippinen unter Kolonialherrschaft mit regionaler Selbstverwaltung die zweitreichste Nation Asiens, Manila eine Hauptstadt modernen Zuschnitts. Dann aber kamen die Jahre des Postkolonialismus, mit der von den USA unterstützten Diktatur der Familie Marcos ab 1972. Der Reichtum versank in dem von den 40 reichsten Familien regierten Land in einem oligarchischen Sumpf, die Verwaltung korrumpierte, jedes marktwirtschaftliche Prinzip wurde beiseitegeschoben. Die Sozialleistungen an die Bevölkerung wurden mit Auslandsschulden bezahlt, und am Ende brach das Regime zusammen. Das auch, nachdem die Wirtschaft 1986 um 10 Prozent geschrumpft und die Krise überhandgenommen hatte.

Der Diktator Marcos wurde gestürzt, aber nicht alles wurde besser, nach Yuen Abenas Sicht ist eher das Gegenteil der Fall. Die alten Cliquen herrschen noch immer, sie haben sich die Macht auch unter demokratischen Verhältnissen gut untereinander aufgeteilt. Die Philippinen sind unter diesen Voraussetzungen eines der Hauptexperimentierfelder der Globalisierung geworden.

Die Schulden und die Staatsausgaben blieben hoch und rechtfertigten sich vor allem politisch mit dem Wirtschaftswachstum. Aber seit 2008 ist das Wachstum von sieben auf drei Prozent gefallen, und die Schulden begannen zu schmerzen. Heute muss der Staat nach einer Studie der Universität Manila rund ein Drittel seines Bruttonationalproduktes für den Schuldendienst aufwenden.

Hier setzt die heuer von der Katholischen Frauenbewegung Österreichs geförderte FDC und ihre Botschafterin Yuen Abana an. Die Schuldenlast soll nicht bloß von der Masse der philippinischen Bevölkerung bezahlt werden. Die philippinische Regierung unter Präsident Benigno "Noynoy" Aquino versucht nach ihrer Ansicht nämlich, das jährliche Budgetdefizit und die Sünden aller Vorgängerregierungen bloß mit Einsparungen im Sozialbereich zu bekämpfen. Der philippinische Journalist Dante Pastrana fasst das so zusammen: "Es gibt Austerität für die Armen und Förderungen für die Reichen." Die staatlichen Budgetzahlen scheinen seine Annahmen zu bestätigen. Denn Investitionen für die Gemeinschaft sind seit einigen Jahren von auffallend nachgeordneter Priorität. So wurden die Gelder für Kinderspitalszentren um 13 Prozent gekürzt, öffentliche Infrastrukturprojekte um 14 Prozent (2,9 Milliarden Dollar).

Wenn es um die untersten Bevölkerungsschichten geht, wird das Szenario noch weitaus düsterer. Die Förderungen für die National Food Authority, welche die Slumbewohner der Großstädte mit Reis alimentiert, wurden gleich auf Null gekürzt. Um das Paket abzurunden, stiegen die Tarife für den öffentlichen Transport und die Sozialabgaben.

Die Privatisierung steht generell hoch im Kurs, auch jene der Gemeingüter. 1997 wurde die Wasserversorgung der Hauptstadt Manila privatisiert, seither sind die Kosten für das Trinkwasser um 1700 Prozent gestiegen. Und selbst ein Bericht des regierungsnahen Instituts für "Regulierung und Wettbewerb" räumt ein, dass die privaten Wasserversorger bisher kein einziges der von ihnen zugesagten Ziele erreicht haben. Wie in Europa leidet das Wassernetz unter massiver Veraltung und mangelnder Wartung. Täglich versickern rund eine Milliarde Liter Wasser und damit 50 Prozent des Nutzwassers buchstäblich. Die Konzessionen für die privaten Betreiber wurden von der Regierung trotz allem bis 2037 verlängert.

Dass die Frauen und Kinder aufgrund von massiven Kürzungen und Einschränkungen den Hauptteil der Belastungen tragen müssen, erklärt Yuen Abana so: "Die Mütter tragen in meinem Land die Verantwortung für die Familie, sie sind für das Budget im Kleinen zuständig und sie sind diejenigen, die aushelfen müssen, wenn das Geld nicht mehr reicht.

Die Folgen der Armut

Und so sprechen andere Statistiken als jene des World Economic Forum eine ganz andere Sprache. Laut dem Human Development Index leben heute 30 Millionen Philippinos an oder unter der Armutsgrenze. Und die Stellung der Frau zeigt sich auch von einer ganz anderen Seite, wenn die Statistiken der "National Demographic and Health Survey" recht haben. Demnach sind ein Viertel aller philippinischen Frauen häuslicher Gewalt ausgesetzt. Das US-State-Department sieht in den Philippinen einen jener Staaten, die keinerlei Fortschritte im Kampf gegen Menschenhandel machen. 375.000 philippinische Frauen und Mädchen zwischen 15 und 20 Jahren sind Opfer dieser Form der organisierten Kriminalität. Gegen all das und für eine regionale "Ermächtigung" von Frauen und Kindern macht sich die FDC stark. "Wir brauchen Bildung und Jobs für die Frauen der kommenden Generationen", sagt Yuen Amada. Dafür geht sie dann mit ihren Mitstreiterinnen auf die Straße. Und in einigen Gemeinden hat sie so Bürgerbewegungen erzeugt und damit Erfolg gehabt.

Die Hoffnung stirbt nicht, sagt Amada. Und tatsächlich gibt es auch noch ganz andere Erzählungen von den Philippinen. In der Zeit, bevor die spanischen Eroberer auf den Inseln einfielen, gab es eine Gesellschaft, in der die Frauen im Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens standen, als Häuptlinge, Heilerinnen und als Händlerinnen. Und heute? Die Philippininnen sind gleichberechtigt, wenn es um die oberen Schichten geht und den Zugang zur Macht. Nicht umsonst hatte dieses Land schon zwei Präsidentinnen in den vergangenen Jahren an seiner Spitze. Doch die Gleichberechtigung gibt es scheint's exklusiv für die oberen 40 Familien. Darunter herrscht das Gesetz der Eroberer von vor 600 Jahren.

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