Wenn Wegwerfen schmerzt und eine Mauer aus "Abfall" schützt

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Wenn Frau I. an das Aussortieren in ihrer von Dingen überhäuften Wohnung dachte, dann fiel ihr der Nachlass der Mutter und ihres Ehemannes ein. "Aber gerade diese Dinge kann sie nicht aufgeben, denn dann würde sie jenen Teil ihres Lebens verlieren, der ihr am meisten bedeutet hat. Sie möchte alles bewahren, damit sie nichts vergisst." Frau I. wird als gebildete, lebhafte und elegante Frau beschrieben, trotzdem litt am Messie-Syndrom. Ihre Wohnung war überfüllt mit Kleidung. Dieser Fall wird von der Psychotherapeutin Elisabeth Vykoukal im Buch "Das Messie-Syndrom" beschrieben (siehe rechts). Im Gespräch mit der FURCHE erklärt die Vizerektorin an der Sigmund Freud Privat Universität (SFU) Wien die Grundzüge dieser psychischen Störung, die in den 80er Jahren ins Blickfeld von Therapeuten und Gesellschaft rückte. Die SFU forscht zu diesem Thema und bietet Therapien an. In Österreich gibt es nach einer vagen Schätzung 30.000 Betroffene mit unterschiedlicher Ausprägung der Störung.

Vykoukal grenzt das Syndrom über zwei Schienen ein: Einerseits schränken Betroffene ihren Lebensraum in der Wohnung derartig ein, dass es unerträglich wird, dort zu leben, manche könnten nicht einmal mehr Küche, Bad oder WC benützen. Betroffene ziehen sich immer mehr zurück. Manche leben nach außen hin ein "unauffälliges Leben", lassen aber niemanden in die Wohnung. Zweitens hat das Syndrom auch Suchtcharakter. Man kommt davon nicht los. "Die angehäuften Dinge sind auch wie eine zusätzliche Schutzschicht", erklärt die Therapeutin, die mit Messie-Patienten arbeitet. Viele Betroffene haben laut Vykoukal traumatische Erfahrungen machen müssen, wie den Verlust einer nahen Person. Manche Patienten würden nach außen hin sanftmütig auftreten, sie würden aber innere destruktive Impulse überkompensieren und hätten Angst vor einem Ausbruch dieser Impulse. Schmerzvolle Trennungen von Personen würden von Messie-Patienten auf die von ihnen gehorteten Dinge übertragen: Hatten sie damals keine Macht, als sie verlassen wurden, so fühlen sie sich mächtig, über die Dinge entscheiden zu können. Vielfach ist die Störung mit anderen Erkrankungen verbunden, etwa Depression. Für eine Therapie sei ein multiprofessionelles Team wichtig, so Vykoukal. (bog)

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