"Wertschätzung ist der Schlüssel"

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Die Erziehungswissenschafterin Renate Thiersch fordert die Aufwertung von Fremdsprachen.

Die Furche: Sie wollen von der aktuellen Diskussion über Sprachförderung im Kindergarten das Etikett "nur Migrantenkinder brauchen Förderung" abtrennen. Warum?

Renate Thiersch: Migrantenkinder sind eine völlig heterogene Gruppe, dahinter steckt eine Vielzahl von Schicksalen. Diesen haben wir mit sorgsamen pädagogischen und linguistischen Reflexionen und nicht mit blindem Aktionismus zu begegnen. Aus meiner Erfahrung weiß ich, wie Sprachförderung im Kindergarten praktiziert wird; ein Beispiel: 40 Kinder mit 14 verschiedenen Familiensprachen begegnen den Erzieherinnen, die sprachlichen Kompetenzen der Kinder sind sehr unterschiedlich. Die Eltern berichten, dass die deutschen Kinder zuhause gerne ihre Sprachkenntnisse in Türkisch, Arabisch oder Russisch vorführen und die Kinder mit anderer Familiensprache ebenso stolz ihre Fortschritte im Deutschen zeigen.

Die Furche: Sie skizzieren den interkulturellen Kindergarten sehr positiv. Welche Schattenseiten kennen Sie?

Thiersch: Ich spreche von den Kindern, die in den Kindergarten kommen. Manche kommen erst ein Jahr vor der Einschulung: es gibt Eltern, die vor den Kosten der Einrichtung zurückschrecken, andere wiederum haben Angst, dass ihnen ihre Kinder entfremdet werden, kämen sie früher in den Kindergarten. Hier müsste man viel früher den Kontakt zu den Familien herstellen, über deren Communitys: über Krabbelgruppen oder die Hebammen: je früher das Kommunikationsnetz greift, desto besser für die Kinder. Wo gibt es etwa eine arabische, eine türkische Version eines Elternbriefes? Die Einbeziehung der relevanten Menschen in den Communitys ist ein wichtiger Weg, die Eltern zu erreichen und gute Elternarbeit machen zu können.

Die Furche: Sie kritisieren die häufig undifferenzierte Verwendung des Begriffs "Mehrsprachigkeit". Warum? Und wie führt der Kindergarten schließlich zur Schrift hin, derzeit wird dem Umgang mit geschriebener Sprache unter dem Fachbegriff "Literacy" viel Bedeutung beigemessen.

Thiersch: Es gibt schließlich die ganze Breite von sehr kompetenten zwei-bzw. mehrsprachigen Kindern bis hin zu jenen, die auch ihre Familiensprache nicht gut beherrschen. Wir müssen im Kindergarten gut abklären, wo hier der Unterstützungsbedarf liegt: ein gut arbeitender Kindergarten hat ein reichhaltiges Angebot, um "literacy" zu entfalten bzw. zu fördern. Wenn man den Schritt macht, und die Sprache der Migranten - das trifft jetzt für ältere Schüler zu - als Fremdsprache anerkennt, würden ihre Sprachen - Arabisch, Türkisch - neben Fremdsprachen wie Französisch oder Italienisch aufgewertet. Aber die Angst vor Parallelgesellschaften ist hier sehr hoch.

Die Furche: Wie stehen Sie zu externen Sprachförderungskräften im Kindergarten?

Thiersch: Skepsis ist diesem System gegenüber angesagt. Externe Kräfte brauchen Zeit, bis sie eine Beziehung zu den Kindern in der Sprachfördergruppe aufbauen können: hier darf der Kontext der Beziehung im Konzert der Sprachförderung nicht übersehen werden. Zu wem geht das Kind, wenn es Trost sucht? Sprachförderung ist im Kontext einer geglückten emotionalen Beziehung möglich, die Bindungsbeziehung kann für die Weiterentwicklung der sprachlichen Fähigkeiten genutzt werden. Externe Kräfte sind nicht im Team und nicht im Alltag des Kindergartens integriert.

Die Furche: Was ist die Alternative?

Thiersch: Grundsätzlich gilt: Erzieher sollen sich als Sprachvorbild verstehen; das bedeutet, einen wertschätzenden sprachlichen Umgang pflegen und Befehle in der Kommunikation reduzieren; sie sollen Gespräche mit Kindern so führen, dass diese ihre Gefühle artikulieren können. Kindergartenpädagogen brauchen hier Fortbildungsangebote. Wenn die Familiensprachen im Kindergarten anerkannt werden, ist das auch ein Signal der Akzeptanz der Kulturen. Das verbessert die Kommunikation von Elternhaus und Kindergarten: Wertschätzung ist hier der Schlüssel.

Das Gespräch führte Christina Gastager-Repolust.

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