Wie arm sind Männer wirklich?

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Männliches Leid ist nicht Folge einer Diskriminierung, sondern Konsequenz männlicher Privilegierung.

Das Stichwort "Vater" in der Internet-Suchmaschine "Google" führt zu einer Fülle von Seiten, die sich mit der Situation geschiedener Väter befassen. Auffallend ist der oft aggressive Ton, der sich gegen Frauen im Allgemeinen und Feministinnen im Speziellen richtet, mit dem Gerichtsurteile diskutiert, die Höhe von Unterhaltszahlungen kritisiert, vor allem aber das "Recht" des Vaters, auch nach der Scheidung Zugang zu seinen Kindern zu haben, eingeklagt wird. Dass Männer nach einer Scheidung leiden, wurde gerade in jüngster Zeit auch auf wissenschaftlicher Ebene dargestellt. Nur, werden Männer dadurch wirklich schon als "Scheidungsopfer" zu einer "Risikogruppe" oder sind sie gar als Verlierer im Geschlechterverhältnis anzusehen?

Bevorzugte Männlichkeit

Die Männerforschung hat schon des längeren darauf hingewiesen, dass es auch im Leben von Männern Probleme und Leidenssituationen gibt, die im Zusammenhang mit ihrer männlichen Geschlechtsrolle stehen. Die Situation mancher Väter nach der Scheidung wäre eine solche, ebenso auch die Tatsache, dass Männer insgesamt um rund sechs bis sieben Jahre weniger lang leben als Frauen. Eine kritische Reflexion dieser männlichen Leidenssituationen vor dem Hintergrund der real existierenden Geschlechterordnung, in der Männer als Gruppe privilegiert und Frauen als Gruppe untergeordnet sind, erfordert jedoch eine differenzierte Beurteilung. Männer können in einer männerdominierten Gesellschaft trotz ihrer Privilegien ein hohes Maß an Nachteilen erfahren. Sie werden jedoch nicht als Männer unterdrückt. Ihr Leiden ist deshalb auch nicht gleichzusetzen mit dem von Frauen, verursacht durch die Diskriminierung einer männerdominierten Gesellschaft. Männliches Leid ist nicht Folge einer Diskriminierung, sondern Konsequenz männlicher Privilegierung. Die Männerforschung nennt sie deshalb "Kosten der Männlichkeit".

Im Fall einer Scheidung wird dieser Zusammenhang besonders deutlich. Während Frauen im allgemeinen mit der Obsorge betraut werden, trifft Männer die Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen. Im Kontext der Geschlechterverhältnisse stellt sich dieser Sachverhalt als logische Konsequenz einer männerdominierten Gesellschaft, in der die Ernährer-Hausfrauen-Ehe allen Veränderungen zum Trotz das bestimmende Leitmodell des Geschlechterarrangements ist, dar. Diesem Modell zufolge genießen Männer das Privileg, strukturell in der Berufswelt verortet zu sein und dadurch auch einen besseren Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen für ihre Lebensgestaltung zu haben. Die Kehrseite ist, dass sie im Leben der Familie und ihrer Kinder weit weniger präsent sind. Frauen ordnen diesem Modell folgend ihre beruflichen Ambitionen den Bedürfnissen der Kinderversorgung und Familienarbeit unter. Nicht nur die jüngste Wortspende von Gunnar Prokop hat dieses Leitmodell drastisch in den Mittelpunkt des öffentlichen Bewusstseins gerückt, auch empirische Daten belegen es: etwa die marginal kleine Zahl von 2,8 Prozent österreichischer Karenzväter oder das krasse Missverhältnis zwischen dem Beitrag von Vätern zur Hausarbeit und Kinderversorgung und dem von (berufstätigen) Frauen. Die Spruchpraxis der Gerichte im Fall einer Scheidung sind also Spiegelbild des alltäglichen Geschlechterarrangements. Männer bilden auch nach Scheidungen keine neue "Risikogruppe" und sind keine Verlierer im Geschlechterverhältnis. Immer noch treffen die negativen Folgen von Scheidungen die Gruppe der Frauen härter. Dennoch sollten männliche Probleme ernst genommen werden.

Notwendige Umverteilung

Für die Situation von Männer nach einer Scheidung würde dies bedeuten, dass natürlich einzelne Maßnahmen sehr sinnvoll wären, wie etwa die Forderung, dass Karenzzeiten eines Vaters angemessen Berücksichtigung finden. Eine nachhaltige Lösung gibt es jedoch erst, wenn eine tief greifende geschlechtergerechte Umverteilung der Haus- und Familienarbeit hin zu Männern in der Familie stattgefunden hat. Bezeichnenderweise kommt diese Strukturveränderung bei vielen, die die männliche Benachteiligung in Scheidungen lautstark beklagen, nicht vor. Umso mehr müssten neue Bündnisse kritischer Männer und Frauen männerpolitische Prozesse initiieren. Eingebettet in eine Geschlechterpolitik und eng verbunden mit frauenpolitischen Initiativen sollten solche Prozesse gezielt Männer ansprechen und zu einer geschlechtergerechten Neuverteilung von Berufsarbeit und Haus- und Familienarbeit führen.

Der Autor ist Männerforscher und Psychotherapeut in Wien.

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