Wie die Macht schmeckt

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"Kiss it!" soll Präsident Clinton Paula Jones aufgefordert haben, als er seine Hose öffnete. Eine Kostprobe der Macht? Für ihn? Oder auch für sie?

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"Kiss it!" soll Präsident Clinton Paula Jones aufgefordert haben, als er seine Hose öffnete. Eine Kostprobe der Macht? Für ihn? Oder auch für sie?

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Von oben herab sich bedienen zu lassen, gehört traditionell zu den Privilegien der Herrschenden. Zum Herrentum. Herr und Knecht - eine Klassendifferenz.

Sich Obrigkeiten anzudienen hingegen gehörte traditionell zu den Überlebensstrategien Ohnmächtiger. Ein guter Sklave war, wer seinem Herren die Wünsche von den Lippen las - und wenn nicht, dann war erst der tote Sklave ein guter Sklave. In sadistisch-tyrannischen Familien- und Erziehungssystemen lebt diese "Spielregel" heute noch: Angst vor Strafe, Hoffnung auf Belohnung als Disziplinierungsmittel, damit Frauen und Kinder sich alles gefallen lassen, was der jeweils Übermächtige will - ein Training dafür, sich auch späterhin allem unterzuordnen, was "die da oben" anschaffen.

Die amerikanische Sozialforscherin Nancy M. Henley weist in ihrem Buch "Körperstrategien" anhand des Berührungsverhaltens von weißen und farbigen US-Bürgern sowie analog Männern und Frauen nach, wie jeweils Statushöhere sich die Freiheit - oder Frechheit - herausnehmen, Statusniedrigere "anzugreifen". Mit derartigen "Revierverletzungen" demonstrieren sie einerseits Dominanz - die anderen protestieren nicht - und in weiterer Folge bestätigen sie damit sich selbst und allfälligem Publikum ihre Verfügungsmacht.

Omnipotenzgefühl Die Lust, tagtäglich die eigene Macht über andere vor Augen zu führen, gehört zu den Stabilisierungsmethoden selbst unsicherer Menschen: sie beweisen sich damit, daß sie keine Angst vor größerer Macht zu haben brauchen, und das beseitigt Unlustgefühle. Sexueller Lustgewinn ist dabei eher Nebensache - den so verharmlosend als Grapscher und fälschlich als Sexualattentäter bezeichneten Gewalttätern geht es vor allem um das Omnipotenzgefühl. Wo nämlich wirkliches Interesse an der anderen Person wirkt, folgen Behutsamkeit und Scheu - man will den anderen nicht verletzen, nicht verjagen, nicht verlieren.

Mir scheint allerdings bei Bill Clinton weniger diese Art von Lustprinzip die "treibende Kraft" zu sein als blanke Unreife: denn egal, ob er ein verkappter Sexmaniac ist - möglicherweise wird er sich noch auf Sexsucht ausreden - oder ein bedauernswertes Verleumdungsopfer: es zeugt von großer Naivität oder schamloser Skrupellosigkeit, nicht zu bedenken, daß das Sexualleben eines US-Präsidenten jedenfalls unter die Lupe genommen wird: entweder vom politischen Gegner, der nach Schwachpunkten schnüffelt, oder von hungrigen Sensationsreportern, die Auflagen oder Quoten steigern wollen.

Und ebenso zeugt es von Naivität oder Menschenverachtung, wenn Frauen als lenkbare Erfüllungsgehilfinnen instrumentalisiert werden. Immer mehr Frauen wollen nicht mehr dulden, nicht ernst genommen zu werden - als Berufsfrauen ebenso nicht wie als Geschlechtswesen. Sie wollen gleichberechtigt respektiert werden und nicht idealisiert oder abgewertet. Dafür sind auch immer mehr bereit zu kämpfen. Damit muß man(n) heute rechnen. Und ein Präsident, der von Frauen gewählt werden will, erst recht.

Wenn man allerdings Clintons Physiognomie und Mimik analysiert - denn wir ver-körper-n auch unser Denken und Fühlen, und was wir immer wieder denken und immer wieder fühlen, gräbt sich "chronisch" in unsere Gesichtszüge ein - drängen sich Vergleiche zum klassischen Ausdruck von Überheblichkeit, Haltlosigkeit und Genießertum auf, wie wir ihn von exzellenten Schauspielern kennen, wenn sie derartige Charaktere darstellen. Ins Kostüm des ausgehenden 18. Jahrhunderts gesteckt, gäbe Clinton einen glaubwürdigen Lüstling ab ... und genau dieser möglicherweise nur aufgesetzte Gesichtsausdruck könnte ihm zum Verhängnis werden: man glaubt seinen Anklägerinnen leicht Behauptungen, ihm mangle es an moralischem Profil.

Und genau dort liegt die Gefahr für alle "Reichen und Mächtigen": weil sie selbst die Macht besitzen, Gesetze bestimmen können, vermeinen sie, über dem Gesetz oder sogar jenseits der Gesetze zu stehen. Man kann es sich eben richten. Wenn dann die so verachteten "gewöhnlichen" Leute sich widersetzen, folgt meist Verständnislosigkeit, ehe die Dramatik der Situation realisiert wird. Das war schon so bei Marquis de Sade; der seinerzeitige Skandal bestand nämlich nicht darin, daß ein Adeliger eine "Gemeine" zur "Sodomie" (das damalige Wort für Analverkehr) engagieren wollte, sondern, daß diese Frau aus dem Volke sich wehrte und zu Gericht ging. Daß auch ein Kardinal ebensowenig sakrosankt ist wie der Bundespräsident, wissen Österreicher nur zu genau. Mündige BürgerInnen machen heute eben den Mund auf, wo sie jahrhundertelang geschwiegen haben.

Rachsucht? Geldgier?

Manche machen allerdings den Mund erst dann auf, wenn ein fettes Honorar winkt - oder eine gerichtliche Entschädigung. Dann tauchen Fragen auf: was ist das Motiv? Geldgier? Rachsucht? Publicitygeilheit? Identitätsuche?

In den Fortbildungsseminaren für KriminalbeamtInnen, die ich zum Thema "Sexuelle Gewalt" abhalte, ist ein immer wiederkehrender Diskussionspunkt die Angst der Männer vor sexueller Denunziation: eine rachsüchtige Frau könnte zu Unrecht behaupten, sie wäre sexuell belästigt, erpreßt, vergewaltigt worden.

Hinter solchen Rachephantasien lauert immer die eigene Unsicherheit, sich vielleicht doch nicht korrekt verhalten zu haben - denn wer sich korrekt verhält, plagt kein schlechtes Gewissen. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, was Frauen als inkorrekt kritisieren mögen. Infolge des üblichen Gruppenzwangs, durch besonders machistisches Auftreten seine Männlichkeit zu beweisen, handeln viele Männer "wider ihre Natur" - sie spalten ihre zarten, sanften Seelenanteile ab und verstümmeln so ihre leibseelischgeistige Ganzheit. Sie handeln damit entgegen ihrer eigenen Ethik - also sich selbst gegenüber inkorrekt.

Die wahre Macht Wiederum verrät sich jemand selbst - um der Teilhabe an der Macht wegen. In diesem Fall ist es die Macht der Gruppe. Sich nicht durch Mächtige korrumpieren zu lassen - seien es nun Eltern, Erzieher, Gruppenführer oder Führungskräfte - ist eine Haltung, die früher auf den Scheiterhaufen oder in die Verbannung geführt haben. Heute führen sie oft in die Schlagzeilen und vor die Fernseh- , ja sogar Filmkameras.

Rebellion gegen Vaterfiguren ist in: Kirchenrebellen kämpfen ebenso ungelebte Ablösungsprozesse aus wie Oppositionsführer, die etablierten Parteienvertretern "ans Hosenbein pinkeln". Nur Medienstars darf man nicht kritisieren; und sei die Kritik noch so fundiert und berechtigt, wer diese falschen Götter als Götzen enttarnt, hat damit seinen medialen Tod heraufbeschworen.

Die wahren Mächtigen sind heute die, die medial Meinung machen: wenn in den USA laufend Umfragen veröffentlicht werden, wieviele Menschen Clinton glaubwürdiger finden und wieviele Paula Jones, so wird dadurch nicht nur konkret juristisch gepunktet. Der Kampf der Geschlechter wird durch eine neue Variante bereichert. Möglicherweise werden schon Wetten abgeschlossen ...

Sogar der Aktienmarkt wird bewegt. Konflikte werden so nicht geregelt. Und korrektes Verhalten lernt auch keiner.

Wenn die "Meinung" publiziert wird, es gäbe Männer, die ihren Geschlechtstrieb nicht beherrschen können, wird damit diese Interpretation ebenso "verankert", wie wenn "gemeint" wird, jeder sozial höherstehende Mann sei automatisch begehrtes Jagdobjekt für Frauen.

Triebkontrolle In der Realität ist Triebkontrolle etwas, was Kinder zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr erarbeiten - können, wenn sie dazu Vorbilder erleben und zur Übung angeleitet werden. Üblicherweise wird aber von Mädchen mehr Selbstbeherrschung gefordert als von Knaben, deren "Unarten" man oft als Bubenstreiche belächelt - auch wenn der "Bub" so alt wie Andreas Goldberger ist. Wenn also nach wie vor Sex und Macht miteinander verknüpft werden wie in vergangen Tagen, in denen mächtige Männer sich Nebenfrauen "halten" und Frauen nur als Ehefrauen oder Mätressen an Macht teilhaben konnten, wird eine "logische" Abhängigkeit der Frau vom Mann suggeriert, die jeder Selbstverantwortlichkeit Hohn redet.

Tatsächlich sind es aber Einschüchterungen und Schocks, die Frauen oft lähmen, sich selbst zu beschützen, wenn ihre Freundlichkeit, ihr berufliches Interesse als sexuelle Bereitschaft mißdeutet wird.

Fehlverhalten anzuklagen heißt, sich Selbstachtung und damit die Macht über sich selbst zurückzuholen. Manche brauchen die Medien als Unterstützung, weil sie sich allein zu schwach fühlen. Manche gebrauchen Denunziation, um Macht zu brechen - oder zu verhindern. Medien bieten dazu ein Instrument. Sie sind es aber auch selbst.

Die Autorin ist Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin mit eigener Praxis, Gastprofessorin der Universität Klagenfurt, Erste Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Sexualforschung und Gerichtssachverständige für Psychotherapie. Sie erhielt für ihre Arbeiten 1996 als erste Frau den Paracelsusring.

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