Wie irreführende Zahlen in der Medizin verständlich werden

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Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal bei einer Vorsorgeuntersuchung? Mammografiescreening zur Brustkrebsvorsorge? Prostatauntersuchung? Was schätzen Sie: Wie viele von 1000 Frauen sterben eigentlich weniger, wenn sie an einer Vorsorgeuntersuchung teilnehmen?

Mit Screening stirbt eine Frau weniger, als ohne. An die Öffentlichkeit werde meist eine andere Zahl kommuniziert, wie Gerd Gigerenzer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, kritisiert: "Meist wird von einer Risikoreduktion von 20 bis 30 Prozent gesprochen." 20 Prozent ist eine relative Risikoreduktion, die nicht bedeutet, was auch annehmbar wäre, dass 20 von 100 Frauen durch Screenings gerettet werden. Die Brustkrebsrate reduziert sich von fünf Toten bei 1000 Frauen ohne Sreening auf vier Tote bei 1000 Frauen mit Screening. Rein rechnerisch ist die Prozentzahl nicht falsch, aber sie muss interpretiert werden, was sie nach Gigerenzer zu einer "irreführenden Information" macht und dazu führe, dass viele den Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen um einiges höher schätzen. 95 Prozent der Österreicherinnen überschätzen den Nutzen der Screenings um mehr als das Zehnfache, wie Gigerenzer in einer europaweiten Studie nachweisen konnte. Die Ergebnisse in den anderen Ländern fielen ähnlich aus.

Gerd Gigerenzer stellt keineswegs Vorsorgeuntersuchungen generell in Frage. Vielmehr fordert er dazu auf, im medizinischen Bereich Zahlen zu verwenden, die Informationen transparent und auf den ersten Blick verständlich darstellen: "Irreführende Kommunikation heißt nicht, dass die Information falsch ist. Es ist eine richtige Information, aber so verpackt, dass die meisten Menschen es falsch verstehen. Irreführende Information ist für mich ein zutiefst ethisches Problem."

Fakten verständlich darstellen

Gerd Gigerenzer nennt konkrete Beispiele, wie statistische Zahlen verständlich dargestellt werden können: So würde eine "Faktenbox" für Mammografiescreenings jeder Frau ermöglichen, informiert zu entscheiden. Dabei handelt es sich um eine Tabelle mit Angaben zu Nutzen und Schaden der Untersuchung, ohne Prozentzahlen zu verwenden. Statt einer "20-Prozent-Risikoreduktion" listet die Tabelle die eingangs geschilderten natürlichen Zahlen auf: etwa eine Frau von 1000.

Ähnlich verhält es sich mit "Fünf-Jahres-Überlebensraten", die bei genauerem Hinsehen gemäß Gigerenzer nichts über die tatsächliche Mortalitätsrate aussagen. In manchen Bereichen fand sein Einsatz für transparente Zahlen bereits Eingang: "Bei der deutschen Krebshilfe gibt es eine neue Generation von Broschüren, da finden sie keine Fünf-Jahres-Überlebensraten oder relative Risiken mehr. Broschüren mit Klartext. Das geht vielleicht auch in Österreich."

Ärzte und Ärztinnen sollen in ihrer Ausbildung und Fortbildung Wissen über transparente Risikokommunikation erlangen, so Gigerenzer: "Alle Empathie in einer Arzt-Patienten-Beziehung hilft wenig, wenn beide missinformiert sind."

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