Wie zivil ist Gesellschaft?

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Der Frage, ob demokratische Werte noch zu retten sind und was "Zivilgesellschaft" überhaupt bedeutet, ging man auf der achten "Globeart"-Tagung in Pernegg nach.

Nur zwanzig Kilometer sind es bis zur tschechischen Grenze, wenn man, von Wien kommend, das idyllisch gelegene ehemalige Damenstift Pernegg erreicht. Heuer fand hier bereits zum achten Mal die "Globart"-Akademie statt. An die Grenze, die Europa bis 1989 getrennt hatte, erinnerte Ernst Ulrich von Weizsäcker, der renommierte deutsche Sozialforscher, in seiner Eröffnungsrede: "Seit 1990, seit dem Fall des Eisernen Vorhanges, hat der Verfall der Demokratie und der politischen Sitten eingesetzt. Denn vor 1990 wollten die westlichen Demokratien beweisen, dass die freie Marktwirtschaft besser ist als der Kommunismus. Solange diese Beweispflicht aufrecht war, ging es der Demokratie gut."

Neue globale Regeln?

Weizsäckers heftige Kritik am "Shareholder-value-Kapitalimus" und dessen "wachsender Frechheit, die den Spielraum der Regierungen zunehmend einschränkt", sowie sein Vorschlag, die international vernetzte Zivilgesellschaft müsse "neue globale Regeln" erzwingen, sorgte in Vorträgen und Arbeitskreisen für politischen Zündstoff.

Der Paukenschlag zu Beginn des Symposiums zwang die Referenten, den Begriff der "Zivilgesellschaft" kritischer unter die Lupe zu nehmen. Nicht die in Österreich so beliebte Vereinsmeierei, die Mitgliedschaft bei Freiwilliger Feuerwehr oder beim Sparverein "Eichhörnchen" machen die Substanz der Zivilgesellschaft aus. Auch nicht alle jene verdienstvollen sozialen Hilfs- und Netzwerke, die der derzeitigen Politik nur allzu oft als Ausrede für die Demontage des Wohlfahrtsstaates dienen. Es sind jene Gruppen, in denen sich ihrer Rechte bewusste Bürger in die öffentlichen Angelegenheiten einmischen. Als beispielhaft für einen solchen Freiraum zitierte Peter Kampits, Philosoph aus Wien, die Universität. Dort seien immer wieder, zuletzt 1968, gesellschaftliche Veränderungen in Gang gebracht worden - eine Funktion, die durch die jüngste Universitätsreform unmöglich gemacht wurde: "Die Reform hat die Universitäten zum Durchlauferhitzer der Wirtschaft gemacht". Das für jede Gesellschaft notwendige kritische Potential werde durch totale Ökonomisierung geschwächt, wenn nicht zerstört.

Während die Zivilgesellschaft in Ländern wie Österreich eher auf wackeligen Beinen steht - nicht zuletzt dank der Zentralgewalt und einem immer noch nachwirkenden Josefinismus -, hat sie in anderen Weltgegenden Regimes gestürzt. Eine der bekanntesten Akteurinnen in der ehemaligen ddr, die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, schilderte, wie nach außen intakte Machtstrukturen durch engagierte Einzelne zum Einsturz gebracht wurden, während die resignierende Mehrzahl der Bürger nach wie vor den Rückzug ins Privatleben übte.

Bärbel Bohlez arbeitet heute in Bosnien, wo sie ein Heim für Kriegskinder aufgebaut hat. Ihr Ziel ist die Versöhnung der ethnischen Gruppen untereinander.

Alternativer Nobelpreis

Engagement von Einzelnen und Kontakt mit den Nachbarländern, so lautete das Erfolgsrezept aller zivilgesellschaftlichen Gruppen in den damaligen totalitären Staaten; ein Konzept, das auch im ehemaligen Jugoslawien und in der Ukraine seine Verwendung fand. So trat die Initiative "Frieden und Menschenrechte" gleich nach ihrer Gründung mit der polnischen Solidarnocs und der tschechoslowakischen Charta 77 in Kontakt.

Als erfolgreich erweist sich auch das Konzept der Zivilgesellschaft in Entwicklungs- und Schwellenländern, wo fortschrittliche Ideen ohne den Rückhalt von Parteien und ohne politische Macht realisiert werden. Als vorbildliche Beispiele hierfür können die von der indischen Frauenbewegung initiierten Frauenhäuser oder das von den Grünen entwickelte Konzept der ökologischen Landwirtschaft im Fall Ägypten genannt werden.

Die Initiative sekem im Norden von Kairo, geht auf Ibrahim Abouleish zurück, einen Ägypter, der in Österreich Philosophie, Chemie und Medizin studiert hatte. Er kaufte siebzig Hektar Wüste, um seine Landsleute in ökologischer Landwirtschaft zu unterweisen, ihnen soziale Arbeitsverhältnisse, medizinische Betreuung und moderne Erziehung zu verschaffen. Heute sind dort zehntausend Menschen beschäftigt. Der persönlich leider nicht anwesende Pionier erhielt den Alternativen Nobelpreis für sein gelungenes Projekt.

Woher beziehen die Pioniere der Zivilgesellschaft ihre Kraft, wo liegen die Wurzeln solchen Engagements? Einen ganzen Tag widmete das Symposium den spirituellen, religiösen und sozialpsychologischen Wurzeln, die gesellschaftliche Veränderung motivieren. Diese Thematik wurde mit Vorträgen über verschiedenste Formen von Zivilcourage illustriert: Die "Brahma Kumaris"-Frauen, ein siebzig Jahre altes Frauennetzwerk, werden heute von der uno als spirituelles Zentrum in neunzig Ländern anerkannt. Friedrich Nietzsche, dessen Kulturkritik die "moderne Unruhe" und die hektische Geschäftigkeit der westlichen Kultur verurteilte, forderte eine "europäische Politik der Muße".

Widerstand

Vielleicht hätten die Programmplaner manchmal das Motto "Weniger ist mehr" beherzigen sollen. Aber auch wenn im Rahmen einer solchen Veranstaltung beides - die Auseinandersetzung mit indischer Philosophie wie auch die mit der Kulturphilosophie Nietzsches - zu kurz kommen musste, so bleiben doch in jedem Fall Anregungen zum Nachdenken. Etwa wenn der deutsche Lehrer und Psychoanalytiker Kurt Singer den Widerstand einer Sophie Scholl und die Geschichte der "Weissen Rose" zum Anlass nimmt, individuelle Feigheit, Opportunismus und Resignation zu kritisieren und dagegen Beispiele heutigen Widerstands anzuführt.

Literatur und Musik sollten die Besucher von Pernegg wie jedes Jahr auf das Gesamtthema der Tagung einstimmen. Und wie jedes Jahr war auch ein Dichter zu Gast: heuer Arnold Stadler, der Büchner-Preisträger aus Deutschland, der aus seinem jüngsten Buch über Adalbert Stifter las. Anschließend diskutierte er mit Hermann Nitsch und dem "heimlichen Hausherrn", Prälat Joachim Angerer, über den Gott und die Welt Stifters.

Dass die Veranstalter auch noch die europäische Verfassung sowie die Rolle der Bürgerrechte innerhalb dieser aufs Programm setzten, sprengte endgültig den Rahmen der zweitägigen Veranstaltung. Um dem hochaktuellen Thema, das derzeit die Europa-Debatten dominiert, gerecht zu werden, wären detailliertere Information und mehr europäische Gesprächsteilnehmer vonnöten. Aber die Frage, was Europa zusammenhält oder derzeit auseinanderdriften lässt, wird ja auf der Tagesordnung bleiben - womit die Veranstalter bereits einen Schwerpunkt fürs nächste Jahr hätten.

Paradigmenwechsel

Der heurige Schwerpunkt "Zivilgesellschaft" hat zumindest zur Klärung des begrifflichen Nebels beigetragen, hinter denen das Modevokabel häufig verschwindet. Klarer als erwartet zeigten die Debatten, wie tief die Krise der Parteien und der politischen Klasse ins Bewusstsein der Bevölkerung gedrungen ist. Politikverdrossenheit, Wahlenthaltung und das Aufkommen von Protestparteien zeigen in allen europäischen Ländern zeigen, dass die Demokratie der Reform und der Weiterentwicklung bedarf. Jakob von Uexküll, der vorjährige "Globart"-Preisträger wagte ein optimistisches Schlusswort: Er hofft auf das Ende des neoliberalen Dogmas, auf die Rückkehr des Primats der Politik und auf die weltweite Durchsetzung der Ideen ökosozialer Marktwirtschaft. Wenn lokale Zivilgesellschaften diesen Paradigmenwechsel vorantreiben, sichern sie sich Erhaltung und Ausbau der Demokratie.

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