Willkommen in der neuen Bescheidenheit

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Warum Österreich (noch) so gut dasteht - und ständig verfällt: Eine Analyse anhand der Thesen des Wirtschaftshistorikers Niall Ferguson.

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Warum Österreich (noch) so gut dasteht - und ständig verfällt: Eine Analyse anhand der Thesen des Wirtschaftshistorikers Niall Ferguson.

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Die niedrigste Gesamtverschuldung (Private + Unternehmen + öffentliche Hand) der Euro-Länder, ein Wirtschaftswachstum, während die anderen schon längst in der Rezession sind, die "niedrigste Arbeitslosenquote" in der EU (aber komischerweise nur die fünftbeste Beschäftigungsquote - aha, die Frühpensionen!), das zweitreichste Land im Euroraum, gute Leistungsbilanzüberschüsse Und doch: beim IMD World Competitiveness Report sind wir in sechs Jahren vom 11. auf den 23. Platz zurückgefallen, beim Corruption Index von Transparency International in sieben Jahren von Rang 10 auf 25, beim Global Innovation Index von 15 auf 23 in vier Jahren. Bei der Veränderungsbereitschaft des Europlus-Monitors hingegen sind wir vom letzten Platz 2011 nun auf den viertletzten Platz der Eurozone "vorgestoßen"."Es ist also etwas faul im Staate Österreich!"

Neue globale Machtverteilung

Liest man das neue Buch "The Great Degeneration" ("Der Niedergang des Westens") des besten zeitgenössischen Wirtschaftshistorikers, des Schotten Niall Ferguson, so wird einem mit Ernüchterung vieles klar. Die Ursache für den Niedergang sieht Niall Ferguson im Verfall jener vier Säulen, auf denen einst die Weltherrschaft des Westens ruhte: repräsentative Demokratie, freie Marktwirtschaft, Rechtsstaat, Zivilgesellschaft. Denn während der Westen verfällt, betreiben einst diktatorische Regime Asiens und der Dritten Welt unter dem Druck der Globalisierung den Ausbau rechtsstaatlicher Strukturen, öffnen ihre Märkte und bewegen sich auf eine Zivilgesellschaft nach westlichem Muster zu. Will der Westen in der neuen globalen Machtverteilung weiterhin erfolgreich mitspielen, muss er, so Ferguson, dem Niedergang der Institutionen, die ihn mächtig, reich und frei gemacht haben, entgegenwirken und sie wieder zu effizienten Trägern westlicher Macht ausbauen.

Wie sieht es da in Österreich aus?

REPRÄSENTATIVE DEMOKRATIE - meine Schulnote in der "OECD-Klasse": 4.103 der 183 Nationalratsabgeordneten sind Beamte, Partei-,Gewerkschafts- oder Kammerangestellte. Wir haben keine parlamentarische Demokratie, sondern eine Parteien-"Demokratie". Die Legislative besteht hauptsächlich aus Mitgliedern der Exekutive, soviel zur Gewaltentrennung. Was zählt, ist nicht die Verfassung, sondern sind die Parteistatuten, und dies nicht nur bei den "Altparteien". Das "freie Mandat": ein Hohn! Der Föderalismus ist strukturell falsch aufgestellt (Steuern!), und doch führt die Landeshauptleutekonferenz die Bundesregierung vor. Und die EU-Gremien sind mit ihrer Visionslosigkeit, ihren nationalen Egoismen und fehlenden Führungsfiguren auch keine Hoffnung wert. Ausblick: negativ. Schwache Hoffnungsschimmer sind das EU-Parlament und manche neue politische Bewegungen, die aber noch nicht bald genug wirksam werden. Und neue Regierungskonstellationen in den Bundesländern.

FREIE MARKTWIRTSCHAFT - Note: 2. Das Großartige an Österreich sind seine Unternehmen, der Einsatz und die Qualität der Mitarbeiter. Das Unternehmertum der KMUs. Der soziale Konsens ist viel wert, wenn auch durch die ineffiziente Sozialpartnerschaft (die durch teilweise Zwangsmitgliedschaften träge geworden ist) erkauft. Trotzdem ein internationales Erfolgsmodell. Die fünfthöchste Staatsquote der EU-28 behindert die Wirtschaft, daher nicht die Bestnote. Auch sind die Finanzerträge und die Unternehmensgewinne gestiegen, das frei verfügbare Einkommen der Mitarbeiter aber nicht. Ausblick: leicht negativ. Denn die Zeiten werden kälter (in den letzten zwei Monaten sind die Arbeitslosenquoten im Vergleich zum Vorjahresmonat um 16 bzw. 12% gestiegen), die bösen Folgen der Finanzkrise werden die Realwirtschaft weiter schädigen. Da wir uns Wachstum in der Zukunft nicht durch weitere Schulden kaufen werden können, wird es zur Verschlechterung der Arbeitslosigkeit und der Unternehmenserträge kommen.

Zivilgesellschaft als Stärke

RECHTSSTAATLICHKEIT - Schulnote: 2-3. Unsere Rechtsprechung ist nicht korrupt, die lange Verfahrensdauer ist wieder eher der Säule 1 (falsche Ressourcenausstattung durch den Staat) zuzurechnen. Bedenklich ist die Art, wie die meisten Gesetze zustande kommen (nicht durch Parlamentsinitiative, sondern durch die Ministerien und Kammern). Grundsätzlich ergibt sich international die Konstellation, dass unser "Zivilrecht" (das auf von den jeweiligen Gesetzgebern kodifizierten Gesetzen basiert) gegenüber dem angelsächsischen "Fallrecht" in Zeiten der Globalisierung und schnellen Wandels unterlegen ist. Kaum hat der Gesetzgeber alles bis ins kleinste Detail ausgefeilt, haben die cleveren Konzerne schon Schlupflöcher gefunden (siehe internationale Steueroasen). So ist die Regulierung fast immer chancenlos. Warum sind nicht mehr "Bankster" dort, wo sie hingehören? Ausblick: positiv. Gäbe es die neue Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht, hätte es nicht die "neue" Rechtsprechung in den letzten Wirtschaftsfällen gegeben, täte ich mich mit meinem Optimismus schwerer. Auch die EU-Kartellrechtsprechung ist sauber, internationale Gerichtshöfe sind vertrauenswürdig.

DIE ZIVILGESELLSCHAFT - Note: 1-2. Darauf können wir auch wirklich stolz sein. Auch darauf, was die Zivilgesellschaft im Staat alles organisiert: Caritas/Diakonie, Blaulichtorganisationen, aber auch die Gesellschaftshygiene-Wirkung der Gesangsvereine, Blasmusik, Tanzgruppen etc. Wir haben bei aller empfundenen Fremdenfeindlichkeit ein hohes Maß an Integration geschaffen, und die Mikrosolidarität ist groß. Ausblick: stabil. Das einzige, was man der Zivilgesellschaft vorwerfen kann, ist, dass sie es nicht geschafft hat, dass sich aus ihr heraus das politische System erneuert. Und dass sie auf das ja zu erwartende Kippen des Systems nicht vorbereitet ist. Und ob da die vielen "Gutmenschen" clever genug sein werden?

DIE INSTITUTIONEN (die das komplexe System zwischen den vier Säulen zusammenhalten) - Note: 3. Ist das eine Bildungsreform, was gerade passiert? Unsere Wettbewerbsfähigkeit in den Bildungssystemen geht zunehmend verloren. Zusammen mit Forschung (da forschen die Unternehmen zu wenig, der Staat rechnet die Forschung durch die Universitäten schön) wohl der wichtigste Faktor für zukünftige Prosperität.

Unser Gesundheitssystem ist gut, aber falsch aufgestellt -und viel zu teuer. Die eben erfolgte "Gesundheitsreform"? Die Italiener würden sagen: "tamponada" (passt auch gut zum Thema!).

Unsere öffentliche Verwaltung: ordentlich, aber viel zu teuer und schwerfällig.

Der Sozialstaat (eher Wohlfahrtsstaat): ja, aber ineffizient und teuer. Nicht immer gerecht und solidarisch. Aber trotz aller Arbeiterkammer-beauftragten Studien ist die soziale Kohärenz bei uns größer als anderswo.

Die Gerichte: verlässlich, unterbesetzt, in Wirtschaftsfragen brustschwach.

Die Medien: die Qualitätszeitungen verlieren an Qualität (wirtschaftlicher Zwang), der ORF bleibt fest in parteipolitischer Hand, die meisten Magazine gehören einer Bankengruppe. Das Erfreuliche für neue Initiativen der Zivilgesellschaft sind die elektronischen Medien (Social Media, Blogs )

Die Finanzinstitutionen: die Primärbanken sind "anständig", was man von ihren Spitzeninstituten überhaupt nicht sagen kann. Overbanked, daher ertragsschwach. Unterkapitalisiert, die Risken (CEE) sind noch lange nicht vorbei.

Die Kirchen: durch "disziplinierende" Bischofsernennungen ist die katholische Kirche zwar noch immer soziale Stütze der Gesellschaft, aber kaum mehr öffentliches Gewissen. Und das bei steigender Sinn-Nachfrage. Ausblick: positiv (u. a. Papst Franziskus!).

Conclusio: So wie die Erosion bei den Säulen "normal" ist, so sehr muss man sich um die Entwicklung des politischen Systems sorgen. Passiert dort keine tiefgreifende Erneuerung und Neuerfindung (ist dies systemisch überhaupt möglich? - Wahlrecht!), dann wird es traurig für uns werden.

Also: nicht in Depression verfallen! Sich vorbereiten! Durch kreativen Ungehorsam, Zivilcourage, Konfliktfähigkeit (die "Primärtugenden" des Rupert Lay) am Umbau der Gesellschaft mitwirken! Und das "Reset", das uns bevorsteht, wird ja auch wieder die Generationengerechtigkeit herstellen. Wir müssen uns halt viel mehr statt auf die materiellen Werte auf das Immaterielle konzentrieren, uns am Sozialkapital freuen, an Beziehungen, an der Umwelt, an der Kultur, an der Spiritualität. "Prosperity Without Growth" hat es Tim Jackson genannt. Gross National Happiness statt Gross Domestic Product! Willkommen im "New Normal", einer neuen Bescheidenheit!

Der Niedergang des Westens

Wie Institutionen verfallen und Ökonomien sterben

Von Niall Ferguson, Propyläen 2013. 208 Seiten, € 18,00

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