„Wir benötigen in Zukunft mehr Ärzte“

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Mit einem erheblichen Ärztemangel in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren rechnen Vertreter der Wiener Ärztekammer. Bereits jetzt gäbe es Engpässe.

Die Erleichterung in Österreich war groß, als der Europäische Gerichtshof (EuGH) die belgische Quotenregelung beim Medizin-Studium Mitte April anerkannte. Die Zugangsbeschränkungen für EU-Ausländer bei einem Medizin-Studium in Belgien seien zwar „grundsätzlich“ nicht mit dem Unionsrecht vereinbar, könnten aber akzeptiert werden, „wenn sie im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt“ sind, heißt es in dem Urteil des EuGH. In Belgien drängen viele französische Studierende aufgrund mangelnder sprachlicher Barrieren an die wallonischen Hochschulen.

„Brauchen Quotenregelung“

„Wir brauchen die Quotenregelung, um den medizinischen Nachwuchs und so die Gesundheitsversorgung sicherzustellen, und dieses Argument wurde nun vom EuGH anerkannt“, sagt Wissenschaftsministerin Beatrix Karl (ÖVP). In Österreich gibt es seit 2006 eine diesbezügliche Regelung: 75 Prozent der Medizin-Studienplätze gehen an Studierende mit einem österreichischen Maturazeugnis, 20 Prozent der Plätze sind für EU-Ausländer reserviert, die restlichen fünf Prozent für Personen, die außerhalb der Europäischen Union die Universitätsreife erlangten.

Für Österreich könne man mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Regelung an den Medizin-Unis mit dem EU-Recht vereinbar sei, meinen Juristen. Nun müssten nur noch die Zahlen tatsächlich eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit – in Form eines Ärztemangels – belegen.

„Wir werden in Zukunft mehr Ärzte benötigen“ erklärt Thomas Szekeres, Mediziner am Wiener Allgemeinen Krankenhaus (AKH) und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien. Der Facharzt für Medizinische und Chemische Labordiagnostik rechnet vor, dass es in zehn Jahren nach und nach zu einem Mangel an Medizinern kommen wird. „Die meisten Ärzte sind heute zwischen 50 und 60 Jahre alt. Wir haben genaue Daten, die uns zeigen, dass in wenigen Jahren bis zu 1600 Ärzte jährlich in Pension gehen werden, aber nur 800 nachkommen“, rechnet Szekeres vor.

Es bestehe zwar nicht die Gefahr, dass auf einen Schlag die Hälfte der Ärzteschaft in den Ruhestand geht, aber es werde zu Engpässen kommen. „Wir merken einen Rückgang an Bewerbungen in einzelnen Fachrichtungen der Medizin, zum Beispiel Radiologie und Strahlentherapie, Kinderherzchirurgie oder etwa Anästhesie und Unfallchirurgie“, so Szekeres. Und schon jetzt sei es in ländlichen Regionen schwierig, ein breites Facharztangebot zur Verfügung zu stellen.

Zu der zu geringen Absolventenzahl kämen auch noch zwei andere Faktoren, die zu einem Ärztemangel in wenigen Jahren führen könnten. „Die jungen Mediziner sind heute sehr flexibel. Viele gehen nach dem Studium ins Ausland, nicht wenige üben den klassischen Arztberuf nicht aus, weil Angebote aus der Wirtschaft wesentlich attraktiver erscheinen“, sagt Szekeres. Immer weniger Nachwuchsärzte wären bereit, sich selbst auszubeuten. Seelische Belastungen, körperliche Anstrengungen, Dutzende Überstunden und die Schwierigkeiten, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, würden immer mehr abschrecken, den Arztberuf zu ergreifen. „Dazu fehlt vielen einfach die Bereitschaft“, resümiert Szekeres.

Doch der Ärztemangel könnte auch positive Auswirkungen haben: „Heute machen Mediziner viele Aufgaben, die mit ihrer eigentlichen Profession wenig zu tun haben, darunter fällt die administrative Arbeit, die viel Zeit in Anspruch nimmt. Weniger Ärzte könnte bedeuten, dass diese sich nur noch auf ihr Kerngeschäft, das Heilen, beschränken, während die anderen Aufgaben beispielsweise von Stationssekretärinnen erledigt werden.“

„Vierte Med-Uni wäre guter Ansatz“

Thomas Szekeres erhofft sich jedenfalls, dass in Zukunft mehr Studienplätze zur Verfügung stehen und mehr Mediziner ausgebildet werden. „Die Errichtung einer vierten Medizin-Uni in Linz wäre ein guter Ansatz, soweit zusätzliches Geld bereitgestellt würde und man das dafür notwendige Budget nicht von den bestehenden Med-Unis abziehen müsste.“

Doch dies lehnen die Rektoren der Medizinischen Universitäten in Wien, Graz und Innsbruck strikt ab. Aufgrund der „schon derzeit kritischen Finanzierung der öffentlichen Universitäten, deren Lage sich durch die vom Bund geplanten Sparmaßnahmen nur verschlimmern kann“, ist für die Medizin-Rektoren die Schaffung einer neuen Uni „kontraproduktiv“. Außerdem gebe es keine unabhängige Studie, die einen Ärztemangel in den kommenden Jahren prognostizieren würde.

Gesundheits- und Wissenschaftsministerium, in deren Portefeuilles die Materie angesiedelt ist, üben sich in Zurückhaltung. Derzeit wird in einer Studie der Bedarf an Ärzten in den kommenden Jahren erhoben, heißt es aus dem Büro von Gesundheitsminister Alois Stöger.

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