Wir erzählen von der Flucht

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Nicht über sie, sondern mit ihnen reden: Der Lange Tag der Flucht am 26. September rückt die Menschen hinter den Asylzahlen in den Mittelpunkt.

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Nicht über sie, sondern mit ihnen reden: Der Lange Tag der Flucht am 26. September rückt die Menschen hinter den Asylzahlen in den Mittelpunkt.

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Am Anfang ist Asha Osman aufgeregt. Sie beißt sich auf die Lippen, rückt ihr kariertes Kopftuch zurecht und entschuldigt sich: "Das ist das erste Interview, das ich gebe ". Doch als der Kaffee gebracht wird, ist das Eis gebrochen. Scheu und Nervosität sind keine Eigenschaften, denen Asha viel Raum gibt.

Sie rührt einmal um, und beginnt zu erzählen. Seit 2009 lebt sie, 44, in Wien. Gekommen ist sie mit ihren neun Kindern, ihr Ehemann war schon da. Der Bürgerkrieg, der seit bald einem Vierteljahrhundert in ihrer Heimat Somalia wütet, hat die Familie zur Flucht gezwungen. Der Vater nahm die beschwerliche Reise nach Europa zuerst auf sich. Als er Asyl gewährt bekam, konnte er seine Familie nachholen.

Kaffee mit einem lebendigen Buch

Asha lacht viel, auch wenn sie von ernsten Themen redet. Wer Asha gegenüber sitzt, darf sie alles fragen. Sie ist ein "Living Book", ein lebendiges Buch, aus dem man lesen darf. Als solches wird sie, mit anderen Menschen, die das Thema Flucht aus erster Hand kennen, am 26. September in Wien zum Einsatz kommen. Beim "Langen Tag der Flucht", den die UNO-Flüchtlingsagentur UNHCR österreichweit zum dritten Mal organisiert, soll die Vielfalt der Menschen, die nach Österreich flüchten, in den Mittelpunkt gerückt werden. Theaterauf- und Filmvorführungen, Fotoausstellungen (siehe Bild), Kochkurse, Workshops und Lesungen bieten einen ganzen Tag lang Einblick in die Vergangenheit und Gegenwart von Asylwerbern.

Asha erzählt in tadellosem Deutsch: von ihren Kindern, ihrer Wohnung, ihrem Alltag in Wien. Von ihrem Studium, ihrem früheren Job bei den Vereinten Nationen in Somalia. Und von ihrem aktuellen Job beim Verein Nachbarinnen, wo sie somalische Familien, die frisch in Österreich angekommen sind, berät. Am liebsten erzählt sie von ihrem Verein, "Hawenka", den sie letztes Jahr gründete, und seither erfolgreich führt. Er soll somalische Frauen, die in Wien leben, zusammenführen.

"Ein Mal im Monat treffen wir uns. Am Anfang waren wir nur eine Handvoll Frauen, aber jetzt kommen oft 20 zu unseren Terminen", erzählt sie stolz.

Sie weiß, was den Müttern, die sie berät, das größte Anliegen ist: Die Bildung für ihre Kinder. Asha selbst liegt auch viel an der Bildung der Mütter. Sie organisiert Alphabetisierungs- und Deutschkurse, unterstützt und motiviert die Frauen. "Ich habe selbst das Glück gehabt, dass mir Menschen immer wieder im richtigen Moment geholfen haben", erklärt sie ihr Engagement bescheiden.

Asyl-Statistik ist Nebensache

Auch deshalb steht sie am Freitag als "lebendiges Buch" zur Verfügung. Als Bindeglied zwischen zwei Welten kann sie dabei nicht nur ihre eigene Geschichte erzählen, sondern auch die ihrer Landsleute. Sie weiß von der Odyssee, die viele Menschen hinter sich haben, wenn sie in Österreich ankommen. Die meisten von ihnen können nicht, wie Asha damals, mit dem Flugzeug einreisen, sondern erreichen Europa mit dem Schiff. Wer nicht über die Familienzusammenführung kommt, hat kein Visum, muss nach der Ankunft ins Erstaufnahmezentrum, dann in ein Quartier für Asylwerber. Fast 600 Menschen aus Somalia haben bis August 2014 in Österreich um Asyl angesucht. Das macht sie zur viertgrößten Gruppe nach Syrern, Afghanen und Tschetschenen.

An Ashas Tisch im Wiener Kaffeehaus spielt die Statistik aber keine Rolle. Ihre Geschichte ist unterhaltsam, spannend, vielseitig: Asha ist Mutter, Mentorin, Managerin. Mehr, als "nur" ein Flüchtling. Ihren Kaffee hat sie vor lauter Plaudern nicht angerührt.

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